Koordinator: 2.000 Ukrainer kommen pro Monat nach Österreich

Die Zahl der ukrainischen Flüchtlinge in Österreich steigt vor dem dritten Kriegswinter deutlich an. „Es kommen pro Monat rund 2.000 Menschen nach Österreich“, sagte Flüchtlingskoordinator Andreas Achrainer am Dienstag bei einer Pressekonferenz im Parlament. Deshalb müssten Bund, Länder und Zivilgesellschaft in der Hilfe „noch einmal zusammenrücken“. Der Präsident der Ukrainehilfe, Cornelius Granig, rief zu mehr Jobchancen für die oft gut ausgebildeten Flüchtlinge auf.

Sie wolle alles tun, „um hier in Österreich zu arbeiten, um etwas zurückzugeben für die Unterstützung, die wir erhalten haben“, sagte die Vertriebene Olexandra Fedorowa, die selbst einen Job beim Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF) gefunden hat. Achrainer berichtete, dass sich derzeit 76.000 Ukrainerinnen und Ukrainer in Österreich aufhalten, von denen weniger als die Hälfte (37.000) noch in Grundversorgung seien. Integration sei wichtig, doch „werden immer wieder die Menschen vergessen, die nicht in den Arbeitsmarkt gehen werden“, etwa die 7.000 Seniorinnen und Senioren sowie Menschen mit Behinderungen und Kriegsverletzte.

Gut ausgebildete Geflüchtete „riesige Chance für unseren Arbeitsmarkt“

Der frühere Siemens- und Raiffeisen-Topmanager Granig sagte, dass viele der Geflüchteten abgeschlossene Hochschulstudien haben. „Das ist eine riesige Chance für unseren Arbeitsmarkt und ein Potenzial, das wir noch nicht ganz gehoben haben“, plädierte er etwa für mehr Verständnis für anfängliche Sprachprobleme. Auch solle eine sichere Basis geschaffen werden, was das Aufenthaltsrecht betrifft. Viele Ukrainerinnen und Ukrainer hätten auch eine Ausbildung im Gesundheitsbereich, wo es in Österreich einen großen Arbeitskräftemangel gibt. Man sollte daher die bereits in Österreich lebenden Ukrainerinnen und Ukraine ansprechen und „weniger überlegen, wie man aus Fernost Menschen nach Österreich bringt“, sagte er mit Blick auf die von einigen Bundesländern gestarteten Anwerbeprogramme in Ländern wie den Philippinen.

Lisa Zuckerstätter von „Nachbar in Not“ wies darauf hin, dass durch Spenden 100 Millionen Euro zusammengekommen seien, mit denen 2,5 Millionen Menschen unterstützt werden könnten. „Wir sind sehr stolz auf die Menschen in Österreich“, sagte sie. Die Unterstützung müsse aber weiter gehen, weil die Ukraine „vor dem härtesten Winter seit Beginn des Krieges“ stehe. Den Fokus wolle man dabei auf Kinder setzen, „die ganz besonders betroffen sind“, sagte die Leiterin des Humanitarian Broadcasting beim ORF.

Nicht beleuchtetes Parlament als „fatales Zeichen“

Zur vom Grünen Wehrsprecher David Stögmüller organisierten Pressekonferenz waren auch Mandatare von SPÖ, ÖVP und NEOS gekommen, während die größte Parlamentsfraktion FPÖ wie bei Ukraine-Terminen üblich keinen Vertreter geschickt hatte. Stögmüller kritisierte auf eine entsprechende Frage die ausgebliebene Beleuchtung des Parlamentsgebäudes in den ukrainischen Nationalfarben anlässlich des 1.000 Kriegstages als „fatales Zeichen“. Wenn Nationalratspräsident Walter Rosenkranz (FPÖ) einerseits den ungarischen Regierungschef Viktor Orbán ins Parlament einlädt und andererseits „keine Solidarität mit der Ukraine zeigt, dann ist das schon ein Sinnbild“.

Mehrmaliges Lob für Rosenkranz‘ Vorgänger Wolfgang Sobotka (ÖVP) kam in diesem Zusammenhang vom NEOS-Europaabgeordneten Helmut Brandstätter. Sobotka sei bei der Unterstützung der Ukraine „ein Vorbild“ gewesen, etwa indem er die Videoansprache des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj im Nationalrat oder mehrere Reisen der parlamentarischen Freundschaftsgruppe in die Ukraine ermöglicht habe. Brandstätter wandte sich gegen die Darstellung, dass die Österreicherinnen und Österreicher der Hilfe für die Ukraine bereits müde seien. „Das ist eine Propaganda von (Russlands Staatschef Wladimir) Putin, die auch hier übernommen wird“, sagte er in Anspielung auf die FPÖ. Die tatsächliche Stimmung sei anders, und auch die künftigen EU-Kommissare hätten bei ihren Hearings deutlich gemacht, „dass die Unterstützung der Ukraine ganz oben in ihrem Aufgabengebiet steht“.

Kein „Wischi-Waschi“ zu Sicherheitspolitik in Regierungsprogramm

Der ÖVP-Abgeordnete Andreas Minnich zeigte sich erfreut, dass beim Thema Ukraine „ein Schulterschluss über alle Parteien hinweg geschaffen“ worden sei. Dies habe möglich gemacht, dass 263 Millionen Euro direkt an die Ukraine und ihre Nachbarländer geflossen seien. Österreich stehe weiterhin „solidarisch an der Seite der Ukraine“, versicherte der Vertreter der derzeitigen und wohl auch künftigen Kanzlerpartei. „Es kann nicht sein, dass es Verhandlungen über die Ukraine gibt ohne die Ukraine“, sagte er. Diesbezüglich müsse man „besonders achtsam sein“.

Stögmüller wies darauf hin, dass Europa nach der US-Wahl sicherheitspolitisch „aufwachen“ müsse, weil „der verlässliche Partner USA nicht mehr da ist“. „Auch Österreich muss aufwachen, wenn es um die sicherheitspolitische Agenda geht“, formulierte der Noch-Regierungsabgeordnete in Richtung der entstehenden Dreier-Koalition. Deren Vertreter reagierten unterschiedlich auf die Frage der APA, ob es im künftigen Regierungsabkommen klare sicherheitspolitische Ansagen geben wird oder der bisherige Kurs zwischen Neutralitätspolitik und europäischer Solidarität fortgeschrieben wird, den Kritiker als verwaschen ansehen.

Während sich Minnich nicht äußerte, räumte die außenpolitische Sprecherin der SPÖ, Petra Bayr, ein, dass dies „Gegenstand von sehr ausführlichen Verhandlungen“ sein werde, weil es hier um eine „zentrale Frage“ gehe. Wenn sich nämlich die geopolitischen Kräfte so weiterentwickeln, wie sie sich das vorstellen, könnte es zu einem Krieg „auf unserem Territorium“ kommen, sagte sie mit Blick auf mögliche russische Angriffspläne auf EU-Mitgliedsstaaten. „Diesbezüglich wird man sich natürlich was überlegen müssen“, sagte die SPÖ-Abgeordnete. „Ein Wischi-Waschi wird es sicher nicht“, versicherte Brandstätter. Mit Blick auf Artikel 42 des EU-Vertrags fügte er hinzu, dass es innerhalb der Europäischen Union bereits ein Solidaritätsversprechen gebe. „Das ist Verfassung, das brauchen wir nicht verhandeln.“

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