Zu einem ernüchternden Befund kommt eine Studie über Einstellungen von deutschen Studenten der islamischen Theologie und Religionspädagogik: Fundamentalistische, antisemitische und demokratiefeindliche Haltungen sind demnach derart weit verbreitet, dass kaum Hoffnung besteht auf das Entstehen eines liberalen Euro-Islam durch das künftige Wirken der angehenden Multiplikatoren in der muslimischen Community.
Die teils beklemmenden Ergebnisse der dem VOLKSBLATT vorliegenden Studie der Universität Münster (Nordrhein-Westfalen) korrelieren mit dem ebenfalls ermittelten starken Einfluss türkischer Institutionen auf den islamischen Pädagogen-Nachwuchs.
Händeschütteln mit anderem Geschlecht abgelehnt
Ein plakatives Teilergebnis illustriert anschaulich die Problematik: 53,5 Prozent der 252 im Frühjahr 2022 befragten Studenten vertreten die Ansicht, dass Händeschütteln mit dem anderen Geschlecht zu vermeiden sei. Diese Ablehnung entspricht einer orthodoxen bis extremistischen Tendenz, deren Ausmaß weit über einen auch in anderen Bevölkerungsgruppen messbaren Bodensatz an radikalen Neigungen hinausgeht.
Schon die Motive fürs Islam-Studium lassen auf eine illiberale Gesinnung vieler schließen. Für 52 Prozent ist die Missionierung ein zentrales Studienmotiv, was angesichts der wohl als Voraussetzung einer solchen Studienwahl anzunehmenden tiefen Religiosität noch nachvollziehbar erscheint. 68,3 Prozent der Befragten gaben jedoch an, keinen europäische geprägten Islam vermitteln zu wollen.
Was ist Euro-Islam?
Unter europäisch geprägtem Islam ist ein reformorientierter Islam zu verstehen, „der Wert legt auf eine symbolische Interpretation des Korans, egalitäre Beziehungen zu Nichtmuslimen, Homosexuellen und zwischen den Geschlechtern sowie eine kritische Reflexion des Gewaltpotenzials bestimmter islamischer Interpretationen“, so die beiden Studienautoren, die Religionspsychologin Sarah Demmrich, stv. Leiterin der Forschungsabteilung „Islam und Politik“ am Zentrum für Islamische Theologie der Uni Münster, und der Islam-Pädagoge Abdulkerim Senel.
Einen derart liberalen Islam lehnt jedoch eine Mehrheit der Islam-Studenten ab. Das kommt in konkreten Fragestellungen deutlich zum Ausdruck, wobei das Bejahen eines konservativen Familienbildes noch als vergleichsweise unauffällig gelten könnte. Dass jede/r fünfte Student/in der Aussage zustimmt, Männer sollten berufstätig und Frauen für den Haushalt zuständig sein, könnte vielleicht bei konservativen Christen ähnlich erhoben werden. Gleiches gilt für die von einem Drittel der Befragten geteilte Ansicht, dass ein Kleinkind leide, wenn die Mutter arbeiten gehe.
Der Westen ist schuld…
Problematisch wird es allerdings bei der Untersuchung zu Feindbildern. So stimmen 59,9 Prozent eher oder ganz zu, dass der Westen für die schlechten Bedingungen in vielen islamischen Ländern verantwortlich sei. Hier wirkt der von islamistischen Protagonisten gepflegte, von vielen Jungmuslimen offenbar verinnerlichte Opfermythos. Daraus resultiert auch die von 55,9 Prozent eher oder ganz geteilte Ansicht, dass der Westen alles tue, um die Wiedergeburt einer islamischen Hochkultur zu verhindern.
… und die Juden zu mächtig!
Tief verwurzelt, wenn auch angesichts des einschlägigen Einflusses islamischer Autoritäten wenig verwunderlich ist der Antisemitismus. Fast die Hälfte (47,2 Prozent) der Befragten stimmen eher oder ganz zu, dass der Staat Israel kein Existenzrecht hat. 37,3 Prozent stimmten eher oder ganz zu, dass Juden zu viel Macht und Einfluss in der Welt haben.
Türkischer Einfluss
Ein genauerer Blick auf die an elf Hochschulstandorten untersuchte, zu 75 Prozent männliche Gruppe liefert mögliche Erklärungen für derartige Einstellungen: 90 Prozent der befragten Studierenden sind zwar in Deutschland geboren, 95,2 Prozent von ihnen haben jedoch einen Migrationshintergrund — und davon wiederum haben 68 Prozent türkische, 8,3 Prozent marokkanische Wurzeln (Rest: jeweils unter drei Prozent). Damit erklärt sich auch die starke Neigung zu türkisch dominierten Institutionen wie der (der türkischen Religionsbehörde Diyanet unterstehenden) Ditib und der als in Deutschland als „verfassungsfeindlich“ eingestuften Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG). So gaben 67,8 Prozent der Befragten an, sich von Ditib vertreten zu fühlen. 58,7 Prozent nannten auch die IGMG. Beide Organisationen vertreten einen fundamentalistischen Islam. Auch antisemitische und islamistische Haltungen sind in deren Umfeld ungeachtet anderslautender Beteuerungen ihrer Anführer immer wieder anzutreffen.
Gewaltbereite Minderheit
Dazu passt die in der Studie erhobene Islamismus-Skala: Demnach befürworten 22,2 Prozent eine Islamisierung der Politik, jede/r Vierte die Islamisierung des Rechtssystems und 22,6 Prozent eine islamistische Geschlechterordnung. 10,3 Prozent akzeptieren reaktive Gewalt und sechs Prozent sogar aktive Gewalt gegen Ungläubige zwecks Verbreitung des Islams. Das in manchen islamischen Lehrbüchern propagierte „leichte Schlagen“ von Frauen lehnen aber immerhin 98 Prozent der Befragten ab.
57,2 Prozent gaben übrigens an, (fast) nur oder überwiegend muslimische Freunde zu haben. Das ist insofern wenig überraschend, als etwa die türkische Religionsbehörde Diyanet ganz offen Freundschaft von Muslimen mit Christen oder Juden ablehnt. So heißt es auf der Diyanet-Webseite, „dass Ungläubige, Unterdrücker, Juden und Christen nur untereinander und mit Satan befreundet sein können“.
Segregation und Feindbilder verhindern Reformeifer
Fazit der Studienautoren: „In den Analysen wurde festgestellt, dass die Repräsentation durch Ditib, der die Mehrheit der Studierenden zustimmte, zusammen mit einer sehr starken sozialen Segregation und vorherrschenden (insbesondere antiwestlichen und antisemitischen) Feindbildern sowie einem überdurchschnittlichen Maß an Fundamentalismus die Reformorientierung behindert“.
Zwischen den Fronten
Verwiesen wird zugleich auf ein Dilemma, in dem sich Islam-Studenten befinden: „Sie müssen navigieren zwischen religiös-orthodoxen Vorstellungen, die von islamischen Verbänden gefördert werden, welche erheblichen Einfluss auf ihr Studium und ihre Karriere in Deutschland haben, und der von gesellschaftlichen Entscheidungsträgern und Universitäten propagierten Integrationspolitik, wie z. B. der Umsetzung eines europäisch geprägten Islam“. Das könnte zumindest einen vagen Hoffnungsschimmer bedeuten: Möglicherweise gaben Studenten mit Blick auf ihre Karrierechancen „gewünschte“ Antworten im Sinne potenzieller Arbeitgeber.
Was tun gegen Dominanz der Fundamentalisten?
Die Studie gibt auch Empfehlungen für Verbesserungen der Ausbildung. So sollte das Studium der islamischen Theologie und des Religionsunterrichts „die Studierenden dazu anregen, die Repräsentation durch islamische Verbände und deren antiwestliche und antisemitische Einstellungen kritisch zu reflektieren“. Um den Islam in Europa zu kontextualisieren, sollten zudem die Rechte der Frauen im Islam stärker thematisiert und die Diskussion über das Gewaltpotenzial gefördert werden.
Empfohlen wird zudem, Bildungsinitiativen zur Gleichstellung der Geschlechter, zur Bekämpfung antisemitischer und antiwestlicher Einstellungen und zur Auseinandersetzung mit Fundamentalismus nicht nur an Universitäten, sondern auch in Schulen und durch außerschulische Aktivitäten in Moscheegemeinden und familienunterstützenden Einrichtungen zu initiieren.
Ähnlicher Befund schon 2009 in Österreich erhoben
Da die genannten türkischen Organisationen auch in Österreich einen dominierende Stellung einnehmen, stellt sich die Frage, ob die deutsche Studie als Indiz für ähnliche Verhältnisse in Österreich gelten kann. Wohl schon. Die Wissenschafter der Uni Münster verweisen sogar auf eine bereits 2009 in Österreich durchgeführte Erhebung: „Insgesamt ähnelten die Ergebnisse (der aktuellen Studie, Anm.) denen in Österreich, wonach ‚Fundamentalismus unter Religionslehrern weit verbreitet ist.‘“
Von Manfred Maurer
Die gesamte, im British Journal of Religious Education veröffentlichte Studie finden Sie hier (in englischer Sprache): doi.org