Inseratenaffäre-Studie ortet auffällige Abweichung auf oe24

Rund um Inseratenschaltungen des Finanzministeriums unter Ex-Generalsekretär Thomas Schmid ermittelt seit geraumer Zeit die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA). Der Verdacht lautet u.a., dass für wohlwollende Berichterstattung mehr Werbegeld an die Tageszeitung „Österreich“ bzw. „oe24“ floss. Ein Forschungsteam fand nun „auffällige Abweichungen“ bezüglich Sichtbarkeit von und Tonalität gegenüber Sebastian Kurz auf oe24 nach der mutmaßlichen Abmachung.

Im Zentrum der laufenden Ermittlungen in der sogenannten „Inseraten- und Umfrage-Affäre“ steht auch die Mediengruppe Österreich rund um die (damaligen) Geschäftsführer Wolfgang und Helmuth Fellner. Es besteht der Verdacht, dass über das sogenannte „Beinschab-Österreich-Tool“ mit Steuergeld finanzierte Umfragen, die dem Fortkommen des damaligen Außenministers und späteren Bundeskanzlers Sebastian Kurz (ÖVP) gedient hätten, im Gegenzug für Inserate publiziert wurden.

Zur Erinnerung: Kurz schickte sich um das Jahr 2016 an, den ÖVP-Parteivorsitz zu übernehmen. Den WKStA-Verdacht weisen die Fellners vehement zurück. Seitens der Mediengruppe Österreich ist auf APA-Anfrage bis Stand Mittwochmittag keine Stellungnahme zum Inhalt der im Fachblatt „The International Journal of Press/Politics“ veröffentlichten Studie eingegangen.

Nach dem Publikwerden der „Inseratenaffäre“-Vorwürfe zog sich Kurz sukzessive aus allen politischen Ämtern zurück. Einer gerichtlichen Aufarbeitung harrt die Causa seither, es wird nach wie vor ermittelt.

Aus kommunikationswissenschaftlicher Sicht würde so eine Vorgehensweise als Versuch der „Medienkontrolle“ eingestuft werden, erklärte einer der Hauptautoren der Analyse, Jakob-Moritz Eberl, gegenüber der APA. Auch aufgrund steigenden finanziellen Drucks auf Medienhäuser durch wegbrechende Werbeeinnahmen werden auch in demokratischen Ländern – wie Australien, Argentinien oder Spanien – mehr Stimmen laut, die vor solchen Gefahren warnen bzw. die Vorwürfe bezüglich solcher Mechanismen erheben.

In Österreich spielen Inseratschaltungen seitens der öffentlichen Hand, wie etwa von Ministerien, traditionell eine eher große Rolle in der Finanzierung mancher Medien – insbesondere von Boulevard-Blättern, wie die Wissenschafter von der Universität Wien und der Universität Fribourg/Freiburg (Schweiz) in ihrer Arbeit schreiben.

Global gesehen gab es bisher relativ wenige dokumentierte Fälle, die wissenschaftlich tiefergehend aufgearbeitet werden konnten. Die österreichische „Inseratenaffäre“ biete aus Forschersicht ein „perfektes Fallbeispiel“, da man durch die bekannt gewordenen Chats mehr oder weniger genau festmachen kann, wann die vermeintlichen Absprachen stattgefunden haben müssen. Noch dazu hat man hier Möglichkeiten zum Vergleich mit der Publikationspraxis anderer heimischer Medien und eine belastbare Datenbasis, auf die man sich stützen kann – die Wissenschafter sprechen hier von einer einem Experiment ähnlichen Versuchsanordnung, einem „Quasi-Experiment“, so Eberl.

Die Forscher verglichen mit einem aufwendigen, aus den Wirtschaftswissenschaften stammenden statistischen („Difference-in-differences“) Ansatz, „grob gesagt die Trends in der Berichterstattung in oe24 mit anderen Medien im Zeitverlauf, um den potenziellen Effekt der mutmaßlichen Absprachen zu ermitteln. Unterschiedliche Definitionen der Vergleichsmedien liefern dabei stets ein eindeutiges Ergebnis: Die Berichterstattung über Sebastian Kurz in oe24 ging im Zeitraum nach den vermeintlichen Absprachen stark nach oben“, wird Martin Huber, Professor für Angewandte Ökonometrie und Politikevaluation der Uni Fribourg/Freiburg, in einer Aussendung der beteiligten Unis zitiert.

Das Team stützte sich auf maschinell erhobene Daten aus insgesamt fast 223.000 Artikeln in 17 heimischen Online- und Printmedien im Zeitraum zwischen 2012 bis 2021. Da mittlerweile auch Absprachen zwischen Schmid mit „Heute“ und der „Kronen Zeitung“ im Raum stehen, wurden diese beiden Medien sowie der Online-Auftritt der „Krone“ nur in einen Teil der Berechnungen einbezogen. Deren Fokus lag auf Nennungen von Reinhold Mitterlehner als damaligem ÖVP-Chef, den drei SPÖ-Chefs in dem Untersuchungszeitraum, FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache und Kurz selbst.

Die Auswertung zu den Erwähnungen – der Sichtbarkeit – der Persönlichkeiten berechnete man mit verschiedenen Methoden im Vergleich zu anderen Medien. So kam man auf ein Plus bei den Erwähnungen von Kurz zwischen 50 und 100 Prozent in oe24 nach den mutmaßlichen Absprachen ab dem Jahr 2016, das „nicht mit dem Verhalten desselben Mediums in der Zeit davor erklärbar ist“, sagte Eberl. Ein Resultat, das das Team als „sehr stabil“ bezeichnet, auch weil ein Abflachen dieses Effekts laut dem Forscher erst um das Jahr 2021 zu beobachten sei. Allerdings: Selbst in diesem Jahr bleibe der statistische Effekt im Vergleich zu den Jahren vor 2016 signifikant.

Bei der ebenfalls mit maschineller Unterstützung in der Unzahl an Artikeln erhobenen Tonalität gegenüber den politischen Akteuren zeigte sich zwar keine deutliche Aufhellung bei oe24 gegenüber Kurz, aber eine leichte Zunahme von Berichten mit eher negativerer Note gegenüber den anderen Politikern, die im Fokus der Studie standen. „Bei der Tonalität müssen wir statistisch vorsichtiger sein, weil die Effekte nicht ganz so deutlich sind wie bei der Sichtbarkeit“, betonte Eberl.

Die Studienautoren wollen ihre wissenschaftliche Publikation keineswegs wie eine Art Gutachten gelesen sehen, wie Eberl gegenüber der APA betonte. Man sehe in der Analyse, die ein „Was-wäre-wenn-Szenario“ abbilde, lediglich „Muster, die grundsätzlich mit diesen Vorwürfen zusammenpassen. Es ist kein Beweis dafür, dass diese Absprachen stattgefunden haben“. Bildlich gesprochen sehe man zwar „den Rauch. Das lässt grundsätzlich darauf schließen, dass es vielleicht auch ein Feuer gab. Aber komplett ausschließen, dass es andere Beweggründe gab, können wir de facto nicht“.

Unabhängig von der noch ausstehenden juristischen Bewertung der Causa sei klar, dass die Thematik des Umgangs mit Regierungsinseraten in Österreich und anderen Ländern aus demokratiepolitischer Sicht mehr Zuwendung braucht. So sollte man über Regulationen nachdenken, „dass so etwas nicht mehr möglich ist und so ein Verdacht nicht entstehen kann“, so Eberl. Das könnte zum Beispiel „ein klares Regelwerk“ sein, das transparent und verbindlich aufdröselt, welches Medium welche Zuwendungen erhält. Das würde ungesunde bis illegale Abhängigkeiten zwischen der Politik und Medien hintanhalten, so der Kommunikationswissenschafter.

Die Publikation online: doi.org

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