Die FPÖ ist am Sonntag erstmals als stimmenstärkste Partei aus einer Nationalratswahl hervorgegangen. Laut dem vorläufigen Endergebnis inklusive Wahlkarten-Prognose kamen die Freiheitlichen auf 28,8 Prozent und hielten damit die ÖVP auf Abstand, die 26,3 Prozent erzielte. Die SPÖ stagnierte bei 21,1 Prozent, während die NEOS mit 9,2 Prozent die Grünen überholten, die auf 8,3 Prozent kamen. Die Wahlbeteiligung legte auf 78 Prozent zu.
Für die FPÖ ist es das beste Ergebnis, das sie bei einer Nationalratswahl jemals erreichte, auch das Plus von 12,6 Prozentpunkten ist Rekord. Die ÖVP hat wiederum einen historischen Verlust von 11,2 Punkten zu verdauen. Die SPÖ dürfte 0,1 Punkte einbüßen und damit das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte erreichen und zudem erstmals nur den dritten Platz holen. Während die NEOS 1,1 Prozentpunkte zulegten und damit so stark wie noch nie sind, bauten die Grünen um 5,6 Punkte ab.
Was Koalitionen angeht, dürfte sich neben einer Zusammenarbeit von FPÖ mit ÖVP oder SPÖ auch eine Mehrheit für Volkspartei und Sozialdemokraten ausgehen. Diese wäre aber eng und so könnten noch Grüne oder – realistischer – NEOS als dritter Partner ins Spiel kommen. VP-Generalsekretär Christian Stocker meinte schon am Sonntagabend angesichts des geringen Überhangs von ÖVP und SPÖ, dass dies schon „knapp“ wäre.
Die Volkspartei machte jedenfalls unter anderem in Person von Kanzler Karl Nehammer klar, dass auch jetzt das gelte, was man vor der Wahl gesagt habe – nämlich keine Koalition mit der FPÖ unter deren Parteichef Herbert Kickl. Der legte der ÖVP im Gegenzug nahe, noch einmal ein paar Nächte darüber zu schlafen und sicherte seinen Anhängern zu: „Die 29 Prozent waren hervorragend investiert.“ FP-Generalsekretär Christian Hafenecker empfahl Nehammer den Rücktritt.
Freilich hat die ÖVP auch andere Optionen. SP-Spitzenkandidat Andreas Babler streckte am Sonntagabend rhetorisch seine Hand Richtung Volkspartei aus. Schon am Montag werden die Parteigremien ein Team für Parteiengespräche nominieren, das hochrangig unter anderem von Gewerkschaft und Hauptstadt-SPÖ besetzt wird. Wiens Bürgermeister Michael Ludwig sah auch den Anspruch, Teil einer Regierung zu sein. Ganz anders der Klubobmann der Babler-kritischen burgenländischen SPÖ. Roland Fürst erkannte im Abschneiden seiner Partei „keinen Regierungsauftrag“.
NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger bot sich als eine der Wahlgewinnerinnen einmal mehr als Reformkraft einer künftigen Regierung an und auch Grünen-Bundessprecher Werner Kogler will weiter regieren, damit die Fortschritte im Klimabereich nicht gleich wieder zurückgenommen werden. Das eigene Ergebnis bedauerte er: „Es ist schon irgendwie deppert.“ Nehammer sah immerhin eine „Aufholjagd“ seiner Partei, Babler wollte das Abschneiden der Sozialdemokraten „nicht schön reden“. Kickl sah im Erfolg der FPÖ ein „Machtwort“ des Wählers.
Bundespräsident Alexander Van der Bellen kündigte noch am Abend Gespräche mit allen Parteien an und gab sich betont entspannt. Die Verhandlungen würden wohl einige Zeit in Anspruch nehmen, doch: „Das ist gut investierte Zeit.“ Aus der ÖVP gab es bereits trotz der Absage an Kickl mehrere prominente Stimmen etwa von Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner, dass der Erste auch den Regierungsauftrag bekommen sollte. Kickl erwartet diesen sichtlich und streckte wie so viele an dem Abend die Hand in Richtung aller anderen Parteien aus.
Wiewohl bei der ein oder anderen Partei eine Obmann-Debatte zu erwarten gewesen wäre, trat diese zumindest vorerst nicht ein. Nehammer sitze fest im Sattel, meinte etwa Mikl-Leitner. Oberösterreichs Landeschef Thomas Stelzer befand, dass sich der VP-Chef nichts vorzuwerfen habe. Nehammer zeigte sich überzeugt zu bleiben: „Ja, davon gehe ich aus.“ Auch beim Grünen Koalitionspartner trat kein Spitzenrepräsentant für einen Wechsel an der Spitze ein.
Zumindest leicht kritische Stimmen waren aus der SPÖ zu hören, konnte Spitzenkandidat Andreas Babler doch nicht so recht zünden. So meinte etwa der Salzburger Landesvorsitzende David Egger: „Platz 3 kann nicht unser Anspruch sein“ und weiter: „Vielleicht ist es jetzt an der Zeit, auch in Wien umzudenken.“ Burgenlands Landesgeschäftsführerin Jasmin Puchwein sagte, die Landespartei sei vom „Negativ-Trend“ im Bund mitgezogen worden.
Das Abschneiden der SPÖ ist im Detail durchaus interessant. Babler zog mit seinem Links-Kurs sichtlich in den Städten, wo er in Wien, Linz, Graz und Innsbruck mit der SPÖ Platz eins erlangte. In den ländlichen Regionen war für die Sozialdemokraten dagegen gar nichts zu holen.
Besonders genau geschaut wurde am Sonntag auf das Ergebnis in jenen Ländern, deren Landtagswahlen bevorstehen. In Vorarlberg, wo der Wahltag schon in zwei Wochen ist, konnte die ÖVP nur knapp, konkret um zwei Prozentpunkte, Platz eins verteidigen. In der Steiermark, die ebenfalls noch heuer eine Wahl zu bestreiten hat, feierte die FPÖ hingegen gar einen Kantersieg. Mit über 32 Prozent lag man fünf Punkte vor der Volkspartei. Ebenfalls Platz eins gab es Stand Sonntag Abend in Oberösterreich und dem Burgenland. In Kärnten erreichten die Freiheitlichen sogar fast 39 Prozent. In Niederösterreich und Salzburg konnte die ÖVP Platz eins retten, ebenso in Tirol. Der SPÖ blieb alleine Wien.
Nichts zu holen gab es für die Kleinparteien. KPÖ und Bierpartei enttäuschten mit unter drei Prozent und waren somit weit vom Parlamentseinzug entfernt.