Ali Nikrang ist Pianist, Komponist, Experte für Künstliche Intelligenz (KI) und forscht zur Anwendung von KI-Systemen bei kreativen Prozessen im Ars Electronica Futurelab. Nach Österreich kam er, um Musik zu studieren. Doch die Liebe zur formalen Wissenschaft, zur Mathematik und zur Logik, ließen ihn auch nicht los.
VOLKSBLATT: Vergangenes Jahr haben Sie ein Werk von Gustav Mahler präsentiert, das ein Computer vollendet hat. Unsere Kritikerin schrieb darüber „harmonisch gewöhnungsbedürftig“ und „am Ende vom Geist Mahlers gänzlich verlassen“. War mit so einer Reaktion des Publikums zu rechnen?
ALI NIKRANG: Wir haben sehr unterschiedliches Feedback bekommen. Uns von der Ars Electronica geht es nicht darum, ein System zu präsentieren, und zu sagen: das ist perfekt. Es geht uns immer darum, State of the Art als Diskussionsgrundlage zu zeigen. Es ist immer gut, wenn kritische Stimmen kommen und andere, die das gut finden. Ich bin sehr, sehr fasziniert davon, wie gut das technisch funktioniert hat. Und ich habe genau gewusst, was vor zwei Jahren möglich war — das war ein Riesensprung. Ich war extrem fasziniert, ich war fast geschockt. Es gab auch Leute im Publikum, die das sehr sehr emotional empfunden haben und nicht gewusst haben, was von Mahler ist und was vom Computer.
Kann man sagen, dass diese KI-Kompositionen beim Zuhörer die gleichen Emotionen auslösen können, als wenn sie von einem Menschen wären?
Das kann man so sagen und das ist erstaunlich! Das ist etwas, was mich immer wieder fasziniert. Wenn ich mit einem KI-System ein Stück komponiere, dann ist es ein sehr seltsames Gefühl, wenn man sich emotional angesprochen und berührt fühlt. Und man weiß auf der anderen Seite, das war ein KI-System, das das alles gemacht hat.
Die KI-Systeme werden mit Stücken von menschlichen Komponisten „gefüttert“. Wenn ich Kenner dieser Musik bin — erkenne ich dann immer, was die KI gelernt hat?
Das sollte nicht sein. Diese Systeme sollten lernen, ähnliche Musik zu komponieren. Also Musik, die menschlich klingt, emotional und natürlich. Aber sie sollten nichts komponieren, was in den Stücken, von denen sie gelernt haben, vorkommt. Das ist eine große Herausforderung für die KI-basierten Musikkompositonssysteme. Wir Menschen sind sehr gut darin, Melodien zu erkennen. Wenn dann etwas aus einem sehr bekannten Stück vorkommt, dann würde man sagen, das ist keine KI, die Musik komponiert, sondern das ist eine KI, die eine Playlist der eingespeicherten Musik wiedergibt. Aber aus der Erfahrung heraus kann man sagen, dass KI-Systeme wirklich etwas Neues machen.
Kann man das gleichsetzen mit Inspiration? Als Mensch ist man ja auch aufgewachsen mit gewisser Musik, kennt gewisse Stücke, …
Es ist ganz genauso.
Wie ist denn der Status Quo beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz bei kreativen Prozessen?
Das ändert sich immer sehr sehr schnell. Und ich bin der Überzeugung, KI-Systeme können kreativ sein, denn sie können mit sehr großen Mengen an Daten umgehen. Das System, das ich entwickle, arbeitet mit 25.000 Musikstücken. Sie können lernen, was diese Stücke ausmacht, auch Dinge, die wir Menschen gar nicht so bewusst wahrnehmen. Deshalb denke ich, dass sich KI-Systeme sehr gut dafür eignen, zumindest als Inspiration für kreative Aufgaben zu dienen. Die Systeme können für uns versteckte Beziehungen zwischen den Daten herausfinden. Früher haben Systeme auch schon Musik komponiert, die gut geklungen hat. Aber sie sind immer gleich zu neuen Themen, Ideen gegangen, immer neue Strukturen sind gekommen. Aber so würden wir Menschen nicht komponieren. Wir komponieren so, dass wir uns auf ein Thema fokussieren. Die Systeme heute sind auch fokussierter. Das heißt nicht, dass alle Probleme schon gelöst sind. Einschränkungen gibt es natürlich, aber die Faszination ist schon da, dass das alles so funktioniert.
Müssen wir Menschen anfangen, uns Sorgen um unsere Jobs zu machen oder hat KI Grenzen, die aus Ihrer Sicht, immer da sein werden?
Es gibt viele Grenzen, wo KI nicht weiter kann. Das große Problem bei KI-generierten Texten oder Musik, also allem was menschlich ist, ist dass KI-Systeme keine Bedeutungen generieren können. Das heißt, sie können Texte schreiben, die richtig sind. Aber Bedeutung können sie nicht generieren, weil man ja die Intention dazu haben muss, dass man Bedeutung generieren will. Wenn man Kunst schaffen will, muss man ja Kunst schaffen wollen. Das haben KI-Systeme nicht, das hat keine höhere menschliche Bedeutung, was sie schaffen. Wenn ein Mensch involviert wird, dann steht wieder jemand dahinter, der eine Intention hat. Ich sehe KI-Systeme nicht als Gefährdung unserer Jobs, sondern als Verstärkung. Die perfekte Unterstützung ist es, KI-Systeme als Partner zu sehen, etwas mit ihnen gemeinsam zu machen. Für Dinge, die für uns sehr schwierig wären oder sehr viel Zeit kosten würden.
Bei der Sichtweise bleibt KI aber Werkzeug, oder?
Nicht unbedingt. Das ist eine gute Frage und eine neue Diskussion. Ich glaube, KI-Systeme haben das Potenzial, als Gegenüber, als Partner benutzt zu werden. In unserer Vorstellung sind Werkzeuge immer sehr simpel und haben begrenzte Möglichkeiten, wie man sie benutzt. KI-Systeme sind aber sehr komplex. Und je komplexer sie sind, desto schwieriger ist es, sie als Werkzeuge zu bedienen. Optimalerweise findet man ganz neue Arten von Interaktion, bzw. Kollaboration, mit diesen Systemen, um ihr Potenzial zu nutzen und mit unserem zu verbinden.
Häufig kommen Experten zu dem Schluss, dass die Beschäftigung mit Künstlicher Intelligenz auch immer eine intensive Auseinandersetzung mit uns Menschen ist. In Ihrem Fall würde die Frage also lauten: Was macht ein Genie zum Genie? Oder: Was hat Mozart zu Mozart gemacht?
Es wird immer offensichtlicher: Wenn man ein KI-System bauen will, das unsere Intelligenz simuliert, dann muss man sich mit dem beschäftigen, was uns Menschen ausmacht. Nur da haben wir ein Problem: Wir wissen selber nicht so genau, was uns Menschen ausmacht!
Es geht meiner Meinung nach nicht darum, dass ein Produkt entstehen soll, das wie Mozart komponiert. Wir wollen verstehen, wie eine kreative Aufgabe mit solchen Modellen gelöst werden kann. Das ist ein Spiegel für uns selbst. Wenn ein KI-System ein Stück komponiert, von dem viele Menschen nicht sagen können, ob es von Mahler ist, oder nicht — dann ist es natürlich auch die Frage, was ein Genie wie Mahler ausmacht. Auf der einen Seite ist die Intention des Komponisten, die andere Seite ist aber auch, wie die Zuhörer die Musik wahrnehmen, interpretieren. KI-Systeme können die eine Seite übernehmen, weil sie etwa von Mahler lernen, also immerhin von Daten, die durch Intention entstanden sind. Vielleicht merken wir, dass Kunst eigentlich etwas ist, das hauptsächlich bei den Zuhörern passiert. Das war früher nicht relevant. Man stellte sich Kunst ganz romantisch vor, ein Genie sitzt am Tisch mit Kerze … Aber vielleicht ist das gar nicht so. Auch Genies haben viel gelernt in ihrem Leben, haben aber trotzdem etwas, was noch unerkannt ist. Wir werden irgendwann wissen, was das ausmacht.
Interview: Mariella Moshammer