Noch ist nicht einmal klar, ob Marcel Hirscher am kommenden Wochenende in Sölden sein Comeback im Ski-Weltcup zelebrieren wird. Dennoch dominiert er seit Wochen die Berichterstattung. Die Meinungen darüber, auf welchem Level sich der 35-Jährige derzeit bewegt und was er sportlich erreichen kann, gehen leicht auseinander. Bei seinen Kollegen und Kolleginnen überwiegen aber Respekt und Bewunderung für den Salzburger, der nach fünf Jahren Absenz wieder die Ski-Welt elektrisiert.
So ist für Lucas Braathen, der selbst in diesem Jahr sein Comeback vollzieht, die Sache klar: Mit der Rückkehr von Hirscher werde „ein Traum wahr“, sagte der Norweger, der nun für Brasilien startet. „Zusammen mit Ted Ligety ist er der Skifahrer, den ich im Laufe meiner Karriere am meisten studiert habe. Marcel hat mich schon inspiriert, bevor ich in den Weltcup kam. Aber eine Sache hat gefehlt: Ich hatte nie wirklich die Chance, mich mit ihm zu messen.“
Eine „Riesengeschichte“ sei die Rückkehr seines langjährigen Rivalen und Freundes, sagte Felix Neureuther. Hirscher sei „genau einer der Charaktere und Protagonisten, die wir dringend brauchen“. Auch Manuel Feller sieht das Wiedersehen mit Hirscher positiv – und zwar aus ganz persönlichen Gründen. Der Tiroler ist ein früherer Teamkollege und Kumpel des siebenmaligen Weltmeisters. Die beiden seien „immer gute Freunde“ gewesen, betonte Feller. Sogar die Kinder der beiden „gehen öfter miteinander spielen, weil sich unsere zwei Frauen besser kennen“.
Rätselraten gibt es allerdings bezüglich der Form des achtfachen Weltcup-Gesamtsiegers. Angeheizt wurde das durch Hirscher selbst, da er so gut wie keine Interviews gab und wenn doch, dann nicht über Zeiten oder Ziele sprach. Seine körperliche Verfassung sei nicht mehr mit jener vor seinem Rücktritt vor fünf Jahren vergleichbar, und die Abstimmungsarbeiten beim Material seien längst nicht abgeschlossen, erklärte der noch immer verbissene Tüftler. Erschwerend hinzu kam, dass er auch krankheitsbedingt nur wenige Trainingstage auf Schnee absolvieren konnte. Ohnehin stehe bei seinem Projekt aber der Spaß im Vordergrund.
„Ich weiß nicht, wie gut er schon in Form ist. Aber ich finde es großartig, dass er wieder Rennen fährt“, sagte US-Star Mikaela Shiffrin. „Er war acht Jahre lang der beste Skifahrer der Welt, von dem her ist ihm alles – auch Siege – zuzutrauen. Natürlich kann man nicht erwarten, dass er so zurückkommt, wie er aufgehört hat. Er muss aber auch niemandem mehr etwas beweisen“, meinte Feller über den neuen Star des niederländischen Ski-Teams.
Hermann Maier, ein anderer österreichischer Ski-Gigant, ließ unlängst mit seiner Einschätzung aufhorchen. „Für mich ist er in der Lage, aus dem Stand zu gewinnen. Er wird von den ersten Rennen weg zu den Siegläufern gehören“, prophezeite der Gewinner von 54 Weltcup-Rennen im Kurier-Gespräch. Bei Hirscher sind es bis dato 67 Siege – laut Maier könnten noch welche dazukommen. „Er hat ja nicht plötzlich wieder mit dem Skifahren angefangen, sondern war ständig dabei. Er hat sich skifahrerisch weiterentwickelt, war viel im Gelände unterwegs und hat auch den Vergleich mit Henrik Kristoffersen, Alexis Pinturault oder einigen anderen gehabt.“
In der vergangenen Woche trainierte Hirscher in Sölden auch mit den Österreichern und holte sich da den direkten Vergleich. Ob er dabei schon alles gegeben habe, „mag ich bezweifeln“, meinte ÖSV-Alpinchef Herbert Mandl als Zaungast. Doch auch schon vor seinem vermeintlichen Karriereende war Hirscher des Öfteren nicht bei den Schnellsten, wenn er mit der Mannschaft trainierte. „Er war ja schon immer ein bisschen ein Tiefstapler“, sagte Neureuther. „Damit ist er aber immer gut gefahren, es nimmt ihm vielleicht auch etwas den Druck.“
Stefan Kraft traut Hirscher „genau das zu, was er sagt. Ich glaube ihm, dass noch was fehlt, und wenn er in die 15 kommt, ist es gut“, urteilte der Skispringer. Es sei etwas anderes, mit Nummer 30 oben zu stehen. „Er weiß, er muss 100 Prozent Risiko gehen, da werden Fehler passieren. Er ist es nicht mehr gewöhnt, ist fünf Jahre kein Rennen gefahren. Das macht schon etwas mit einem. Deshalb ist das nicht dahergeredet, dass er vielleicht auch nicht in den zweiten Durchgang kommt.“ Allerdings traue er Hirscher auch Stockerlplätze zu. „Es ist auf alle Fälle sehr spannend. Ich werde sicher den Fernseher einschalten, wenn der Marcel fährt.“
Nur Hirscher bestimmt, ob er schon in Sölden bereit ist für die Rückkehr. Er wird nur dann starten, wenn er sich auch wirklich wohl und konkurrenzfähig fühlt. Nach zwei guten Trainingstagen in Hintertux, hieß es am Dienstag aus seinem Umfeld, werde er seine Entscheidung voraussichtlich am Freitagvormittag treffen. Eine Aussendung des niederländischen Skiverbandes, wonach sein Start definitiv beschlossen sei, dementierte man beim Team Hirscher. Die Meldung sei auf ein Missverständnis zurückzuführen. Der erste Riesentorlauf und gleichzeitig der erste Bewerb der Saison ist am Sonntag angesetzt. Sein bisher letztes Rennen hat der Salzburger 2019 bestritten. Am 17. März wurde er beim Weltcup-Finale in Soldeu im Slalom 14.