Gerade dreht er den Sechsteiler „Die Macht der Kränkung“, am 1. und 2. November laufen auf ORF zwei Folgen der Erfolgsserie „Vienna Blood“ mit Jürgen Maurer, die er inszeniert hat.
Seine Karriere hat der Wiener Regisseur Umut Dag mit beeindruckenden Filmen wie „Kuma“ und „Risse im Beton“ begonnen.
VOLKSBLATT: Robert Dornhelm hat die erste Folge von „Vienna Blood“ inszeniert, Sie Folge 2 und 3. Dornhelm hat nun nach überstandener Covid19-Erkrankung gesagt, er würde seine Erfahrungen damit in den weiteren Folgen verarbeiten. Ziehen Sie auch aus so extremen Erfahrungen Inspiration für Ihre Arbeiten?
Darauf bin ich gespannt, das klingt aufregend. Natürlich ist man in der Arbeit nicht losgelöst von den eigenen Erfahrungen und der eigenen Welt. Dies bestimmt auch den eigenen Geschmack. Die Frage ist eher, wie man mit diesem umgehen kann, ohne dass er einem im Weg steht, wenn ein Projekt etwas anderes erfordert als das, was man vielleicht persönlich als richtiger empfindet.
War das bei „Vienna Blood“ so eine Situation?
Es war ein Projekt, das in der Stilistik in eine andere Richtung ging als alles, was ich bisher gemacht habe. Das ist genau, wofür man dankbar ist – wenn man die Komfortzone verlassen muss.
Bietet so ein „Kostümdrama“ andere Möglichkeiten, als wenn man eine Geschichte im Heute erzählt?
Ja, weil man mit der Geschichte insofern spielen kann, als diese um die Jahrhundertwende viele Parallelen zur jetzigen Zeit aufweist. Damit kann man auch eine Allegorie zur heutigen Zeit schaffen. Das war natürlich ein Reiz. Bei aller Liebe zum „Kostümdrama“ muss man darauf achten, dass es nahbar für den Zuschauer ist, der heute lebt.
War das Drehen auf Englisch herausfordernd?
Natürlich. Wenn man deutsch denkt und fühlt, muss man nicht darüber nachdenken, was man sagt, wenn man mit Schauspielern und der Crew redet. Die Kommunikation war permanent auf Englisch, witzigerweise auch mit den österreichischen und deutschen Schauspielern — es war wichtig, dass die englischen Producer verstehen konnten, was geredet wird.
Sie drehen gerade „Die Macht der Kränkung“ — wie geht es Ihnen mit oder trotz Corona?
Es ist eine Herausforderung, aber man gewöhnt sich daran. Jeder ist mit Maske unterwegs, alle werden zweimal die Woche getestet. Es gibt ganz strenge Maßnahmen, um das Projekt nicht zu gefährden. Aber klar, trotzdem sind am Ende des Tages alle bei ihren Familien und es ist nichts auszuschließen. Auf jeden Fall wird in der Filmbranche das Bestmögliche getan, um das Risiko zu minimieren und die Dreharbeiten am Laufen zu halten. Dreharbeiten, die stehen, kosten so viel mehr. Die Auswirkungen würden wir sonst nächstes Jahr sehen, wenn keine Serien und Filme mehr ausgestrahlt werden.
Wie haben Sie als Künstler, aber auch ganz privat, die vergangenen Monate inklusive Lockdown erlebt?
Zuallererst war das als Familienvater mit drei Kindern nicht leicht und ich bin sehr dankbar für die Unterstützung meiner Frau (Schauspielerin Martina Ebm, Anm.) und Familie. Ich war ja trotz Lockdown die ganze Zeit in der Vorbereitung für diese Serie und musste, wie so viele Menschen in Österreich, von zuhause aus arbeiten — was mit Kindern im Kindergartenalter noch einmal eine ganz eigene Herausforderung war. Dementsprechend war das eine Zeit, die mich auch ausgelaugt hat. Es ist bereits bei „normalen“ Bürojobs schwierig, aber bei Dreharbeiten, wo jeder Drehtag 40.000 Euro oder mehr kostet, 40 Menschen auf einen warten und der Dreh dann auch noch ausgesetzt werden muss … Oder bei meiner Frau am Theater, wo es Probentermine gibt, fixe Premieren. Wenn ein Kindergarten geschlossen wird, wo sollen die Kinder dann hin? Was soll dann mit der Premiere passieren?
„Die Macht der Kränkung“ beruht auf dem Buch von Reinhard Haller. Und der sieht in gekränkter Eitelkeit die Ursache für viele Verbrechen, aber auch die Möglichkeit, an Verletzungen der Seele zu wachsen. Kennen Sie das auch?
Jeder von uns kennt, glaube ich, Kränkungen. Ob es Kränkungen der Eitelkeit sind oder Kränkungen im Alltag, die man oft gar nicht begreift. Oft sind es ja Dinge, die man salopp sagt, und gar nicht so meint — aber beim Gegenüber kommen sie verletzend an. Das ist wie ein stetiger Tropfen, der einen in den Wahnsinn treibt. Menschen werden immer wieder in ihrem Selbstwertgefühl gekränkt und verletzt. Irgendwann führt das dann als Reaktion zu einer Affekthandlung. Um aus diesen Kränkungen wachsen zu können, muss man echt psychisch gefestigt sein — ohne borniert zu sein oder es mit einer falschen Eitelkeit zu verdrängen. So nimmt man auch nichts wirklich wahr. Das ist dann nur neurotisch, narzisstisch, wenn man sich nie etwas eingestehen kann.
Was Haller auch sagt, ist, dass hinter nach außen präsentierter Coolness und Stärke häufig eine große Anfälligkeit für Kränkungen steht. Die Hauptfigur Ihrer Serie, Georg — ist der so ein Typ für Sie?
Georg, der von Murathan Muslu gespielt wird, ist auch aufgrund der Besetzung schon jemand, der gut aussieht, ganz klar eine Coolness hat. Aber Georg hat auch ein Schicksal, das ihn sehr verletzlich macht — er muss sich um seine Freundin kümmern, die durch einen Unfall erblindet ist. Das macht ihn wieder auf eine andere Art nahbar. Er steht nicht über den Dingen, weil er bereits sein Päckchen zu tragen hat. Das ist das Besondere an der Serie, alle Figuren haben eine Vergangenheit oder auch eine Gegenwart zu durchleben, welche sie an ihre Grenzen bringt. Sie werden alle an den Rand des Ertragbaren getrieben. Das Spannende wird sein, alles miterleben zu können.
Sie und Murathan Muslu, das ist ein sehr bewährtes Erfolgsrezept. War er für Sie von Anfang an die ideale Besetzung für den Georg?
Es ist diesmal ganz anders gelaufen, ziemlich lustig eigentlich. Murathan war von Produktion und Redaktion schon besetzt, bevor ich zum Projekt kam. Und irgendwie hatten sie auch nicht auf dem Schirm, dass ich Murathan entdeckt hatte. Sie haben zu mir gesagt: „Du, Murathan ist fixiert, mit ihm drehen wir! Also, nur dass du es weißt, es geht nur mit Murathan, ihn kannst du nicht umbesetzen.“ Und ich dachte nur so: „Mhm“. Es war eine skurrile Situation, irgendwie. Ich fand´s lustig, dass sich alles so geändert hat. Das hat mich noch einmal zum Nachdenken angeregt, wie schnell die Zeit vergeht. Wie viele Jahre schon vergangen sind, seitdem wir gemeinsam den ersten Kurzfilm gedreht hatten — Murathan hatte noch nie etwas gedreht und ich war noch an der Filmakademie. Das ist wirklich lange her und hat mich noch einmal an die Vergänglichkeit des Lebens erinnert. Komisch, wie man so an das Älterwerden denkt.
Aber es funktioniert noch immer gut zwischen ihnen, auch wenn Sie jetzt nicht mehr ihn aussuchen?
Ja, total. Es ist immer etwas anders, mit Menschen zu drehen, mit denen man oft dreht, weil man da auch eine Freundschaft zueinander aufbaut. Und wenn man so eine persönliche Beziehung pflegt, dann geht man anders miteinander um. Das hat Vor- und Nachteile. Das ist wie Familie. Man geht ja auch mit Familienmitgliedern anders um als mit Freunden, Bekannten und Arbeitskollegen.
Wenn man das mischt, hat das eine eigene Dynamik. Das muss man immer irgendwie abwägen und versuchen, in das Große und Ganze des Projekts einzuarbeiten.
Wie kam es dazu, dass auch in Linz gedreht wurde?
In Linz gibt es die UNO-Shopping, eine aufgelassene Shoppingcity. Wir haben das Innenleben des Gebäudes genutzt, denn der Handlungskern der Serie ist ein Einkaufszentrum. Wir waren froh, dass es in Linz etwas gibt, wo wir unser Einkaufszentrum hineinbauen konnten.
Dort erzählen wir das meiste. Bei uns heißt es „Sunshine City“.
Mit Regisseur UMUT DAG sprach Mariella Moshammer