Kampf um Kunden: Temu und Shein greifen Amazon an

Experten rechnen beim Onlinehandel nur mit einem Prozent Umsatzplus - Temu und Shein legen kräftig zu

Die Onlineplattform Temu ist hierzulande sehr umstritten. © Thaspol - stock.adobe.com

An seine Boomzeiten mit zweistelligen Wachstumsraten während der Pandemie kann der Onlinehandel in Deutschland nicht anknüpfen. Nach einem schwachen Jahr 2022 wurde es 2023 nicht viel besser. Prognosen zufolge bringt auch heuer nicht den erhofften Aufschwung.

Experten des Kölner Handelsforschungsinstituts EHI erwarten für die größten 1.000 Onlineshops nominal ein Plus von einem Prozent. Preisbereinigt müssen Händler mit einem Minus rechnen. Ein Ende der Krise ist nicht in Sicht.

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„Der Onlinehandel leidet darunter, dass das Geld der Verbraucher woanders hinfließt, zum Beispiel in Reisen und Konzerte“, sagt der E-Commerce-Experte des EHI, Lars Hofacker. „Viele Händler sind in der Vergangenheit aus der großen Nachfrage heraus gewachsen und durch die gestiegenen Kosten aktuell sehr gefordert.“ Das heißt nicht, dass es für alle Shops schlecht läuft. Zu den Gewinnern zählten zuletzt die asiatischen Online-Plattformen.

Der in China gegründete Modehändler Shein steigerte seinen Umsatz in Deutschland im vergangenen Jahr um 30 Prozent und belegt in der Rangliste der umsatzstärksten Online-Shops Platz 18.

Auch bei den Marktplätzen – also Internetseiten, auf denen Verbraucher von mehr als einem Unternehmen Dinge zum Kauf angeboten werden – mischen die Asiaten vorn mit. AliExpress belegte den vierten Platz. Temu, das erst seit April 2023 in Deutschland aktiv ist, verpasste den Einzug in die Top 10 knapp.

Vor allem Temu und Shein legen einen steilen Aufstieg hin. Laut Branchenverband BEVH entfallen inzwischen fünf Prozent der Bestellungen im deutschen Onlinehandel auf die beiden Anbieter. Diese haben ihren Marktanteil binnen eines Jahres mehr als verdoppelt. Temu lag bei den Bestellungen im zweiten Quartal bereits auf dem vierten Platz hinter Amazon, eBay und Otto.

Die asiatischen Portale setzen die Etablierten unter Druck. Können sie die Dominanz von Marktführer Amazon brechen? „Temu und Shein zwingen Amazon in Deutschland zum ersten Mal seit knapp zehn Jahren, die Strategien anzupassen“, sagt der E-Commerce-Experte Alexander Graf. Amazon habe den Markt bisher geprägt, auf das radikale Geschäftsmodell von Temu und Shein aber kaum Antworten. Das werde sich mittelfristig im Umsatz bemerkbar machen.

Temu und Shein bieten viele Artikel zu günstigen Preisen an. Durch den starken Preisfokus der Kunden profitierten sie zuletzt von der schlechten Konsumstimmung im Land. Nach Angaben des Handelsverbandes Deutschland (HDE) versenden Temu und Shein zusammen täglich rund 400.000 Pakete in die Bundesrepublik. Shein bestreitet, dass die Zahl so hoch ist.

Shein und Temu polarisieren, seit sie die Handelsbühne betreten haben. Sie schnappen gestandenen Playern wie Otto Umsatz weg. Laut einer Schätzung des Handelsverbands Textil Schuhe Lederwaren (BTE) kauften die Deutschen 2023 rund eine Milliarde Modeartikel und Schuhe bei asiatischen Anbietern. Shein und Temu konkurrieren mit Amazon & Co nicht nur um Käufer. Sie haben ihre Online-Marktplätze zuletzt auch für deutsche Händler geöffnet.

Branchenvertreter sind nicht gut auf die neue Konkurrenz zu sprechen. „Hier wird der Markt mit oft fragwürdiger oder minderwertiger Ware überschwemmt, die in der EU zum Teil gar nicht verkauft werden darf“, sagt BTE-Geschäftsführer Axel Augustin. Shein und Temu weisen die Vorwürfe zurück. Augustin und andere fordern mehr Regulierung durch die EU und fairere Wettbewerbsbedingungen.

Die deutsche Regierung möchte sich gemeinsam mit anderen Staaten in der EU für eine stärkere Kontrolle der Anbieter starkmachen. So sollen konsequent Strafen verhängt werden, falls sich Onlinehändler nicht an geltende Regeln halten und beispielsweise nichts unternehmen, wenn Produkte auf ihren Seiten als unsicher eingestuft werden.

Auch bei Kunden gibt es Bedenken. Portale wie Shein und Temu sind gut 60 Prozent der Verbraucher zu unsicher, wie eine Umfrage des Kölner Handelsforschungsinstituts IFH zeigt. Vor allem bei Besserverdienern, Männern und Personen ab 50 sind die Vorbehalte groß. Viele fürchten, dass die bestellten Artikel von minderwertiger Qualität sind.

Werner Reinartz, Professor für Marketing an der Universität zu Köln, sieht in dieser Unsicherheit eine Chance. Andere Händler könnten sich durch Vertrauen von Plattformen wie Temu und Shein differenzieren und profilieren.

Branchen-Studien können dem Onlinehandel zumindest etwas Mut machen. So sind nicht nur die Verunsicherung der Konsumenten und der Fokus auf Preise und Angebote leicht rückläufig. In fast allen Bereichen verschieben sich die Käufe immer weiter von stationären Geschäften ins Internet.

Der Verband BEVH sah zuletzt leicht positive Signale. Zwischen April und Juni gönnten sich Verbraucher wieder mehr. So wurde das erste Marktwachstum im Onlinehandel seit zwei Jahren verbucht. Von Optimismus könne aber noch keine Rede sein, heißt es.

Der Boom während der Pandemie ist für den E-Commerce psychologisch zur Last geworden. Daran wird die Branche nun gemessen. Der Hauptgeschäftsführer des HDE, Stefan Genth, wirbt deshalb um Nachsicht. „Die Coronajahre mit den geschlossenen stationären Geschäften haben der Branche große Umsatzsprünge verschafft. Da ist es ganz normal, dass die weitere Entwicklung dann nicht in diesem Tempo weitergehen kann.“