Produktivitätsrat sieht Österreich „am Scheideweg“

Der 2022 ins Leben gerufene Produktivitätsrat unter dem Vorsitz von Fiskalratspräsident Christoph Badelt sieht Österreichs Wettbewerbsfähigkeit in Gefahr, auch wegen Versäumnissen bei der Digitalisierung und in der Energiepolitik. In seinem „Produktivitätsbericht 2024“ fordert er eine Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik und empfiehlt der neuen Regierung unter anderem eine umfassende Digitalisierungsoffensive und einen rascheren Ausbau erneuerbarer Energien.

In den 1980er-Jahren sei die Arbeitsproduktivität im Durchschnitt noch um über 4 Prozent pro Jahr gewachsen, erklärte Badelt. Im Jahr 2023 habe das Produktivitätswachstum nicht einmal 0,5 Prozent betragen, sagte Badelt am Mittwoch bei der Präsentation des 157 Seiten starken Berichts.

Treibhausgas-Reduktionsziele werden wahrscheinlich verfehlt

„Österreich steht am Scheideweg“, sagt Badelt. „Steigende Arbeits- und Energiekosten belasten die Wettbewerbsfähigkeit der Exporteure und zusätzlich hemmt der Arbeitskräftemangel das Wachstum. Die Einkommen sind in Österreich zwar hoch, doch nicht alle Bevölkerungsgruppen profitieren davon und das Ausmaß der absoluten Armut ist zuletzt gestiegen.“ Die grüne Transformation und die Digitalisierung würden hohe Investitionen erfordern, was durch die Rezession und eine angespannte budgetäre Lage erschwert werde, so Badelt. „Wir sind bei der grünen und digitalen Transformation zwar schon weitergekommen, aber wir werden voraussichtlich die Treibhausgas-Reduktionsziele verfehlen.“

Ein verstärkter Einsatz digitaler Technologien könnte die Produktivität stark verbessern, meint der Ökonom Andreas Reinstaller vom Büro des Produktivitätsrates in der Nationalbank, der den Produktivitätsbericht in wesentlichen Teilen mit verfasst hat. In zentralen Bereichen – IT-Fachkräfte, Infrastruktur und Anwendung durch Unternehmen – sei Österreich aber im EU-Vergleich „bestenfalls Mittelfeld, in sehr vielen Bereichen eher ein Nachzügler“. Dabei stehe die EU insgesamt im internationalen Vergleich nicht besonders gut da.

ElWG sollte Thema bei Koalitionsverhandlungen sein

Auch der Ausbau von erneuerbaren Energien und der Energieinfrastruktur müsse beschleunigt werden, lautet eine weitere Handlungsempfehlung an die künftige Regierung. In Österreich sei die Koppelung zwischen Erdgas- und Strompreisen stärker als in anderen Ländern, was den Preiseffekt verstärke, während die Substitutionsmöglichkeiten der Unternehmen gering seien. Allerdings hätten bei den meisten Unternehmen die Energiekosten einen relativ geringen Anteil an den Gesamtkosten. „Selbst in den so genannten energieintensiven Sektoren liegt die durchschnittliche Energieintensität dort bei circa 3 Prozent der Kosten.“ Bei einigen Unternehmen liege dieser Anteil wesentlich höher. „75 Prozent des gesamten Energieverbrauchs in der Industrie in Österreich werden von circa 170 Unternehmen bestritten.“

Die Empfehlungen des Produktivitätsrates richten sich aber nicht nur „an eine fiktive Bundesregierung, die es hoffentlich bald geben wird“, sondern auch an das Parlament, sagte Badelt und verwies auf das Elektrizitätswirtschaftsgesetz (ElWG), „das im Parlament leider nicht die Zweidrittel-Mehrheit bekommen hat und damit in der letzten Legislaturperiode nicht mehr verabschiedet worden ist. Das ist wirklich ein Schaden, weil man da viele Dinge hätten klarstellen und regeln können, die wir brauchen werden.“ Das müsse dringend nachgeholt werden und ein Thema bei den Koalitionsverhandlungen sein.

Pensionsantrittsalter an Lebenserwartung koppeln

Durch das Schrumpfen der Erwerbsbevölkerung werde das Wirtschaftswachstum gebremst, warnt Badelt. Zur Mobilisierung des Arbeitskräftepotenzials empfiehlt er Maßnahmen zur Erhöhung der Erwerbsbeteiligung von Frauen und älteren Menschen. Dafür seien mehr Kinderbetreuungsplätze und flexible Arbeitszeitmodelle für Frauen notwendig. Das Pensionsantrittsalter sollte an die Lebenserwartung gekoppelt und schrittweise angehoben werden.

Die Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt sollte durch die Stärkung der frühkindlichen Förderung verbessert werden, empfiehlt der Produktivitätsrat. Zwar seien im Finanzausgleich 2024 bis 2028 zusätzliche Mittel für die Verbesserung der Betreuung und Bildung von Kindern im Vorschulalter bereitgestellt worden, allerdings fehle es weiterhin an einheitlichen Qualitätsstandards und klaren Zielen. Konkret empfiehlt das Gremium unter anderem Sprachförderung für Kinder mit Migrationshintergrund und ein zweites verpflichtendes Kindergartenjahr. Bei vielen Kindern seien die Deutschkenntnisse beim Schulantritt so mangelhaft, dass die dem Unterricht nicht folgen können und später dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen. „Wir könnten und sollten uns nicht leisten, auf diese Arbeitskräfte zu verzichten.“

Der Produktivitätsrat analysiert die langfristige Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit Österreichs und gibt in seinem jährlichen Bericht an den Nationalrat auch Empfehlungen an die Bundesregierung. Das fünfköpfige Gremium unter dem Vorsitz von Christoph Badelt wird von einem Büro unterstützt, das bei der Oesterreichischen Nationalbank angesiedelt ist. Der aktuelle Produktivitätsbericht 2024 steht zum Download zur Verfügung: produktivitaetsrat.at

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