Wo die Uhren nach österreichischer Zeit ticken

In einem Tal in der Ukraine leben Deutsch sprechende Nachfahren von Holzarbeitern aus dem Salzkammergut

Die Reise nach Königsfeld ist eine in die Vergangenheit: In dem kleinen ukrainischen Dorf leben noch rund 20 Familien mit oö. Wurzeln. Auch Lina, Inhaberin des örtlichen Lebensmittelmarktes, zählt dazu.
Die Reise nach Königsfeld ist eine in die Vergangenheit: In dem kleinen ukrainischen Dorf leben noch rund 20 Familien mit oö. Wurzeln. Auch Lina, Inhaberin des örtlichen Lebensmittelmarktes, zählt dazu. © Dominik Geiger

Sie tragen zu besonderen Anlässen „unsere“ Tracht, sprechen Salzkammergut-Dialekt und bewohnen ein Dorf in einem abgelegenen Tal im Westen der Ukraine. In Königsfeld in Transkarpatien gibt es 20 Familien mit oberösterreichischen Wurzeln.

Der Wiener Fotograf Dominik Geiger hat das Leben dort mit der Kamera festgehalten. Bis 8. April kann man Prints in limitierter Auflage online (www.HelloWorldGallery.com) erwerben: Der Reinerlös kommt der Aktion SOS-Nothilfe Ukraine zugute.

„Wenn man in das Tal kommt, ist es, als würde man in eine andere Zeit versetzt werden oder eine abgelegene Gegend im Salzkammergut besuchen“, sagt Geiger. Viel Wald, viele Hügel — die Landschaft erinnere an das Alpenvorland. Nachdem ihm ein Freund von der oberösterreichischen „Enklave“ in der Ukraine erzählt hat, hat Geiger sich Ende 2019 mit Bahn und Bus auf den weiten Weg gemacht.

Umgesiedelt 1775 von Maria Theresia

Maria Theresia war es, die 1775 Menschen aus dem Salzkammergut hierher umgesiedelt hat, Familien, aber auch Verwitwete und Freiwillige: 114 Personen aus Ebensee, 87 aus Ischl und 27 aus anderen Kammergut-Orten sollten die Holzbeschaffung aus der entlegenen Gegend in der Ukraine besorgen.

Holz war ein wichtiger Rohstoff für den Salzabbau. „1775 gab es dort nichts“, erzählt Geiger. „Zunächst wurde Deutsch Mokra gegründet, später Königsfeld, das zum Hauptort im Tal wurde, weil es sich, an einer Flussgabelung gelegen, besser für die Holzwirtschaft eignet.“ Die Menschen hier leben immer noch davon und ziemlich autark. Die Straßen sind zu schlecht, um das Tal täglich zum Arbeiten zu verlassen.

Bis vor ein paar Jahren wurden jedes Jahre österreichische Zivildiener nach Königsfeld geschickt, um die dort lebenden Nachfahren der oö. Auswanderer zu unterstützen. Deutsch wird heute noch in der örtlichen Hauptschule unterrichtet, die Menschen sprechen einen Salzkammergut-Dialekt, der freilich nach 250 Jahren ein wenig verstaubt daherkommt. „Das Schöne ist — und das soll meine Arbeit auch zeigen —, dass unterschiedliche Kulturen friedlich neben- und miteinander leben“, sagt Geiger. Es gibt eine römisch-katholische und eine griechisch-orthodoxe Kirche. An der Hauptstraße stehen Häuser mit für das Salzkammergut traditionellen Schindeldächern.

Fischer-Ski, Bräuche und Tracht aus der alten Heimat

Und vor manchem Haus lehnt im Winter noch ein Paar Fischer-Ski am Gartenzaun: „In den 1960ern und 1970ern gab es hier ein kleines Skigebiet, österreichische Marken waren sehr beliebt“, erzählt Geiger. Von einer österreichischen Firma wurde sogar ein Schlepplift im Tal betrieben. Auch traditionelle Feste und Bräuche aus der alten Heimat werden noch immer gern gefeiert. Bei Umzügen trägt man Tracht aus der Ukraine und aus dem Salzkammergut. Die Dorfbewohner stellen ihre Uhren sogar nach österreichischer, also Mitteleuropäischer Zeit.

Wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage sind in den letzten Jahrzehnten immer mehr junge Leute weggezogen, viele gingen wegen der Sprache nach Österreich und Deutschland. „Das sorgt auch dafür, dass die Königsfelder Österreicher immer weniger werden und vorwiegend ältere noch da sind.“ Lina, deutschsprachige Besitzerin des Lebensmittelmarktes, hat Geiger erzählt, dass ihre Tochter sich in einen der Zivildiener aus der alten Heimat verliebt habe und mit ihm in seine Heimatstadt Linz gezogen sei.

Der Fotograf hält die Verbindung nach Königsfeld aufrecht, der herzliche Empfang und die Freundlichkeit der Menschen haben ihn begeistert. „Ich habe von ihnen gelernt, wenn man nicht viel hat, auch das Wenige wertzuschätzen.“ Man sei Österreich gegenüber sehr positiv eingestellt, er habe aber trotzdem das Gefühl, dass man die Menschen dort vergessen habe und seine Ausstellung deshalb „Tal der Vergessenen“ genannt.

80 Kilometer entfernt tobt der Krieg

Aktuell macht Geiger sich große Sorgen um das Dorf: „Es sind viele Ukrainer ins Tal geflüchtet, weil sie dachten, dort vor russischen Angriffen sicherer zu sein.“ Die Schule wurde in eine Flüchtlingsunterkunft umfunktioniert. Mit Spenden aus Österreich und Deutschland würden sich die Menschen Lebensmittel kaufen, so Geiger. Indes rückt das Kriegsgeschehen näher, ist nur noch rund 80 Kilometer von Königsfeld entfernt …

Von Melanie Wagenhofer