ZIB-Mann Tarek Leitner: „Zuweilen verliere ich die professionelle Distanz“

ZIB-Mann Tarek Leitner über die ORF-Isolation

ZIB1-Moderator,Journalist und Autor Tarek Leitner in der Isolation und nebender Arbeit eines kreativen Grafikers. © Dieter Spet-Wassertheurer

Der gebürtige Linzer Tarek Leitner (47) wohnt derzeit mit ORF-Kollegen im Isolationsbereich am Küniglberg in Wien, um den Sendebetrieb unter allen Umständen sicherzustellen.

Die ersten Tage in der ORF-Isolation haben Sie hinter sich gebracht. Wie geht es Ihnen damit?

Wir sind ein kleineres Team als sonst und haben sehr viel mehr Sendungen zu produzieren. Das heißt, wir kommen alle nicht viel zum Nachdenken, wie es uns damit geht. Aber wenn ich jetzt doch kurz innehalte, muss ich sagen, bisher überraschend gut.

Wird gut für alle gesorgt?

Der ORF hatte binnen weniger Tage für viele Personen eine Wohninfrastruktur hergestellt. Das war ohne Zweifel eine Herkulesaufgabe. Ist aber gut gelungen – jetzt wird es fast schon luxuriös. Wir haben mittlerweile richtige Teller und auch Besteck. Eine Zeit lang ohne Frühstücksei auszukommen, das sollte dann doch jeder aushalten.

Wie schaut der Alltag aus, wenn man 24 Stunden am Tag am Arbeitsplatz ist?

Der Weg zur Arbeit ist deutlich kürzer. Von meinem Schlaf-Büro über die Dusche und den Frühstücksraum sind es nur fünf Minuten in den Newsroom. Das macht den außergewöhnlichen Alltag auch ein bisserl leichter.

Womit beschäftigen Sie sich am Küniglberg, wenn Sie nicht im Dienst sind?

Ich habe mir viele Materialien mitgenommen, die ich aufarbeite. Nachdem ich unmittelbar vor der Corona-Krise ein Buch geschrieben habe, für das ich viele Dokumente und Filme aus meinem Familienarchiv gebraucht habe, wird das jetzt sortiert. Das ist eine schöne Arbeit, bei der ich entspannen kann. Außerdem habe ich sicherheitshalber viele Bücher mitgenommen. Und: Gelegentlich brauchen die Kinder Hilfe beim Lernen. Per Videokonferenz ist das nicht so leicht.

Wächst man mit den Kollegen enger zusammen oder geht man sich auf die Nerven?

Noch überwiegt Ersteres. Ich habe Menschen kennengelernt, die dort arbeiten, wozu man „kritische Infrastruktur“ sagt, in Sende-Kontrollräumen hinter Panzerglas, wo das Herzstück des ORF-Zentrums ist. Die sind dafür verantwortlich, dass das, was wir im ZiB-Newsroom produzieren, hinaus in die Welt geht. Ohne diese außergewöhnliche Arbeitssituation hätten wir uns wahrscheinlich nicht kennengelernt. Und dann habe ich festgestellt, unser Isolationsbereich ist groß genug, dass die Gefahr eines Lagerkollers gering ist.

Haben Sie in Ihrem Berufsleben schon einmal so eine herausfordernde Zeit erlebt?

Wenn man wo neu ist, wie ich einst in der ZiB-Redaktion, ist sehr viel sehr herausfordernd, selbst im Normalbetrieb. Viel mehr als jetzt. Jetzt hilft die Routine. Aber zuweilen, wenn ich Sendungen von Kollegen anschaue, verliere ich die professionelle Distanz zum Geschehen. Wie jeden Zuschauer berühren mich so manche Berichte aus der Corona-Hölle etwa in anderen Ländern mehr als mir lieb ist. Aber ich finde, das ist auch gut so. Sonst wird man Zyniker.

Wie beurteilen Sie die Performance der Regierung in dieser Krise?

Wenn Sie unter Performance die Kommunikation verstehen, dann meine ich, die klappt ganz gut. Mehr als fast täglich Pressekonferenzen mit den zuständigen Ministern und Ministerinnen zu machen, geht wohl nicht. Es liegt aber an uns, auch das richtige Maß zu finden, wieviel übertragen werden soll. Da war bisher mehr zu machen, um die Bevölkerung umfassend zu informieren. Und da werden jetzt auch wieder Zeiten kommen, wo das Regelprogramm zurückkehrt.

War es eine klare Entscheidung, in Isolation zu gehen?

Ich weiß, unsere Aufgabe als ORF ist es, gerade in einer solchen Situation, um jeden Preis senden und informieren zu können. Um jeden Preis, auch wenn es der ist, einige Zeit etwas unangenehmere Umstände in Kauf zu nehmen. Insofern war das für mich klar. Aber ich habe auch mit meiner Frau besprochen, wie wir den Alltag mit den Kindern organisieren.

Was hat Ihre Familie gesagt?

Meine Töchter haben sich doch ein bisschen intensiver verabschiedet, als das sonst der Fall ist. Und meine Frau hat großes Verständnis dafür. Mehr noch, sie unterstützt mich sehr.

Wie ist Ihr Einsatz weiter geplant — zwei Wochen zuhause, dann wieder Isolation?

Wie bei den Behörden ist es momentan beim ORF. Wir müssen je nach Entwicklung entscheiden. Da müssen Sie mich in einer Woche wieder fragen.

Denken Sie auch schon an die Zeit „nach Corona“? Schmieden Sie Pläne à la, „Wenn wieder alles normal ist, dann …“?

Ja, natürlich. Ich denke, das sind doch Gedanken, die jedem Menschen Hoffnung geben. Aber jetzt denke ich einmal an die Zeit der „Nach-ORF-Quarantäne“ und freue mich, meine Familie wieder zu sehen.

Gerade ist Ihr Buch „Berlin – Linz“ erschienen. Schreiben Sie an einem neuen Werk?

Nein, jetzt will ich „Berlin – Linz“ einmal auf die Welt bringen. Am ersten Tag der Veranstaltungsverbote wollte ich es präsentieren. Aber die Präsentation braucht es irgendwann einmal doch, um mit der Sache abschließen zu können. Es ist ja ein auch für mich sehr emotionales Buch, in dem ich anhand zweier Reisen meines Vaters die Geschichte von 1938 bis 1945 erzähle. Es wird nach der Krise in einem ganz neuen Kontext stehen, denn im Buch geht es auch darum, wie ein Mensch in Ausnahmesituationen zurechtkommt und was das in der Folge für seine Biografie bedeutet.

Mit TAREK LEITNER sprach Mariella Moshammer