Graues Wolfsrudel feiert die dritte Türkenbelagerung Wiens

Merih Demirals Wolfgruß sorgt trotz Verbot auch in austrotürkischen Foren für nationalistischen Überschwang

Fußball-Triumph als erfolgreicher Abschluss der Belagerung Wiens gefeiert: Tausendfach kursiert in sozialen Medien dieses Bild der jubelnden türkischen Nationalmannschaft mit Kara Mustafa , der 1683 die zweite Türkenbelagerung Wiens befehligt hat. © Screenshot: Instagram

„Belagerung Wiens erfolgreich abgeschlossen“ — solche und ähnliche Botschaften wie „Dritte Belagerung Wiens“ geistern derzeit durch sozialen Medien.

Tausendfach wird auf Facebook, Instagram, X und Co. diese Fotomontage geteilt: Die türkische Nationalmannschaft nach dem Achtelfinal-Sieg über Österreich jubelnd vor einem großen Porträt von Kara Mustafa, der 1683 die gescheiterte zweite Türkenbelagerung Wiens befehligt hatte und ein paar Monate später wegen der verlorenen Schlacht am Kahlenberg auf Befehl Sultan Mehmeds IV. mit einer Seidenschnur erdrosselt worden war.

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Völkerverständigung?

Völkerverständigung, für die Fußball angeblich steht, schaut anders aus: Nationalistische Aktivisten setzen den Leipziger Kicker-Triumph nicht nur in einen problematischen historischen Kontext, der die bilateralen Beziehungen ohnehin noch immer überschattet.

Abgefeiert wird in türkischen Foren auch einer, der sich nach seinem doppelten Torerfolg gegen Österreich mit seinem doppelten Wolfsgruß eine Sperre durch die UEFA und den Protest der deutschen Innenministerin eingehandelt hat: Merih Demiral hatte im Leipziger Stadion beide Hände hochgestreckt und die Finger zum Wolfskopf geformt, dem Zeichen der rechtsextremen Grauen Wölfe.

Demiral entfernt Foto nicht

Im Sinne der Völkerverständigung, für die Fußball angeblich steht, wäre naheliegend, dass Demiral nach Gewahrwerden des von ihm verursachten Unmutes das umstrittene Jubelfoto durch ein weniger verfängliches ersetzt hätte. Doch weder auf Facebook noch auf X setzt der gefeierte Ballesterer eine solche Geste der Deeskalation.

Merih Demiral denkt offenbar nicht daran, das umstrittene Bild von seinem X-Account zu entfernen.
Merih Demiral denkt offenbar nicht daran, das umstrittene Bild von seinem X-Account zu entfernen. ©Screenshot: X

Eine solche wird auch nicht von ihm gefordert. Weder von der türkischen Politik noch von türkischen Fans. Im Gegenteil: Es kommt viel Zuspruch. Von Präsident Recep Tayyip Erdogan abwärts und vor allem aus dem Lager der Grauen Wölfe.

„Kranke“ Kritiker

Sie verbreiten auch in der austrotürkischen Community eine Stellungnahme des türkischen Rechtsextremisten Devlet Bahceli: „Dass er (Demiral, Anm:) seinen Torjubel mit dem Graue-Wölfe-Zeichen verbindet, hat kranke Kreise im In- und Ausland gestört und so als Vorwand für verschiedene Erklärungen und Untersuchungen gedient“, so der Vorsitzende der „Partei der Nationalistischen Bewegung“ (MHP), die als politischer Arm der Grauen Wölfe gilt.

Der Wolfsgruß sei eine Botschaft des türkischen Volkes an die Welt. Und, so Bahceli weiter: „Es ist unsere gemeinsame Verantwortung, den Provokationen und Belästigungen der Opportunisten, die auf jeder Ebene versuchen, den Fortschritt unseres Landes zu behindern und unseren inneren Frieden und unsere Harmonie zu stören, nicht nachzugeben.“

Auch Ocan Ceyhun, der türkische Botschafter in Wien, ist um Verteidigung Demirals und nicht um diplomatisches Verständnis für Kritiker bemüht. Er verbreitet eine Erklärung seines Außenministeriums, in der die UEFA-Untersuchung gegen Demiral als „unakzeptabel“, die Kritik an ihm als „xenophob“ und der Wolfsgruß als in Deutschland nicht verboten bezeichnet wird.

Nationalislamismus

In Österreich ist dieser Gruß allerdings sehr wohl verboten. Das hindert Demiral-Fans freilich nicht, eifrig das Bild mit dem hierzulande illegalen Inhalt zu posten. Auffallend oft geschieht dies im Umfeld der Avusturya Türk Federasyon (ATF), dem Österreich-Ableger der MHP, oder der Avusturya Türk Birligi (Türkische Union Österreichs, ATB).

Der Name erinnert an die Avrupa Türk Birligi, einem Dachverband der Ableger der ebenfalls extrem nationalistischen türkischen BBP (Partei der großen Einheit – Büyük Birlik Partisi). Dabei handelt es sich um eine MHP-Abspaltung, die sich laut deutschem Verfassungsschutz selbst als Teil der Graue-Wölfe-Bewegung versteht, allerdings mit einer zusätzlich islamistischen Kompenente.

Auf der Facebook-Seite der Österreichisch-Türkischen Union wird der Sieg über Österreich als erfolgreichen Abschluss der Belagerung Wien gefeiert.
Auf der Facebook-Seite der Österreichisch-Türkischen Union wird der Sieg über Österreich als erfolgreichen Abschluss der Belagerung Wien gefeiert. ©Screenshot: Facebook

In der ATB-Facebook-Gruppe geht es jedenfalls sehr nationalistisch zu, auch wenn manche User durchaus die österreichisch-türkische Freundschaft betonen. So postet etwa Tülay D. das Kara-Mustafa-Sujet mit dem Zusatz: „Belagerung Wiens erfolgreich abgeschlossen“. Meyrem Y. teilt ein Sujet, das die türkischen Fußballer als osmanische Krieger zeigt. Darunter: „3. Belagerung Wiens“.

Adem Z. der auch MHP-Inhalte liked, unterstreicht mit einem Post die religiöse Dimension des türkischen Radikalnationalismus: Neben Demirals Wolfsgruß-Foto stellt er ein Bild des Kickerstars mit seiner Frau, einem albanischen Model, und seinem zweijährigen Sohn, im Pilgergewand bei der Hadsch in Mekka.

Ein Austrotürke illustriert mit einem Facebook-Post die Symbiose von Nationalismus und Religion: Merih Demiral mit doppeltem Wolfsgruß und mit Familie bei der Pilgerfahrt in Mekka 2023.
Ein Austrotürke illustriert mit einem Facebook-Post die Symbiose von Nationalismus und Religion: Merih Demiral mit doppeltem Wolfsgruß und mit Familie bei der Pilgerfahrt in Mekka 2023. ©Screenshot: Facebook

Sportverein mit Wolfslogo

MHP- oder ATB-Freunde tummeln sich auf auch der Facebook-Seite eines Wiener Vereines, dessen bloße Existenz verwundert: Ülküspor. Genauso heißt auch der 2010 von der MHP in der Türkei gegründete Sportverein.

Nicht nur die Silbe „Ülkü“ ist ein Hinweis auf die Grauen Wölfe, die sich als „Idealisten“ (türkisch: Ülkücüler) bezeichnen. Ülküspor bedeutet demnach „Idealistensport“. Wie der türkische MHP-Klub hat auch der Wiener Verein in seinem Logo einen Wolf. Ülküspor ist Mitglied im Österreichischen Kleinfeld-Fußballbund.

Wiener Ülküspor-Fußballverein: Heißt wie der türkische Graue-Wölfe-Klub und trägt wie dieser den Wolf im Logo.
Wiener Ülküspor-Fußballverein: Heißt wie der türkische Graue-Wölfe-Klub und trägt wie dieser den Wolf im Logo. ©Screenshot: Facebook

ATB versucht in einer Erklärung dem Wolfsgruß den extremistischen Bedeutungsgehalt zu nehmen und als harmloses nationales Symbol abzutun. Auch der Wolf soll demnach kein Symbol einer Extremisten-Organisation sein, die unter anderem Papst-Attentäter Mehmet Ali Agca hervorgebracht hat, sondern nur eine „nationale Ikone“, weil die Türken glaubten, von einem Wolf abzustammen.

Was der Wolfsgruß für die Welt bedeutet

Tatsächlich sind der Wolf und die den Wolfskopf stilisierende Hand Erkennungszeichen der Ülkücü-Bewgeung, also der Grauen Wölfe. Die tiefere Bedeutung dieses Grußes hatte MHP-Gründer Alparslan Türkes einmal so erklärt: „Schau her, der kleine Finger symbolisiert den Türken, der Zeigefinger den Islam. Der beim Wolfsgruß entstehende Ring symbolisiert die Welt. Der Punkt, an dem sich die restlichen drei Finger verbinden ist ein Stempel. Das bedeutet: Wir werden der Welt den Türkisch-Islamischen Stempel aufdrücken.“

Verbindungen zur SPÖ

Der 1997 verstorbene Politiker, der während des Zweiten Weltkrieges Kontaktmann der Nazis in Ankara war und in seinen Reden gern Adolf Hitlers „Mein Kampf“ zitierte, wird bis heute auch in einschlägigen türkischen Klubs in Österreich verehrt. So hängt ein Türkes-Bild im Lokal des Linzer Kulturvereins Avrasya, was die Stadt Linz im vergangenen Jahr nicht hinderte, eine Ramadanfeier dieser Gruppe in einer Volksschule zuzulassen.

Auch in Salzburg-Bergheim gibt es einen Ülkü-Klub, der Fotos aus dem Vereinslokal mit einem Türkes-Bild an der Wand auf Facebook zeigt. Der Name der zugehörigen Turan-Moschee deutet auf die Ülkücü-Ideologie des Turanismus hin. Diese auch Pan-Turkismus genannte Weltanschauung strebt nach einem Zusammenschluss aller Turkvölker vom Balkan über Zentralasien bis in die chinesische Provinz Xinjiang.

Obwohl die extremistische Ideologie und die diese verbreitenden Institutionen bekannt sind, wird ihrem Treiben bislang kaum Einhalt geboten. Eine Avrasya-Delegation marschierte auch schon einmal beim Maiaufmarsch der SPÖ mit. Erst als ein Avrasya-Mitglied im Jahr 2016 in der KZ-Gedenkstätte Mauthausen den Wolfsgruß zeigte, musste sich Bürgermeister Klaus Luger distanzieren. Der Verein mit dem Faible für Hitler-Bewunderer Türkes existiert weiter und darf in städtischen Einrichtungen feiern. Die Grauen Wölfe profitieren vom Schweigen der Lämmer, die von Demirals Eklat hoffentlich wachgerüttelt werden.

Von Manfred Maurer