Kafka pur mit Sven-Eric Bechtolf in Gmunden

Sven-Eric Bechtolf im Stadttheater Gmunden © APA/SKG Festwochen/Gigler/Rudi Gigler

Im Kafka-Jahr schenkt Sven-Eric Bechtolf dem Publikum der Salzkammergut Festwochen einen Abend im Zeichen des Autors. Er hat die Erzählungen „Ein Bericht für eine Akademie“ und „Eine kleine Frau“ zu einem Einpersonenstück zusammengespannt. Extrem textsicher und liebevoll nuanciert dreht er das Evolutionsrad einmal vor und einmal zurück – ein nach 100 Jahren unverändert aktueller Spiegel der Gesellschaft. Viel Applaus bei der Premiere Freitagabend im Stadttheater Gmunden.

Der Affe Rotpeter wird von einer nicht näher benannten Akademie aufgefordert, über sein äffisches Vorleben zu berichten. „Fünf Jahre trennen mich vom Affentum“, heute ist er Varietékünstler, gern gesehene Partyattraktion. Bechtolf startet diesen Bericht mit Affenmaske in einem Käfig, als seine Flöhe verspeisender und um menschliche Laute ringender Schimpanse, der versucht, seine Erlebnisse zu Papier zu bringen. Im Lauf des Textes macht er eine Evolution zum eloquenten, Dreiteiler tragenden Menschen durch, nur sein Lachen und sein Bauchkratzen verraten ihn manchmal.

Lesen Sie auch

Er erzählt wie er eingefangen und mit dem Schiff in einem engen Käfig übers Meer verschifft wurde, wie er dank seiner „Lehrer“, der Seeleute an Bord, die ihre groben Späße mit ihm trieben, den Unterschied zwischen leerer und gestopfter Pfeife lernte und wie man formvollendet Schnaps trinkt, wie er nach seiner ersten Flasche Hochprozentigem einen menschlichen Laut von sich gab. Das war das Sprungbrett für seine Karriere. Vor die Wahl zwischen Zoo und Varieté gestellt, entschied er sich für Zweiteres und ist seither recht trittsicher am gesellschaftlichen Parkett unterwegs. „Nein, Freiheit wollte ich nicht. Nur einen Ausweg.“

Nahezu nahtlos, nur mit einem kurzen Gang rund um seinen Affenkäfig, um vom Schimpansen-Sakko in ein Samtjackett zu schlüpfen, wechselt Bechtolf in die zweite Erzählung „Eine kleine Frau“ – und ist dennoch völlig verwandelt, dreht den thematischen Kompass um 180 Grad vom Wunsch nach Anpassung zu den Blüten, die diese treiben kann. Humorvoll interpretiert er den Monolog eines Mannes, der eine Frau in seiner Umgebung durch seine schlichte Anwesenheit quält, weil sie offenbar alles an ihm störend findet, obwohl sie einander gar nicht kennen. Wird ihn die Gesellschaft anklagen, weil er die arme Frau durch seine Existenz so in Pein versetzt? „Wenn mich die Welt so fragen wird, es wird schwer sein, ihr zu antworten“, denn selbst sein Suizid würde die kleine Frau in Wut versetzen.

Ein Affe, der sich selbst domestiziert und ein hochzivilisierter, aber neurotischer Mensch, „der eigentlich wieder in einen Käfig gehört“ – dieser Kreislauf habe ihn interessiert, begründet der mehrmalige Nestroy-Preisträger, langjährige Burgschauspieler und ehemalige Schauspielchef bzw. künstlerische Leiter der Salzburger Festspiele die Textauswahl. Daher habe er Karin Bergmann, der Schauspielchefin der Salzkammergut Festwochen Gmunden, einen Theaterabend vorgeschlagen, den er schon seit den späten 1980ern machen wollte – und es war höchste Zeit, dass dieses lange herumgetragene Herzensprojekt das Licht der Welt erblickt hat. Kafka pur, ein beglückender Abend – und an welchen Stellen sich das Evolutionsrad nach vorne und an welchen zurück dreht, mag jeder Zuseher für sich selbst entscheiden.

(Von Verena Leiss/APA)

„Ein Bericht für eine Akademie / Eine kleine Frau“, Fassung, Inszenierung und Darstellung: Sven-Eric Bechtolf, weitere Vorstellung: 12. August, 19:30 Uhr, Stadttheater Gmunden. festwochen-gmunden.at

Das könnte Sie auch interessieren