In „Trog“ schürft eine Familie in der Vergangenheit

Salzburger Filmemacherin Gabriele Hochleitner liefert ein behutsam inszeniertes Familienporträt

Für den Dokumentarfilm von Gabriele Hochleitner kehren elf der ehemaligen Bewohnerinnen und Bewohner in die alten Räumlichkeiten zurück und erzählen ihre Geschichten. © Foto: dimdim Filmverleih

Die Erinnerung trügt nicht, sie präsentiert sich nur als vielgestaltiges Wesen: In ihrem neuen Dokumentarfilm „Trog“ erzählt die Salzburger Regisseurin Gabriele Hochleitner die Geschichte ihrer Cousins und Cousinen, die am titelgebenden Hof in Goldegg aufgewachsen sind. Es sind zahlreiche Schicksale, die um eine zentrale Figur kreisen: ihre Mutter Theresia, die alles und alle zusammengehalten hat. Der Film lief im Wettbewerb beim Festival „Der neue Heimatfilm“ in Freistadt, am Freitag ist Kinostart.

Die filmische Beschäftigung mit ihrer Familie ist für Hochleitner nicht neu, hat sie doch etwa für „In der Kurve“ (2014) ihren Vater und seine Geschwister in den Fokus genommen. Zwei Brüder waren während des Zweiten Weltkriegs ermordet worden, eine Schwester kam ins Konzentrationslager Ravensbrück. Ihr ältester Onkel wiederum heiratete Theresia, deren erster Mann ebenfalls unter dem Regime der Nazis als Deserteur ermordet wurde. Theresia selbst, damals Mutter von vier kleinen Kindern, kam für kurze Zeit ins KZ, bevor Hans in ihr Leben trat.

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Mit ihm gemeinsam hatte sie zehn weitere Kinder. Viele von ihnen schildern in „Trog“ ihr Aufwachsen, wenn sie als Erwachsene durch die mittlerweile unbewohnten Räume des weitläufigen Bauernhauses streifen. Mit insgesamt elf Cousins und Cousinen betritt Hochleitner das Gebäude, geht vom geräumigen Vorhaus, in das früher die Schweine zum Ausbluten gehängt wurden, in die verschiedenen Stuben, die Küche, wo Vater Hans am Tisch saß und über einen Spiegel jeden beobachtete, der in den Raum kam, und weiter in den ersten Stock und später den Dachboden.

Was kommt da hoch? In diesen Zimmern, in denen sich so viel abgespielt hat, so viel Leben geherrscht hat, man sich unabhängig voneinander an das Spielen mit Glasmurmeln auf dem mit großen Astlöchern übersäten Boden erinnert, wo aber auch schmerzhafte Dinge passiert sind. Hochleitner geht und spricht einzeln mit ihren Protagonisten, kann mal mehr, mal weniger aus ihnen herauslocken. Nicht nur der Schrecken des Nationalsozialismus wird dabei auf verschiedene Arten deutlich, auch Missbrauch in der Familie kommt zur Sprache, hat Hans doch mit einer Stieftochter ein Kind gezeugt. Ein offenes Geheimnis, über das lange geschwiegen wurde und das klarerweise auf vielen Seelen lastet.

Stück für Stück entblättert Hochleitner das Schicksal ihrer Familie, fügt markanten Stationen zusätzlich offizielle Dokumente hinzu, die etwa die NS-Herrschaft in ihrer lokalen Ausprägung verdeutlichen. In erster Linie schafft sie es aber, nicht nur das große, in verschiedenen Jahreszeiten auch unterschiedlich wirkende Haus zu einem eigenständigen Charakter zu machen, sondern im Wechselspiel damit ihre Gesprächspartner völlig frei reden zu lassen. Man sitzt hier am Tisch mit Eindrücken und Erinnerungen, die hochkommen und für das Kinopublikum ein zutiefst intimes Bild dessen zeichnen, was sich in Trog abgespielt hat – ohne aber voyeuristische Tendenzen zu bedienen.

Immer wieder wird die Bedeutung Theresias für die Familie hervorgehoben. „Es kann keiner nachempfinden, was eine Mutter erleiden muss, wenn so viele Schicksale auf einmal zuschlagen“ heißt es etwa, oder auch „Was die Mama da geschafft hat, ist ein Wahnsinn“. Zwei Kinder hat Theresia verloren, ihren ersten Mann ebenfalls, zudem litt sie unter den Nazis. Und doch war sie für die Kinder immer greifbar, stets gleichermaßen Respektsperson und liebevolle Mama. „Sie war unser Herz sozusagen“, sagt ein Sohn – und es schwingt eigentlich bei allen durch.

Die große Stärke von „Trog“ liegt in seiner Unmittelbarkeit als zeitgeschichtliches Dokument, das weit über die persönlichen Schicksale hinaus deutet. Nicht von ungefähr hat Hochleitner ihren Film mit „Eine österreichische Familiengeschichte“ untertitelt. Es ist ein ruhiges Werk, das viel fordert, aber auch viel gibt und tief berührt. Und im Idealfall trägt es zu einer Heilung bei, die auf vielen Ebenen ansetzen muss. Wohl nicht nur bei den Protagonistinnen und Protagonisten von „Trog“.

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