Han Kang: Von der „Vegetarierin“ zur Literaturnobelpreisträgerin

Man Booker International Prize brachte 2016 den Durchbruch - 53-jährige Südkoreanerin „für ihre intensive poetische Prosa, die sich mit historischen Traumata auseinandersetzt“, geehrt

In Han Kangs „Menschenwerk" geht es um einen Studentenaufstand in Südkorea im Jahr 1980. © Aufbau Verlag

Mit der englischen Übersetzung ihres im Original bereits 2007 erschienenen Romans „The Vegetarian“ schnappte die Südkoreanerin Han Kang 2016 dem ebenfalls nominierten österreichischen Autor Robert Seethaler den Man Booker International Prize weg. „Und man muss neidlos anerkennen: Der Jury ist kein Vorwurf zu machen“, hieß es in der APA, als kurz darauf die deutsche Übersetzung des Buches erschien. Am Donnerstag wurde der 53-jährigen Autorin der Literaturnobelpreis zuerkannt.

Booker Prize für Debütroman

„Die Vegetarierin“, für die Booker Prize-Jury ein „bewegender und suggestiver“ Roman, der „durch die Tiefe seiner Fremdartigkeit überrascht“, war ihr Debütroman und das Buch, das Han Kang international bekannt machte.

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Aus der zunächst skizzierten Biografie einer „völlig unscheinbaren“ Frau, die sich entschließt, Vegetarierin zu werden, wird in dem später auch verfilmten Roman eine schillernde Geschichte voller Abgründe und Leidenschaften, bei der die Verweigerung gesellschaftlicher oder gesundheitlicher Normen der glatten Oberfläche einer strikt konformen Gesellschaft einen tiefen Riss zufügt.

Roman über Studentenaufstand

Ermutigt durch den Erfolg brachte der deutsche Aufbau Verlag 2017 auch den Roman „Menschenwerk“ in Übersetzung heraus. Han Kang, die am 27. November 1970 in der südkoreanischen Provinzhauptstadt Gwangju geboren wurde, verarbeitete darin, was sich hier an zehn Maitagen des Jahres 1980 abspielte: Ein Studentenaufstand wurde vom damaligen Militärregime mit unfassbarer Gewalt beantwortet, sodass es in der ganzen Stadt zu Solidarisierungswellen mit den Protestierenden kam und sich die Armee für einige Tage zurückziehen musste. Die Rückeroberung der Stadt erfolgte mit äußerster Brutalität. Am Ende waren Hunderte, wenn nicht sogar Tausende Tote zu beklagen.

In Südkorea erschien das Buch bereits 2014, als die Kritik gegen Präsidentin Park immer lauter wurde. Auch Han Kang, die in Seoul aufwuchs und dort an der Yonsei University Koreanische Literatur studierte, nahm an den Kerzenlichtdemonstrationen gegen die Präsidentin teil, die schließlich zum Rücktritt gezwungen wurde.

Dass ihre schriftstellerische Arbeit dabei keineswegs völlig ungefährlich war, konnte sie daran feststellen, dass sich ihr Name auf einer schwarzen Liste von tausenden regierungskritischen Künstlern befand, deren Entdeckung Kulturministerin Cho Yoon-sun schließlich zum Verhängnis wurde.

Über einen persönlichen Verlust

„Deine kalten Hände“ (2019) war die Übersetzung eines bereits 2002 erschienenen Frühwerks über einen Bildhauer und zwei Frauen, die schreckliche Dinge erlebt haben. 2020 folgte „Weiß“, ein ephemeres, poetisches Gespinst rund um die koreanische Farbe der Trauer und um einen persönlichen Verlust: Die nie gekannte ältere Schwester der Autorin kam völlig überraschend zwei Monate zu früh auf die Welt. „Stirb nicht, bitte stirb nicht“, fleht die 22-jährige Mutter, die vom Einsetzen der Wehen in einem einsamen, kalten Haus überrascht wird und ihre Tochter ohne jede Unterstützung alleine gebären muss. Vergeblich. Das Kind lebt nur zwei Stunden. Sein Tod könnte der Grund ihrer eigenen Existenz sein, mutmaßt die Autorin, die sich auch als bildende Künstlerin mit dem Thema beschäftigt hat. Die Ausstellung „White Thread“ wurde 2020 in Berlin gezeigt.

„Die vielleicht leiseste Liebesgeschichte der Welt“

Zuletzt erschienen im Februar Han Kangs „Griechischstunden“ auf Deutsch. In einem Klassenzimmer in Seoul kommen einander eine stumme junge Frau und ihr Griechischlehrer, der mehr und mehr erblindet, näher. „Die vielleicht leiseste Liebesgeschichte der Welt“, nannte es „Die Zeit“, während die „New York Times“ befand: „Dieser Roman ist ein Fest des unaussprechlichen Vertrauens, das im Austausch von Sprache zu finden ist.“

Auseinandersetzung mit historischen Traumata

Han Kang ist nun die erste Literaturnobelpreisträgerin ihres Landes. Die Auszeichnung erhält sie „für ihre intensive poetische Prosa, die sich mit historischen Traumata auseinandersetzt und die Zerbrechlichkeit des menschlichen Lebens offenlegt“. Sie setze sich in ihrem Werk „mit historischen Traumata und unsichtbaren Regelwerken auseinander und zeigt in jedem ihrer Werke die Zerbrechlichkeit des menschlichen Lebens auf. Sie hat ein einzigartiges Gespür für die Verbindungen zwischen Körper und Seele, Lebenden und Toten und ist mit ihrem poetischen und experimentellen Stil zu einer Innovatorin der zeitgenössischen Prosa geworden.“