Abgeordnete der Europäischen Volkspartei (EVP) im EU-Parlament haben am Donnerstag in Brüssel zusammen mit den Rechtsaußen-Fraktionen und Teilen der Liberalen eine Abänderung der EU-Entwaldungsverordnung (EUDR) durchgebracht. Geplant war ursprünglich nur, den Zeitpunkt, ab dem die Regeln des bereits beschlossenen EU-Gesetzes greifen, um zwölf Monate zu verschieben. Die EVP brachte aber wenige Tage vor der Abstimmung weitere Abänderungsanträge ein.
Demnach soll die EU-Kommission nun auch Länder oder Regionen bestimmten können, in denen es kein Entwaldungsrisiko gebe. Produkte aus diesen Gegenden wären dann von den Regeln der Verordnung weitgehend ausgenommen. Ein weiterer Antrag der EVP wurde abgelehnt, andere hatte die konservative Fraktion kurz vor der Abstimmung selbst zurückgezogen. Diese hätten Händler von den Regeln ausgenommen und die Verschiebung auf 24 Monate verlängert. Die deutsche EVP-Abgeordnete Christine Schneider, die die Änderungsanträge eingebracht hatte, nannte hier Zusagen der EU-Kommission als Erklärung. Die Behörde habe zugesagt, bei der Umsetzung der Verordnung auf die Bedenken der EVP einzugehen.
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Die Änderungen wurden vor allem mit den Stimmen der EVP und den weiter rechts stehenden Fraktionen angenommen – teils unter empörten Protestrufen aus der linken Hälfte des Plenarsaals. Da nicht nur die Anwendungsfristen geändert, sondern auch für inhaltliche Änderungen gestimmt wurde, werden nun Verhandlungen notwendig zwischen EU-Parlament, EU-Kommission und Rat der EU-Mitgliedstaaten.
Der Vorschlag der Kommission – dem die EU-Staaten bereits zugestimmt haben – sah nämlich nur eine Verschiebung vor, ohne dass der Inhalt des Gesetzes (das formal rechtlich bereits in Kraft ist; Anm.) geändert wird. Theoretisch könnte die EU-Kommission ihren Vorschlag auch zurückziehen – dann gäbe es aber auch keine Verschiebung und die Regeln der Verordnung könnte bereits mit Ende des Jahres für die betroffenen Unternehmen schlagend werden. Schneider zeigte sich in einer Pressekonferenz nach der Abstimmung allerdings optimistisch, dass sich die Institutionen bis Jahresende einigen werden und somit auch die geplante Verschiebung nicht in Gefahr sei.
Die EU-Entwaldungsverordnung soll verhindern, dass Produkte auf den europäischen Markt kommen oder von dort aus exportiert werden, für deren Herstellung es zu Entwaldung kam – also eine Waldfläche dauerhaft in Agrarfläche umgewandelt wurde. Als betroffene Waren werden neben Holz auch Rinder, Soja, Kakao, Kaffee, Ölpalme oder Kautschuk, genannt. Bauern oder Waldbesitzer müssten demnach eine Sorgfaltserklärung inklusive Geodaten abgeben, bevor sie ein Produkt auf den Markt bringen können. Für kleine und mittlere Unternehmen gibt es aber Ausnahmeregelungen.
Die Abstimmung am Donnerstag verlief teils chaotisch und war von technischen Problemen begleitet. Mehrere Abgeordnete bemängelten, dass ihre Abstimmungsgeräte zeitweise nicht funktionierten. Angesichts der teils sehr knappen Ergebnisse bei einigen Änderungsanträgen forderten einige Parlamentarier eine neuerliche Abstimmung, was von Parlamentspräsidentin Roberta Metsola (EVP) aber abgelehnt wurde. Die Abstimmung über den gesamten Text (geplante Verschiebung plus angenommene Anträge) fiel dann aber recht deutlich aus, mit 371 Ja-Stimmen bei 240 Ablehnungen und 30 Enthaltungen.
Die österreichischen EU-Mandatare von FPÖ und ÖVP stimmten am Donnerstag für die Verschiebung sowie die Einführung einer „Risiko-frei“ Kategorie für Länder oder Regionen. Die Abgeordneten der SPÖ, der Grünen sowie die NEOS-Parlamentarierin Anna Stürgk stimmten gegen die Änderungen.
„Die EU-Entwaldungsverordnung ist völlig untauglich. Eine Verschiebung oder kosmetische Korrekturen werden dieses Problem nicht lösen“, reagierte FPÖ-EU-Abgeordneter Roman Haider in einer Aussendung. Er kritisiert zudem die ÖVP, weil diese im Frühjahr 2023 für die ursprüngliche Entwaldungsverordnung gestimmt hatte und jetzt Änderungen durchsetzen wolle.
„Ich kann in der bisherigen Regelung keinen Mehrwert für Österreich und die Steiermark erkennen“, meint der ÖVP-EU-Abgeordnete Reinhold Lopatka. „Die heutige Nachjustierung der EU-Entwaldungsverordnung durch das Europäische Parlament um eine Nullrisiko-Kategorie für Staaten und die Verschiebung um ein Jahr sind erste wichtige Schritte zum Abbau von Bürokratie und überschießender Regulierung in dieser Legislaturperiode.“
„Der Kahlschlag aus Profitgier in Europa und international ist ein schwerer Fehler, für den noch viele Generationen nach uns teuer bezahlen werden“, bemängelt SPÖ-EU-Abgeordneter Günther Sidl. Besonders kritisch sieht er auch die Zusammenarbeit der EVP mit den Rechtsaußen-Kräften im EU-Parlament.
„Diese Klientelpolitik für die Waldindustrie gefährdet auch europäische Wälder, denn nun können EU-Mitgliedstaaten behaupten, dass hier alles in Ordnung ist“, urteilt der Grüne EU-Abgeordnete Thomas Waitz. „Die Einführung einer neuen Kategorie für Länder, die angeblich ‚kein Risiko‘ für Entwaldung haben, könnte außerdem dazu führen, dass sogar Drittstaaten wie möglicherweise China weniger bis keine Kontrollen mehr durchführen müssen.“
Erfreut über das heutige Resultat zeigten sich auch die betroffenen Wirtschaftsverbände aus Österreich. WKÖ-Handelsobmann Rainer Trefelik spricht von „einem vorläufigen Sieg der Vernunft“. „Ein Aufschub der EU-Entwaldungsverordnung ist ein erster, alternativloser Schritt“ für Renate Scheichelbauer-Schuster, Obfrau der WKÖ-Bundessparte Gewerbe und Handwerk. Für den WKÖ-Generalsekretär Karlheinz Kopf braucht es jetzt „rasch eine finale Einigung zwischen Rat und Parlament.“
„Die nun verabschiedeten inhaltlichen Verbesserungen der EUDR ermöglichen es, die EUDR in der Praxis anwendbar zu gestalten und damit das richtige Ziel der EUDR überhaupt realistisch erreichen zu können“, freut sich Herbert Jöbstl, Obmann des Fachverbands der Holzindustrie Österreichs.
„Es ist erfreulich, dass endlich anerkannt wird, dass Länder wie Österreich, die einen nachhaltigen Beitrag zum Umwelt- und Klimaschutz leisten, nicht mit unverhältnismäßigem bürokratischem Aufwand belastet werden sollten“, so Konrad Mylius, Präsident der Land&Forst Betriebe Österreich. Auch der Handelsverband begrüßt die Abstimmung. „In ihrer ursprünglichen Form hätte die Entwaldungsverordnung die Rezession der österreichischen Wirtschaft verschärft, die Wettbewerbsfähigkeit Europas verschlechtert und unseren Wohlstand gefährdet“, so ihr Geschäftsführer Rainer Will.
Entsetzt über die geplanten Änderungen an der Verordnung zeigen sich Umweltschützer. „Seit Monaten haben einzelne Mitgliedsstaaten – allen voran Österreich unter ÖVP-Landwirtschaftsminister Totschnig – die Umsetzung des Gesetzes blockiert“, schreibt Greenpeace-Sprecherin Ursula Bittner in einem Pressestatement. „Die Wälder sind unsere engsten Verbündeten im Kampf gegen die Klima- und Artenkrise. Nach der heutigen Abstimmung stehen wir vor einem Gesetz, das einige Länder ohne Kontrolle ausnimmt und damit zahlreiche Schlupflöcher schafft.“
Auch die Nicht-Regierungsorganisation (NGO) Südwind spricht von einer „umweltpolitischen Bankrotterklärung der Europäischen Union (…) Anstatt Verantwortung zu übernehmen, knicken Parlament und Kommission vor der Forst-Lobby ein“, sagt die Südwind-Sprecherin für Waldschutz, Maria Hammer, die nun hofft, dass die EU-Kommission die Reform wieder zurückzieht.
Die Umweltschutzorganisation WWF ortet eine „Sabotage der EU-Entwaldungsverordnung“. Entwaldungsfreie Lieferketten seien „ein wichtiger Hebel, um die importierte Naturzerstörung für unseren Konsum zu reduzieren und damit der Klimakrise und dem Biodiversitätsverlust entgegenzuwirken“, kritisiert Dominik Heizmann von WWF Österreich.