Die G20-Staaten haben sich am ersten Tag ihres Gipfeltreffens in Rio de Janeiro überraschend auf eine gemeinsame Abschlusserklärung geeinigt. Dabei gelang es dem Gastgeber Brasilien, die wichtigsten Punkte seiner G20-Präsidentschaft in dem Dokument unterzubringen: den Kampf gegen Hunger und Klimaerwärmung sowie eine Reform der internationalen Organisationen.
Die Staats- und Regierungschefs der führenden Industrie- und Schwellenländer wollen sich künftig für eine wirksame Besteuerung der Superreichen einsetzen. Außerdem bekräftigten sie das international vereinbarte Ziel, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen.
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Die G20-Staaten erklärten in der Abschlusserklärung zudem, auf eine Reform des UN-Sicherheitsrates hinarbeiten zu wollen. Das wichtigste Organ der Vereinten Nationen soll demnach repräsentativer, inklusiver, effizienter und demokratischer werden.
Wie bereits beim Gipfel im Vorjahr in Indien wurde der russische Angriffskrieg nicht mehr explizit verurteilt. Beim Treffen auf Bali vor zwei Jahren hatte dies noch eine Mehrheit der Länder getan.
Allianz gegen Hunger und Armut beschlossen
In Rio wurde auch die Globale Allianz gegen Hunger und Armut ins Leben gerufen. Es fehle weder an Wissen noch an Ressourcen, sondern an politischem Willen, um den Menschen Zugang zu Nahrungsmitteln zu verschaffen, hieß es in der Abschlusserklärung.
Die wichtigsten Industrie- und Schwellenländer der Welt haben sich bei dem G20-Gipfel in Rio de Janeiro auf ein Programm zur Bekämpfung der weltweiten Armut verständigt. „Die Zahl der Menschen, die von Hunger betroffen sind, ist gestiegen und wird im Jahr 2023 die erschütternde Zahl von rund 733 Millionen Menschen erreichen, wobei Kinder und Frauen am stärksten betroffen sind“, heißt es in der Abschlusserklärung, auf die sich die G20-Staats- und Regierungschefs einigten.
Brasiliens Präsident Luiz Inacio Lula da Silva hatte zuvor als Gastgeber des Treffens für die Allianz gegen Hunger und Armut geworben. Die Kriege in Nahost und der Ukraine werden in dem Dokument nur knapp erwähnt. Der deutsche Kanzler Olaf Scholz und andere westliche Regierungschefs hatten zuvor gesagt, dass er für eine klarere Nennung der Gründe für die Kriege im Dokument kämpfen wolle. In den Beratungen prallten aber die Vorstellungen westlicher Staaten und der Länder der Südhalbkugel aufeinander. Fast symbolisch kam US-Präsident Joe Biden zu spät zum traditionellen G20-Familienfoto, das deshalb ohne ihn gemacht wurde.
Beschlüsse wegen Wahl von Trump zu US-Präsidenten von geringer Bedeutung
Der zweitägige Gipfel in Rio wird auch von der Wahl von Donald Trump zum nächsten US-Präsident überschattet. Damit dürfte sich der multilateral ausgerichtete Kurs der USA unter Präsident Biden ab Jänner deutlich ändern. Es wird erwartet, dass Trump mit seiner „America First“-Haltung sowohl aus dem Pariser Klimaabkommen aussteigt als auch Strafzölle gegen Importe aus aller Welt verhängt – und deshalb Beschlüsse des G20-Gipfels in Rio nur von begrenzter Bedeutung sein dürften. Kanzler Scholz, der am 23. Februar vor Neuwahlen steht, sieht in den G20-Diskussionen auch eine Chance, die Zusammenarbeit mit den Ländern der Südhalbkugel zu verstärken.
Bei dem dritten G20-Gipfel in Folge in einem Land der Südhalbkugel (Indonesien, Indien, nun Brasilien) entfernt sich die Agenda immer mehr von den Themen, die etwa Europäern wichtig ist. Das Wort Freihandel taucht in der Gipfelerklärung nicht mehr auf. Stattdessen bekennen sich die G20-Staaten zu einem „multilateralen Handelssystem“. „Damit Handel und Investitionen ihr Potenzial voll ausschöpfen und als Motor für globales Wachstum und Wohlstand fungieren können, betonen wir die Notwendigkeit, ein regelbasiertes, diskriminierungsfreies, faires, offenes, integratives, gerechtes, nachhaltiges und transparentes multilaterales Handelssystem mit der WTO als Kernstück zu gewährleisten“, heißt es nur. Etliche Regierungen hatten vor einer Welle des Protektionismus gewarnt.
Schwellenländer wollen mitreden
„Wir erleben eine große, große Veränderung der globalen Strukturen“, sagte Scholz. Die Regierungen der Südhalbkugeln betonten die Größe ihrer Volkswirtschaft, die Zahl der Einwohnerzahl und die künftige Entwicklung. Das seien Länder, die mitreden wollten. „Und die nicht mehr akzeptieren werden, dass alles so geht, wie das sich über Jahrzehnte eingeschlichen hat“, warnte Scholz.
Chinas Präsident Xi Jinping kündigte dem Staatssender CCTV zufolge Maßnahmen zur Unterstützung des „Globalen Südens“ an. Dabei warb er erneut für die Seidenstraßen-Initiative mit großen Infrastrukturprojekten weltweit, dem sich etwa Brasilien bislang nicht angeschlossen hat. China werde mit Brasilien, Südafrika und der Afrikanischen Union eine Initiative ins Leben rufen, um wissenschaftliche und technologische Innovationen in den Globalen Süden zu bringen, sagte Xi zudem. US-Präsident Biden sagte vier Milliarden Dollar für den Kampf gegen Armut zu.
Westen kann sich bei Ukraine nicht durchsetzen
Die westlichen Staaten konnten sich nicht mit der Forderung durchsetzen, dass Russland als Verantwortlicher für den Ukraine-Krieg genannt wird. Jetzt heißt es in der Erklärung nur: „Wir begrüßen alle sachdienlichen und konstruktiven Initiativen, die einen umfassenden, gerechten und dauerhaften Frieden unter Wahrung aller Ziele und Grundsätze der UN-Charta zur Förderung friedlicher, freundschaftlicher und gutnachbarlicher Beziehungen zwischen den Nationen unterstützen.“ Russland wird nicht erwähnt, es findet sich eine generelle Verurteilung von Angriffen auf Zivilisten und Infrastruktur. Verwiesen wurde nur darauf, dass der Krieg menschliches Leid und negative zusätzliche Auswirkungen auf weltweite Nahrungsmittel- und Energiesicherheit, Versorgungsketten, makrofinanzielle Stabilität, Inflation und Wachstum bringe.
Scholz hatte sich enttäuscht geäußert, dass Brasilien als G20-Gastgeber den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj nicht zu dem Gipfel in Rio de Janeiro eingeladen hat. „Ich habe mich dafür sehr intensiv eingesetzt, andere auch. Dass das aber jetzt nicht der Fall ist, zeigt auch, was für große Herausforderungen wir vor uns haben“, hatte der Kanzler gesagt. Für Russland nimmt Außenminister Sergej Lawrow teil.