Die Europäische Kommission erwägt die Eröffnung eines Defizitverfahrens gegen Österreich: Österreichs Budgetdefizit entspricht nicht den Vorgaben Brüssels, teilte die Behörde am Dienstag mit. Die EU-Kommission „könnte“ daher dem Rat (der Mitgliedstaaten) empfehlen, ein „übermäßiges Defizit festzustellen“. Dieser trifft dann die finale Entscheidung. Österreich habe mitgeteilt, rasch Maßnahmen vorzulegen, wie es sein Defizit senken will. Diese will die Kommission dann bewerten.
Die Kommission geht in ihrer Mitteilung auch auf die laufenden Regierungsverhandlungen in Österreich ein. Die österreichischen Behörden hätten „daran erinnert und ihre Absicht bekundet“, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um das Defizit unter die von Brüssel verlangte Drei-Prozent-Marke im Jahr 2025 zu senken. Die Kommission erklärte sich bereit, die Maßnahmen zu bewerten, sobald sie „von der Regierung vereinbart und ausreichend detailliert“ seien. Erfolge dies noch vor der Tagung des zuständigen Rates der Wirtschafts- und Finanzminister im Jänner, könnte die Eröffnung eines Verfahrens vermieden werden.
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Aus dem Wiener Finanzministerium hieß es gegenüber der APA, ein Budgetdefizit über der Maastricht-Grenze sei „kein österreich-spezifisches Phänomen, denn die Kommission geht bei 12 von 27 EU-Mitgliedsstaaten von einem Defizit über drei Prozent aus. Der heute vorgelegte Bericht bedeutet allerdings nicht, dass automatisch ein EU-Defizit-Verfahren gegen Österreich eingeleitet wird. In diesem Zusammenhang ist außerdem wichtig zu erwähnen, dass die Defizitprognosen für 2025 von einem “No-Policy-Change“ ausgehen – also von der Prämisse, dass eine neue Bundesregierung an keiner Schraube drehen und keine einzige Maßnahme setzen würde.„
Das Finanzministerium in Wien hatte Anfang Oktober seine Defizitprognose für das Budget des Jahres 2024 auf 3,3 Prozent erhöht, und dafür viel Kritik geerntet, da dies kurz nach der Nationalratswahl erfolgte. Der damalige Finanzminister und künftige EU-Migrationskommissar Magnus Brunner (ÖVP) hatte vor seinem Abgang Mitte November noch seine nach oben korrigierte Defizitprognose verteidigt. Die Erstellung solcher Prognosen sei “ein extrem aufwendiger Prozess“, konterte er vor Journalisten in Wien. Dieser Prozess sei immer der gleiche, „egal, ob Wahlen sind oder nicht“.
Die EU-Kommission hatte in ihrer neuesten Wirtschaftsprognose für heuer 3,6 Prozent Budgetdefizit in Österreich erwartet, für kommendes Jahr 3,7 und für 2026 3,5 Prozent. Damit liegt das Defizit klar über der sogenannten Maastricht-Grenze von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Gleichzeitig darf der Schuldenstand eines Mitgliedsstaates 60 Prozent der Wirtschaftsleistung nicht überschreiten. Wird eine dieser beiden Grenzen nicht eingehalten, kann die EU-Kommission Defizitverfahren einleiten.
Die Kommission legte am Dienstag in Straßburg den ersten Teil ihres sogenannten Europäischen Semester-Pakets mit wirtschaftspolitischen Empfehlungen an die EU-Länder vor. Es ist das erste Paket nach der Reform der EU-Schuldenregeln. Damit wird Ländern, die die oben genannten Maastricht-Kriterien nicht erfüllen, mehr Flexibilität beim Erreichen dieser Ziele eingeräumt. Mit welchen Maßnahmen sie das Ziel erreichen wollen, müssen sie in Fiskal-Struktur-Plänen festlegen.
Österreich zählt zu fünf Ländern, die ihren nationalen Plan noch nicht eingereicht haben. „In Absprache mit der Europäischen Kommission hat Österreich heuer noch keinen Draft Budgetary-Plan vorgelegt, da aufgrund der Nationalratswahlen, die Ende September stattgefunden haben, kein Budget für das kommende Jahr erstellt wurde“, hieß es dazu am Dienstag aus dem Finanzministerium. Österreich hat von Brüssel bis Ende des Jahres Zeit erhalten, seinen Plan einzureichen.
„Überbordende Corona-Förderungen, weitgehend unangetastete Übergewinne sowie die Senkung der Körperschaftsteuer haben tiefe Spuren im Budget hinterlassen. In Kombination mit der fehlenden Gegensteuerung angesichts der Rezession steht die künftige Bundesregierung vor einer gewaltigen Herausforderung“, kommentierte ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian in einer Aussendung. Der Bericht der EU-Kommission bestätige, dass die Situation schwieriger sei als bisher angenommen: Der aktuelle Schuldenstand sei alarmierend.