Für Strukturreformen im Gesundheits- und Pflegebereich plädiert die Präsidentin des Österreichischen Gesundheits- und Krankenpflegeverbandes Elisabeth Potzmann. Es brauche eine Attraktivierung des Arbeitsplatzes, nicht des Berufes selbst, so Potzmann im APA-Interview. Wichtig sei eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Freizeit mit dem Beruf, sagte sie mit Blick auf Punkte wie Arbeitszeit oder Wohnortnähe. Auch könnte man Krankenhausbetten in Übergangsbetten umwidmen.
Zahlen der OECD würden zeigen, dass in Österreich pro Kopf gar nicht so wenige Pflegepersonen vorhanden seien. „Aber wir leisten uns wie Deutschland die personalintensivste Struktur als Allheilmittel, nämlich das Krankenhausbett. Dort verbrauchen wir wahnsinnig viel Personal, zum Teil auch mit unproduktiven Stehzeiten“, so die ÖGKV-Präsidentin. Es brauche „Alternativstrukturen“ zu den Krankenhausbetten. Damit würden Personalressourcen frei, „die wir nutzen könnten“.
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Als Beispiel brachte die Präsidentin Finnland, wo zwischen 2011 und 2021 die Zahl der Krankenhausbetten praktisch halbiert worden sei. Gleichzeitig wurden Gesundheitsambulanzen ausgebaut. Durch diese Leistungszentrierung werden die vorhandenen Ressourcen besser genutzt.
Hohe Dropout-Raten
Bezüglich ihrer Forderung nach einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen verwies die Präsidentin auf die hohen Drop-out-Raten im Pflegesektor: „Wir haben relativ viel ausgebildetes Personal in der Pflege, aber eine kurze Verweildauer im Beruf, wegen der schlechten Rahmenbedingungen.“ Dort, wo aber die Rahmenbedingungen gut sind, gebe es auch nur ein geringes Personalproblem. „Wir wissen, dass die Menschen dem Arbeitgeber nicht immer 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche zur Verfügung stehen wollen. In bestimmten Lebensphasen ist ein Wechseldienst einfach nicht möglich“, daher müsse man Alternativstrukturen aufbauen.
Als Beispiel brachte sie das „School Nurse“-Pilotprojekt“ in Wien oder die „Community Nurse“-Initiative, für die es sehr viele Bewerbungen gegeben habe – als Grund verortet sie die „sehr guten“ Arbeitszeiten und das attraktive Aufgabenfeld. Dies zeige, dass man mit besseren Arbeitsbedingungen einen „Pull-Effekt“ schaffen könne.
Im Akutbereich habe man vielerorts dank Lohnerhöhungen recht gute Gehälter, auch im internationalen Vergleich. Hier gehe es also weniger um die Bezahlung, sondern vielmehr um die Arbeitsbedingungen. Thema wäre hier vor allem eine Arbeitszeitreduktion auf etwa 35 Wochenstunden. „Darauf konnte man sich politisch nicht einigen“, beteuerte Potzmann. Mittlerweile sei es allerdings oft so, dass die in diesem Bereich Angestellten ihre Arbeitszeit selbst auf 35 Stunden – aber eben in Teilzeit – reduzieren würden.
Mehr Sachleistungen beim Pflegegeld
Beim Pflegegeld schlägt Potzmann eine Umstellung auf mehr Sachleistungen vor: „Es wäre sinnvoll, einen Teil als Sachleistung auszuschütten, damit die Menschen auch wirklich Pflege dadurch bekommen.“ Andernfalls steht zu befürchten, dass Pflegegeld – etwa in sozial schwachen Familien – für andere Bedürfnisse wie etwa die Miete herangezogen wird.
„Gleichzeitig müsste man aber auch dafür Sorge tragen, dass diese Sachleistung am Markt ist“, betonte die Präsidentin. Sie zeigte sich zuversichtlich, dass bestehendes Potenzial an ausgebildeten Pflegefachkräften gehoben werden könnte: Während der Corona-Hochphase habe man etwa gesehen, dass zu den zuvor 2.000 freiberuflich tätigen Pflegekräften sich zahlreiche weitere in Impf- und Teststraßen engagiert hätten. „Da hat man gesehen, es gibt Potenzial, vorausgesetzt Entlohnung und Arbeitszeit passen“, hier sei also „Luft nach oben“.
Prekäre Arbeitsbedingungen bei 24-Stunden-Betreuung
Bezüglich der 24-Stunden-Betreuung daheim durch selbstständige oder angestellte Betreuungskräfte sieht Potzmann noch deutliches Verbesserungspotenzial, vor allem hinsichtlich der oftmals prekären Arbeitsbedingungen, aber auch der Qualität. Einerseits müsse man sich die Rolle der Vermittlungsagenturen ansehen, insbesondere wenn diese als Arbeitgeber auftreten, die sie nicht sind. Und oftmals würden sich Personenbetreuerinnen – im Grunde Hausangestellte – immer wieder dazu gezwungen sehen, pflegerische bzw. medizinische Tätigkeiten durchzuführen, die eigentlich die professionelle Pflege machen müsste.
Potzmann verwies auf die u.a. vom ÖGKV, der Wirtschaftskammer und zahlreichen Interessensvertretungen gegründete „Plattform Personenbetreuung“ (➡️ Weitere Informationen), die zahlreiche Forderungen erhoben hatte, u.a. jene nach einer Weiterentwicklung des Qualitätszertifikats für Vermittlungsagenturen, einer Erhöhung der Förderung der 24-Stunden-Betreuung oder einem Bonus für die Einbindung von diplomierten Pflegefachkräften. „Wir wollen Personenbetreuerinnen unterstützen, Tätigkeiten, für die sie nicht ausgebildet worden sind, nicht machen zu müssen“, so Potzmann.
Generell sei bei der Pflege zuhause die Einbindung der professionellen Pflege wichtig, betonte Potzmann. „Dass man in Österreich die Laienbetreuung sehr stark forciert, ohne die professionelle Pflege zu stärken, führt in eine Sackgasse.“ Es werde dadurch sehr oft zu spät mit notwendigen Interventionen begonnen, für die entsprechendes professionelles Know-how nötig sei – etwa der Mobilisierung der Betroffenen. Oft würden die zu betreuenden Personen dann unnötigerweise „ins Bett gepflegt“.
„Community Nursing“ als wichtiger Ansatz
Als einen wichtigen Ansatz, um hier gegenzusteuern, nannte Potzmann das „Community Nursing“-Projekt. Oft gehe es gar nicht um allzu große Pflegemaßnahmen, sondern um die Erreichbarkeit der professionellen Pflegekraft, um Beratung und Vernetzung.
Als wichtigen Schritt betrachtet Potzmann die unter der türkis-grünen Regierung geschaffene Ausbildungsoffensive, diese sei schon „halbwegs gelungen“. Für mitunter schwierig sieht sie hingegen Bestrebungen, Pflegepersonal aus dem (ferneren) Ausland zu rekrutieren. „Das wird uns bei Weitem nicht retten“ und bringe auch Herausforderungen mit sich, verwies sie auf kulturelle Unterschiede und auch sprachliche Barrieren. Außerdem könnten diese Arbeitskräfte – anders als jene etwa aus Nachbarländern – nicht so einfach zu ihren Familien nach Hause fahren, was sie zusätzlich belastet.
Auch Caritas und Hilfswerk fordern Reformen bei Pflege
Wünsche an die künftige Regierung in Sachen Pflege kamen am Christtag auch von Caritas und Hilfswerk. Caritas-Präsidentin Nora Tödtling-Musenbichler forderte in der „Kleinen Zeitung“ neben der Vereinheitlichung und Harmonisierung des Fleckerlteppichs mit neun unterschiedlichen Pflegeschlüsseln mehr Bemühungen, um das Pflegepersonal zu halten. Zudem plädierte Tödtling-Musenbichler für präventive Hausbesuche ab dem Alter von 75 Jahren, „damit Menschen möglichst in ihren eigenen vier Wänden bleiben können und so das Pflegesystem entlastet wird“.
Handlungsbedarf bei Prävention, Pflegepersonal, Pflegegeld und der Qualität der 24-Stunden-Pflege sieht auch Hilfswerk-Geschäftsführerin Elisabeth Anselm. Beim Pflegegeld würden Gerichtsentscheidungen bei Beeinspruchungen zeigen, dass eine große Zahl der Patienten falsch eingestuft werde, zudem würden sich die aktuellen Einstufungskriterien noch zu stark rein an körperlichen Beeinträchtigungen orientieren und psychische oder kognitive Probleme zu wenig berücksichtigen, kritisierte sie im „Kurier“. Bei der Pflegeausbildung forderte Anselm ein noch breiter gefächertes Angebot an Ausbildungsmöglichkeiten, etwa für bereits Berufstätige, die in die Pflegebranche wechseln wollen, sowie eine bundesweite Strategie zur Rekrutierung von Pflegekräften aus Drittstaaten.