Geisterbahnfahrt durch Biederland

Premiere: „Biedermann und die Brandstifter“ im Linzer Landestheater

Aber hey! Mit Brandstiftern, ob nun lokal oder global, kann man auch Spaß haben: Waidmann (Babette), Hufschmidt (Eisenring), Kaiser (Anna), Higer (Biedermann) und Hetterle (Schmitz).
Aber hey! Mit Brandstiftern, ob nun lokal oder global, kann man auch Spaß haben: Waidmann (Babette), Hufschmidt (Eisenring), Kaiser (Anna), Higer (Biedermann) und Hetterle (Schmitz). © Petra Moser

Am Ende lodern Brände in der Stadt, und Herr Biedermann spricht die fürchterlichen Worte: „Wenigstens nicht bei uns.“ Die Brandstifter hat er selbst in sein Haus gelassen, am Dachboden stapelten sie Benzinfässer, Biedermann reicht ihnen sogar die Streichhölzer.

Was lernen wir? Nichts. Fasziniert sieht der Theaterbesucher, wie der Schweizer Dramatiker Max Frisch die Mechanismen unfreiwillig-williger Mittäterschaft entblößte. Die lauernde Angst des Bürgers, dass seine gediegene Existenz im nächsten Moment zerbröseln könnte. Die kriminelle Energie, die ihn heimlich fasziniert und die er gerne mit Vitalität verwechselt. Sein Harmoniebedürfnis – nur keine Scherereien! –, das ihn in fehlgeleiteter männlicher Kumpanei zum Verbündeten der Attentäter macht.

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Premiere von „Biedermann und die Brandstifter“ war am Samstag im Linzer Landestheater. Der Beginn geradezu biblisch, ein Fremder bittet um Obdach. Er heißt Schmitz (stets bedrohlich: Alexander Hetterle), Biedermann lässt ihn am Dachboden übernachten, ebenso den Kompagnon des Schmitz, den gewieften Eisenring. Das Unheil unvermeidlich, also tragisch, wenn auch hemmungslos grotesk.

Drohen & schmeicheln

Christian Higer ist als Biedermann ein phänomenaler Hanswurst. Der Witz makaber, die Brandstifter klären den Biedermann vorab über jeden ihrer Schritte auf. Sebastian Hufschmied als Eisenring genießt spürbar, den feinen Herrn in einem Wechselbad aus Schmeicheleien und offenen Drohungen einzukochen. Biedermann das perfekte Opfer: Man will ja kein Spießer sein, man hat Sinn für Humor, man ergeht sich schon gar nicht in kleinbürgerlicher Angst!

Angela Waidmann gibt als Babette wunderbar verzagt und nervös Biedermanns Gemahlin. Schlecht verdrängte erotische Lust, die Dame des Hauses fühlt sich angezogen vom proletarischen Charme des Schmitz. Doch immerhin wittert sie die Gefahr, während der Herr des Hauses sich den Brandstiftern andient.

Stephan Suschke, Linzer Schauspielchef und Regisseur des Stücks, würzt geschickt mit Neurosen der Gegenwart. Der Chor in roten Ledermänteln, eine bleich geschminkte Blaskapelle der Feuerwehr, schützt kaum die öffentliche Ordnung und strahlt die aggressive Sinnlosigkeit einer Bürgerwehr aus. Charlotte Kaiser gefällt mit kecken Protest als Dienstmädchen Anna: Ihr missfällt gleichermaßen bürgerliches Getue ihrer Dienstgeber und das dämliche Geprotze der Brandstifter. Trauriger Schatten, stiller Zaungast ist Rita Blümlein (Statisterie des Landestheaters) als Witwe von Biedermanns Untergebenem Knechtling. Der suizidierte sich nach seiner Entlassung, doch reales menschliches Elend findet kein Gehör im Hause Biedermann.

In kriegerischer Gegenwart gleicht dieses „Lehrstück ohne Lehre“ einer Geisterbahnfahrt. 1958 uraufgeführt, funktioniert das Stück auch heute noch bestens. Spätestens, wenn die Gasometer der Stadt in die Luft fliegen, kommt einem der feixende russische Despot und Brandstifter in den Sinn. „Gute Diktatur“, und wer nicht mit Putin lacht, ist ein Spielverderber. Männerkumpanei. Wir lernen nichts. Fetter und langer Applaus nach 100 Minuten ohne Pause.

Von Christian Pichler

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