Abdel-Hakim Ourghi weiß, wovon er schreibt: „Mit 23 Jahren kam ich als indoktrinierter Antisemit nach Deutschland.“ In Algerien war ihm als Kind eingetrichtert worden, „dass der Jude der ewige Feind der Muslime ist“.
Das Freitagsgebet in der Moschee beendete der Imam stets mit dem Ruf „Möge Allah die verfluchten Juden erniedrigen und zerstören.“ Jahre habe es gedauert, bis er in Deutschland während des Studiums der Philosophie und Islamwissenschaft „lernte, dass Juden nicht die Feinde der Muslime und nicht anders als andere Menschen sind“.
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So einen Lernprozess will Ourghi seinen Glaubensgenossen mit dem Buch „Die Juden im Koran — Ein Zerrbild mit fatalen Folgen“ bescheren. Es soll der Beginn einer kulturellen Erinnerungsarbeit sein, wie sie hierzulande üblich ist — wenn auch fokussiert auf Antisemitismus im Nazi-Kontext. Muslimischer Antisemitismus wird zwar mitgedacht, jedoch ohne tiefer gehende Analyse.
Riskantes Unterfangen
Die liefert der Leiter des Fachbereichs Islamische Theologie/Religionspädagogik an der Pädagogischen Hochschule Freiburg Freiburg nun — und begibt sich aufs Glatteis: Während der Arbeit für das Buch warnten ihn wohlmeinende Freunde davor, dieses heiße Eisen anzugreifen. Er könnte die Islamfeindlichkeit anheizen und Gefühle von Muslimen verletzen. Ourghi hält das für eine „bevormundende Sorge“, die Muslimen „nicht zutraut, ihre religiös-politische Geschichte aufzuklären“.
Dass er keinen Geringeren als den Propheten Mohammed kritisiert, was weniger liberale Muslime als mit dem Tod zu bestrafende Blasphemie betrachten, bedeutet für den Autor ein persönliches Risiko. Es mangelt nicht an Drohungen.
Indem er den Religionsgründer zum Urvater des Judenhasses erklärt und dies mit vielen — antisemitischen Stereotypen christlichen Ursprungs ähnlichen — Koransuren und Hadithen belegt, räumt Ourghi mit dem Mythos auf, der muslimischen Antisemitismus als einen aus Europa importierten Aspekt des israelisch-palästinensischen Konfliktes erklärt.
„Islamischer Antisemitismus ist nicht nur ein historisches Produkt europäischer Vordenker des Antisemitismus oder Folge des Nahostkonfliktes, vielmehr wird er auch theologisch legitimiert“, schreibt Ourghi und kritisiert, dass „die theoretische und historische Genese des Judenhasses in den Anfängen des Islam seitens der Muslime verschwiegen (werde)“.
Ein Kapitel des Buches widmet sich dem „Heiligen Krieg des Propheten gegen die Juden in Medina“. Nach dem Auszug aus Mekka, wo Mohammed mit seiner Botschaft nicht reüssieren hatte können, versuchte er ab 622 die Juden von Medina erst im Guten von der neuen Lehre zu überzeugen. Als dies nicht fruchtete, begann ab 624 „die gewalttätige Ära des politischen Islam, die sich gegen heidnische Araber und Juden richtete“. Die Juden wurden zu Feinden erklärt. Die Folge waren sich im Laufe der Geschichte oft wiederholende Tragödien: Vertreibung, Enteignung, Ermordung. Im Koran gerechtfertigt mit einem jüdischen „Sündenregister“.
Vom Schweigen befreien
Ourghi spricht bewusst vom islamischen, und nicht vom islamistischen Antisemitismus, „denn meiner Meinung nach kommt der Antisemitismus in der ganz normalen Erziehung muslimischer Kinder und während ihrer weiteren Sozialisation in der Gesellschaft vor“.
Der heutige islamische Antisemitismus sei das „historische Produkt einer unaufgeklärten Geschichte des Islam“. Ourghi fordert einen „Befreiungsakt vom ewigen Schweigen über die Gewalt gegen Juden, Christen und Andersdenkende“. Das nach dem Holocaust geschworene „Nie wieder“ müsse auch den Muslimen ein Leitwort sein.
Bis dorthin ist es ein weiter Weg. Kritische Reflexion der Glaubensquellen ist kein Markenzeichen des Islam. Umso wichtiger ist Ourghis Denkanstoß — der freilich eines kaum bewirken wird: Ein Umdenken des Sunnitischen Schulrates in Baden-Württemberg, der Ourghi 2021 die Lehrbefugnis entzogen hat.
Von Manfred Maurer