Im Missbrauchsprozess von Avignon ist der Hauptangeklagte Dominique Pelicot der schweren Vergewaltigung schuldig gesprochen und zu 20 Jahren Haft verurteilt worden. Auch für alle weiteren 50 Mitangeklagten gab es Schuldsprüche. Seine Ex-Frau Gisèle akzeptierte das Urteil, wie sie am Donnerstag nach Prozessende betonte. Das Verfahren sei eine „sehr schwere Prüfung“ und von „tiefer Emotion“ begleitet gewesen, erklärte sie nach Ende der Verhandlung.
„Danke, Gisèle! Danke, Gisèle!“ skandierten zahlreiche Menschen, als diese nach der Urteilsverkündung das Gericht verließ. Sie denke in erster Linie an ihre Kinder und Enkel und sei „sehr mitgenommen“, sagte Pelicot gegenüber Journalistinnen und Journalisten. Dennoch habe sie die „Entscheidung, das Verfahren öffentlich zu machen, niemals bereut“, so die ebenfalls 72-jährige Ex-Frau des Hauptangeklagten nach der Urteilsverkündung am Donnerstag in Avignon. Sie habe ganz bewusst für einen öffentlichen Prozess gekämpft, „damit die Gesellschaft die Debatten aufnimmt, die dort geführt werden“.
Lesen Sie auch
Pelicot an „unbekannte Opfer“: „Führen den gleichen Kampf“
Gisèle Pelicot bedankte sich auch bei allen Unterstützern der vergangenen Wochen. „Sie haben mir die Kraft gegeben, jeden Tag vor Gericht zu erscheinen.“
Außerdem richtete sie sich vor Medienvertretern an Betroffene von sexualisierter Gewalt auf der ganzen Welt. „Ich denke an die Opfer, die nicht bekannt sind, und deren Geschichten oft im Dunkeln bleiben“, sagte die 72-Jährige. „Sie sollen wissen, dass wir den gleichen Kampf führen.“
72-Jähriger filmte Töchter und Ex-Frau heimlich
Die Verlesung der Urteilssprüche ging unter großem Andrang von Journalistinnen und Journalisten über die Bühne. Etwa 180 Medien aus Frankreich und aller Welt waren bei dem Prozess akkreditiert.
Darüber hinaus wurde Pelicot im Zusammenhang mit der heimlichen Aufnahme von Fotos und Videos seiner damaligen Frau, seiner Tochter und Schwiegertöchter schuldig gesprochen. Am Ende seiner Haftzeit soll über eine mögliche Sicherungsverwahrung entschieden werden, hieß es.
Seine Anwältin, Béatrice Zavarro, sagte nach der Verkündung, ihr Mandant habe das Urteil zur Kenntnis genommen. Ob er in Berufung gehe, sei noch nicht entschieden.
Kein einziger Freispruch
Für die weiteren 50 Mitangeklagten gab es ebenfalls Schuldsprüche. Insgesamt 47 von ihnen wurden – wie Pelicot – ebenfalls der schweren Vergewaltigung schuldig gesprochen. Zwei Männern legte das Gericht sexuelle Gewalt zur Last, einem versuchte Vergewaltigung. Das Gericht verhängte Haftstrafen zwischen drei und 15 Jahren. Niemand der 50 Männer wurde freigesprochen, ein Teil muss direkt ins Gefängnis. Insgesamt blieb das Gericht mit seinen Urteilen jedoch deutlich unter den Forderungen der Staatsanwaltschaft zurück.
Die Staatsanwaltschaft hatte bis zu 18 Jahre Gefängnis für die Angeklagten gefordert. Nebenklageanwalt Antoine Camus sagte: „Jeder hat in seinem Maß, auf seinem Niveau zu dieser Monstrosität, zu diesem Martyrium dieser Frau beigetragen.“ Zum Tatzeitpunkt sollen die Männer zwischen 21 und 68 Jahren alt gewesen sein. Dominique Pelicot suchte den Kontakt zu ihnen auf einer Online-Plattform.
Insgesamt konnten die Ermittler etwa 200 Vergewaltigungen der bewusstlosen Gisèle Pelicot nachweisen. Der Prozess gilt wegen der Zahl der Angeklagten, der Monstrosität der Taten und aufgrund der Entscheidung Gisèle Pelicots für ein medienöffentliches Verfahren bereits jetzt als historisch.
Mitangeklagte gaben sich teils nichtsahnend
Während Dominique Pelicot seine Taten von Beginn an gestanden hatte, hatten die Anwälte der Mitangeklagten ihre Mandanten mit teils haarsträubenden Argumenten verteidigt. Viele der Männer erklärten, sie seien überzeugt gewesen, sich an einem „Sexspiel eines freizügigen Paares“ beteiligt zu haben.
Keiner der Mitangeklagten hatte ein Problem damit gehabt, dass die während der Taten mitunter sogar schnarchende Gisèle Pelicot offensichtlich nicht in der Lage war, ihre Zustimmung zu geben. Sogar der Erklärungsversuch, dass die Anwesenheit ihres Ehemannes ausreichend gewesen sei, um ihre Zustimmung vorauszusetzen, wurde vorgebracht.
Vergewaltigungen über zehn Jahre hinweg
Der Hauptangeklagte in dem Verfahren ist Dominique Pelicot. Er hatte seine damalige Frau Gisèle über fast zehn Jahre hinweg immer wieder mit Medikamenten betäubt, sich an ihr vergangen und sie Dutzenden Fremden zur Vergewaltigung angeboten, wie er vor Gericht gestand.
Das seit September laufende Mammutverfahren hatte Frankreich aufgerüttelt und weltweit für Aufsehen gesorgt. Die 72-jährige Ex-Frau des Hauptangeklagten hatte sich für ein öffentliches Verfahren eingesetzt, „damit die Scham die Seite wechselt“.
Kinder von Pelicot enttäuscht
Die drei erwachsenen Kinder des Paares zeigten sich anschließend „enttäuscht“ über die ihrer Ansicht nach „niedrigen“ Strafen. Ein Frauenverband drückte „Unverständnis“ angesichts der Strafen für die Mitangeklagten aus. „Der Kampf gegen Straflosigkeit ist noch lange nicht beendet“, hieß es in einer Erklärung.
„Vergewaltigungen betreffen Frauen in der ganzen Welt, deshalb schaut auch die ganze Welt auf das, was hier passiert“, sagte Ghislaine Sainte Catherine von der feministischen Vereinigung Les Amazones d’Avignon.