„Unfassbar, in welcher Unverwechselbarkeit und Qualität dieses Orchester spielt. Unglaublich die Stimmung beim letzten Konzert in Regensburg, nicht enden wollte der Schlussapplaus“, jubelt Norbert Trawöger, künstlerischer Leiter des Bruckner Orchesters (BOL), nach der Deutschlandtournee. Der Zugang von Chefdirigent Markus Poschner zu Bruckner erregt international Aufsehen.
VOLKSBLATT: Wie erlebten Sie diese Tournee?
MARKUS POSCHNER: Wir haben uns nach zwei Jahren Verschiebung danach gesehnt, nach außen zu gehen, uns auf großen Bühnen zu zeigen, uns zu messen. Obwohl wir Bruckner in- und auswendig kennen, war es eine weitere Grenzerfahrung. Man merkt mit wie viel Herzblut, man noch tiefer in diese Materie eintauchen kann.
Wie viel von Ihnen steckt in dieser 4. Sinfonie?
Das Orchester hat lange vor mir und wird lange nach mir Bruckner spielen. Der Notentext, so dezidiert und exakt er uns von Bruckner hinterlassen wurde, wirft viele Fragen auf, darum unsere unentwegte Suche nach Sinn und Antworten. Gerade im oberösterreichischen Kontext kommen wir zu ganz eigenen Ergebnissen. Insofern steckt viel Markus Poschner drin, denn Musik entsteht im Jetzt, aus unseren Erfahrungen, unserem Zugriff, unserer Geografie und ist deshalb was völlig Unverwechselbares.
Verstehen Sie Bruckner besser als er sich selbst, wirken Sie quasi als posthumer Therapeut?
Das Klischee Bruckner als Gottesmusikant, ganz weihehevoller Hüter einer liturgisch rituellen Art von Musik, ist bei weitem nicht die ganze Wahrheit, Bruckner war genauso ein Schrammelgeiger, der mit seinen Freunden und Schülern nächtelang im Wirtshaus saß, oder nächtelang an der Orgel improvisierte. Da ist ‚was ganz stark Rauschhaftes, Ekstatisches. Erhabenheit ist natürlich auch ein wesentliches Phänomen, aber gerade in den Mittelsätzen hört man seine Tanzbegeisterung, das ist genauso er. Bruckner hat mich als Therapeuten nicht nötig, doch vielleicht bin ich so ‚was wie ein Geburtshelfer, einer, der Wesenszüge zutage bringt, die im Mainstream verloren gehen.
Völlig konträr dazu war das Schlagwerkkonzert mit Martin Grubinger. Was reizte Sie an dieser extrem schwierigen musikalischen Konstruktion?
Zum Programm habe ich mit Martin Grubinger lange diskutiert. Die beiden Werke begegnen sich im Rauschhaften. Komponist Bruno Hartl zeigt eine „Verarbeitungswut“ von Rhythmen und Musikrichtungen, die wahrscheinlich für viele Konzerte gereicht hätte, ein wunderbar grenzüberschreitendes Werk, sauschwer zu spielen. Zwei österreichische Grenzgänger, die sich über die Jahrhunderte gegenseitig inspirieren.
Martin Grubinger meinte, es war schwer, einen Dirigenten für dieses Konzert zu finden.
Ich muss gestehen, auch ich bin vom Stuhl gefallen, als ich die Partitur aufgeschlagen habe. Das ist wirklich an Komplexität kaum zu überbieten, dagegen ist „Sacre du Printemps“ von Strawinski ein Kinderlied. Ich liebe solche Herausforderungen und das BOL genauso.
Hat sich was verändert im Laufe der Tour?
Ja, da hat sich sehr viel getan. Wir kennen jeden Winkel dieser Partitur. Trotzdem – in den verschiedenen Konzertsälen kommt man nochmal weiter, noch feiner an die Grenzen. Da waren Sternstunden dabei, wir riskierten, fast am Rande des Scheiterns. Noch leiser, noch virtuoser, alle musikalischen Parameter auf die Spitze getrieben. Mit jeder Aufführung entstand ein neues Werk.
Ihr Resümee?
Das Orchester ist Botschafter der Kulturregion OÖ. Wir messen uns an den allerbesten, den berühmtesten Orten. Das gehört zu unserer individuellen Staatsräson. Das ist unser Selbstverständnis, unser Selbstbewusstsein. Das ist auch, was ich in alle Richtungen sagen möchte.
Interview: Eva Hammer