Daniela Emmingers Mutmacher: Die neuen Bücher der Oberösterreicherin

„Fuck.Muzikatzerl“ und "Blut ist nicht dicker als Wasser" über eine Gulaschköchin und einen Schweinebauern

Erstaunlich vielfältig waren Daniela Emmingers Bücher schon immer. „Die Vergebung muss noch warten“ (2015) tauchte in die Welt der Esoterik ein, „Kafka mit Flügeln“ (2018), ein Genre-Mix zwischen Reiseroman und Science-Fiction, spielte in Kirgisistan, während für „Zirkus.Braunau“ eine aktionistische Autorin ins Affenkostüm schlüpfte. Ihre zwei jüngsten Romane führen nun nach Graz und New York und erzählen von weiblicher wie männlicher Selbstermächtigung. Beide sind Mutmacher.

Auf- und Ausbruch in der Lebensmitte

Die 1975 in Vöcklabruck geborene und in Wien lebende Autorin, die 2016 mit ihrer Novelle „Gemischter Satz“ für den Österreichischen Buchpreis nominiert war, setzt auf Hauptfiguren, die in ihrer Lebensmitte einen Auf- und Ausbruch wagen. „Ich habe meine Ehe geschrottet, nach 18 Jahren. Und weil sich das anfühlt, als hätte ich mein ganzes Leben verkackt oder zumindest ein halbes Leben verloren, muss ich mir jetzt ein neues suchen, sozusagen ein drittes, weil vor dieser Ehe war ich ja auch schon existent“, heißt es in „Fuck.Muzikatzerl“ (Verlag Bibliothek der Provinz, 128 Seiten, 15 Euro), und in diesen zwei Sätzen der Protagonistin Angelika steckt bereits der ganze Plot.

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Dass man die 120 Romanseiten nicht nur gerne, sondern auch in einem Zug liest, liegt am Drive der von der ersten in die dritte Person wechselnden Emanzipations- und Aufbruchsgeschichte, deren Heldin mit gehörig viel Wut und mehr Selbstbewusstsein als Selbstzweifeln ausgestattet ist. Die 45-jährige Köchin setzt energisch auf Neuanfang, zieht nach Graz und checkt sich einen neuen Job.

Von Verletzlichkeit und Ruppigkeit geprägter Stil

Als Gulaschköchin soll Angelika dem „Würstl Hannes“, einem besseren Würstlstand, zu gastronomischen Höhenflügen verhelfen. Noch bevor tatsächlich ein Michelin-Stern vom Himmel fällt, lässt sie sich ihr erstes Tattoo stechen, und in dieser Szene zwischen faltiger Haut und unerwartet starken Schmerzen ist alles enthalten, was Emmingers von Verletzlichkeit und Ruppigkeit ausgezeichneter Schreibstil auszeichnet. Auf das linke Schulterblatt kommt übrigens kein Motiv, sondern ein Spruch: „Ich bin nicht gegen alles. Ich suche nur etwas.“

Das könnte auch der in einem oberösterreichischen Bauerndorf namens Leidern aufgewachsene Joseph Sauschneiderbauer von sich sagen, von dem Emminger in „Blut ist nicht dicker als Wasser“ (Klever Verlag, 310 Seiten, 25 Euro) erzählt. Er ist auf der Suche nach sich selbst und findet dies ausgerechnet in New York City, wo der Sauschneiderbauer-Seppl zu Joe Wanderer und der unterdrückte Bauernsohn und Außenseiter zum gefeierten Künstler wird.

„New Yorker Bauernroman“

Weil ihr „New Yorker Bauernroman“ ein wenig nach Cinderella klingt und ein attraktiver junger Schwuler namens Jim den Prinzen gibt, hat sich die Autorin auch eine märchenhafte Vorgeschichte ausgedacht: Als die böse Großmutter, die die ganze Sippe unterdrückt hatte, stirbt, findet Joseph zwar keinen Schatz, weiß aber, wo die Matriarchin ihre Geld- und Goldschätze versteckt hatte. Als es ans Erben geht und die anderen sich um den Rest streiten, hat er bereits ein schönes Startkapital für den Neustart im Big Apple zur Seite gebracht.

Unübersehbar ist, dass Emminger selbst einige Zeit in New York City verbracht hat, denn sie versteht es, die Entdeckungstouren des österreichischen Provinzlers, der sich erstaunlich schnell assimiliert und auch keinerlei Sprachschwierigkeiten hat, sehr anschaulich und mit spürbarer Begeisterung für die Stadt zu schildern. In diesen fröhlichen Aufbruch in ein zweites Leben mischen sich immer wieder Rückblicke auf Kindheit und Familiengeschichte – ein glattes und fast ein wenig konventionell geratenes Kontrastprogramm zu dem Höhenflug, zu dem Joe ansetzt.

In einem Schuppen in den Catskill Mountains findet Joes Vergangenheitsbewältigung und Künstlerwerdung statt. Und sein Freund Jim setzt alles daran, die Welt wissen zu lassen: A star is born. Schon seine ersten beiden Werkserien werden von einer angesagten Galerie in Chelsea ausgestellt. Sie heißen „A family of pigs“ und „What remains of family“. Damit beginnt das Abenteuer aber erst so richtig.

Emminger beweist mit „Blut ist nicht dicker als Wasser“, dass sie auch den Atem für die Langstrecke hat. Und vergisst auch nicht, den Kreis zum Vorgängerbuch wieder zu schließen: Joes dritte Werkreihe besteht aus verwesenden, in Giuseppe-Arcimboldo-Manier gestalteten Wurstcollagen. „Er nannte die Serie ‚Everything will be fine‘.“
Daniela Emminger ist im Rahmen einer Lesung am 5.12. im Stifterhaus Linz zu Gast.

Von Wolfgang Huber-Lang