„Das Gewissen der Tauben“: Neuer Roman von Reinhold Bilgeri

Neuer Roman von Reinhold Bilgeri © APA/HERBERT NEUBAUER

Reinhold Bilgeri hat es wieder getan. Nach dem 2005 erschienenen und später von ihm verfilmten Bestseller „Der Atem des Himmels“ und seinem New York-Roman „Die Liebe im leisen Land“ (2021) hat der 74-jährige Vorarlberger Musiker, Autor und Filmemacher nun seinen dritten Roman veröffentlicht. „Das Gewissen der Tauben“ spielt im Jahr 1959 zwischen Wien und Hohenems und lässt eine junge Frau in mehrfacher Weise erfahren, dass Nazizeit und Weltkrieg noch nicht überwunden sind.

Gerdas Vater ist nicht aus dem Krieg heimgekehrt. Er kam, wie sie erst nach und nach von ihrer Mutter erfährt, unter ungeklärten Umständen in Nordafrika in britischer Kriegsgefangenschaft ums Leben, nachdem er in Griechenland desertierte und zu den Partisanen überlief. Gleichzeitig wird die lebenshungrige, doch streng behütete junge Frau mit undurchsichtigen Machenschaften eines charmanten Schweizers konfrontiert, der im Nachkriegs-Wien ihre erste große Liebe wird. Die „humanitäre Arbeit“ des Sprosses einer reichen Bankiersfamilie stellt sich allmählich als Mithilfe bei jener vom Vatikan mitorganisierten Fluchthilfe für gesuchte Nazi-Verbrecher heraus, bei der Kreuz und Hakenkreuz einander unselig nahe kamen, und die als „Rattenlinie“ in die Geschichtsbücher eingegangen ist.

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Der erste Strang der Geschichte, der vom Weiterwirken der NS-Ideologie unter deutschen Kriegsgefangenen erzählt und von brutalen Feindschaften zwischen Nazis und Nazi-Gegnern in den Gefangenenlagern, ist offenbar von Bilgeris Familiengeschichte inspiriert. Sein Vater habe in einem britischen Gefangenenlager in Ägypten Tagebuch geführt, erzählte der Autor kürzlich dem „Kurier“: „Alles, was in dem Buch zitiert ist, ist aus den Tagebüchern meines Papas. Das alles ist echt.“

Der zweite Strang zeichnet Machenschaften nach, nämlich die unglaubliche Fluchthilfe des Vatikans für NS-Verbrecher, die erst nach und nach durch historische Forschungen ans Licht kamen. Gerald Steinachers Buch „Nazis auf der Flucht“ ist in der Literaturliste ebenso aufgeführt wie das von Bilgeris Vater Rudolf im vergangenen Jahr veröffentlichte „Tagebuch eines Deserteurs der Wehrmacht“. Philippe Sands viel besprochenes Buch „Die Rattenlinie – ein Nazi auf der Flucht“ fehlt darin.

Für die Verbindung der beiden Stränge benötigt Reinhold Bilgeri eine Konstruktion, die nicht sehr plausibel wirkt, als Ausweitung der Coming-of-Age-Geschichte Gerdas zum Detektivroman jedoch gut funktioniert: Die Recherchen der immer selbstbewussteren jungen Frau, die bald schwanger wird, der aber ihr Bräutigam ausgerechnet am Tag der Hochzeit abhanden kommt, bringen Unglaubliches zutage und kulminieren in der Rekonstruktion dramatischer Ereignisse, bei denen Vater und Geliebter einander vor Jahren gegenüberstanden.

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Bilgeri, der seinen Roman im Rahmen der Buch Wien vorstellt, lässt seinen politischen und aufklärerischen Antrieb für das Buch nie vergessen. Gleichzeitig widmet er sich aber so akribisch wie liebevoll der Beschreibung der 50er-Jahr-Atmosphäre, als hoffnungsvoller Aufbruch in neue Zeiten und krampfhaftes Verschweigen der düsteren Vergangenheit eng miteinander verbunden waren. Gerda übernimmt dabei für den Autor die Rolle der Aufklärerin und Aufdeckerin – zusätzlich zu jener der Liebenden. Das ist alles ein bisschen viel. Aber in Zeiten, in denen widerliches Machotum politisch belohnt wird, kann es wohl nicht genügend starke, emanzipierte Frauen geben, die die Dinge selbst in die Hand nehmen. Im Roman und im wirklichen Leben. Auch der Autor scheint dieser Ansicht zu sein. Und lässt Gerda im sieben Jahre später spielenden Schlusskapitel in Buenos Aires eine überraschende Entscheidung treffen …

(Von Wolfgang Huber-Lang/APA)

Reinhold Bilgeri: „Das Gewissen der Tauben“, Amalthea Verlag, 368 Seiten, 29 Euro