Davon geht die Welt unter

Sensationell: Friedrich Hebbels „Die Nibelungen“ im Landestheater Linz

Vorspiel zu einem Blutbad, die scharfe ungarische Küche bekommt den Germanen nicht gut. Kriemhild (Theresa Palfi) und Etzel (Alexander Hetterle) schwelgen still im Genuss.
Vorspiel zu einem Blutbad, die scharfe ungarische Küche bekommt den Germanen nicht gut. Kriemhild (Theresa Palfi) und Etzel (Alexander Hetterle) schwelgen still im Genuss. © Herwig Prammer

Die erste Nacht mit Brunhild ein Desaster für König Gunther. Die isländische Fürstin verdrischt den Germanen und hängt ihn – ausgerechnet! – an einem Hirschgeweih auf. Für Gunther springt Siegfried in die Bresche. Die unerschöpfliche Potenz des Helden lässt auch Brunhild schwach werden.

In der Szene die Spannweite an „Männerphantasien“, von Kastrationsangst bis zu männlichem Allmachtswahn. Der psychoanalytische nur einer von mehreren Fäden dieser fantastischen Inszenierung. Unvermeidliche Triebfeder die Einverleibung des Nibelungenmythos durch die Nationalsozialisten. Was süße Naziäuglein erst richtig zum Leuchten brachte: die Nibelungentreue von Hagens Mittätern, die sich perfekt an den unbedingten Gehorsam zum „Führer“ schmiegte.

Premiere von „Die Nibelungen“ in der Regie von Susanne Lietzow war am Samstag im Landestheater Linz. Eine Theatersensation. Thriller mit komödiantischen Einschüben, eine Studie – Obacht, Modewort! – toxischer Männlichkeit. Nur keine Angst, diese „Nibelungen“ sind keine öden drei Lehrstunden über einen miefigen Germanenmythos. Im Gegenteil. Friedrich Hebbels „Deutsches Trauerspiel“ von 1861 dargeboten als brillant durchdachtes, tarantinoeskes Spektakel. Was Theater alles kann! Drama und Rasanz, stummes Auskosten des Moments, Humor und Horror, Verdichtung, Verzauberung.

Ehre, Treue, Softpornos

Königlicher Hof zu Worms, die holländische Frohnatur Siegfried wirbt um die bezaubernde Kriemhild. Die reine Liebe, gestört durch die unselige Ehe Gunter/Brunhild. Miese Bilanz: Brunhild geschändet von Siegfried, Kriemhild sehr eifersüchtig, Gunter sehr blamiert. Ehre und Treue! Onkel Hagen richtet´s für die Burgunden (später die Nibelungen), der Simpel Siegfried (Christian Clauß) das Bauernopfer. Kriemhilds Rache fürchterlich, Gemahl No. 2 Etzel, König der Heunen (=Hunnen), wird eingespannt.

Theresa Palfi als Kriemhild einmal mehr – unbeschreiblich. Ungeheuerlich ihre Trauer zwischen Wahnsinn und größter Klarheit ob zu schmiedender Rachepläne. Beinahe ebenbürtig Corinna Mühle als Brunhild. Furie aus dem Wald, ein Alien, der seine Fremdheit in David Bowies „Space Oddity“ auf Isländisch beklagt. Christian Taubenheim ein großartiger Dreckskerl Hagen, Alexander Hetterle ein supermännlicher Oberhunne Etzel. Sonderapplaus für Katharina Hofmann als Ute: naiv-patscherte Figur, zerquetscht von dümmlichen Zuschreibungen als „deutsche Mutter“.

Humanistisches Bildungsgut trifft auf Popkultur, vom Bildschirm flimmern Fritz Langs „Nibelungen“ und Softpornos für Hagen („So scharf wie Siegfrieds Schwert“). Regisseurin Lietzow entblättert die Todesversessenheit des Mythos, doch nimmt sie die Erzählung auch ernst: Warum Krieg?

Am Ende Schlachtplatte und kollektiver Blutrausch, Kriemhild spottet mit Zarah Leanders „Davon Geht Die Welt Nicht Unter“. Quentin Tarantino lässt noch einmal grüßen, quasi die Linzer Variante von „Inglourious Basterds“ als „Nibelungen“ am Landestheater. Wärmste Empfehlung, bitte hingeh´n.

Von Christian Pichler

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