Judy Mardnli (Jg. 1988) ist den Weg seiner Flucht zurück gegangen. Der Kurde kam 2014 aus Syrien nach Österreich. Die Reise zurück von Freistadt übers Burgenland, durch Griechenland bis in die Türkei hat er schriftlich und auf Fotografien festgehalten. Sie war begleitet von vielen Emotionen und auch von einer Aufarbeitung des Erlebten.
Anders als viele seiner Arbeiten in den letzten Jahren, die düstere Farben dominierten, ist die 13 Meter lange Rolle mit dem Titel „Walking Backwards“, die er mit Tusche auf Fotopapier gestaltet hat, von immer bunter werdenden Tönen, Fantasie und Fröhlichkeit getragen.
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„Ich habe mich entschieden, das Leben wieder aus einer anderen Perspektive zu sehen“, sagt er. Der studierte Anglist und Amerikanist unterrichtet mittlerweile in Linz an jener Schule, in der er in seinen Anfängen in Österreich als Schulwart tätig war.
Stacheldraht-Forschung und digitale Wesen
Mit Grenzen in Form von Stacheldraht, die Schutz, Ab- und Ausgrenzung und Privatisierung bedeuten können, setzte sich der in Wien lebende deutsche Künstler Alexander Glandien (Jg. 1982) unter dem Titel „No Trespassing“ auseinander.
Dazu flog er nach Texas, wo nicht nur Zäune für Vieh gebaut werden, sondern auch die Grenze zu Mexiko dicht gehalten wird. Fotos und Aquarelle versammeln Eindrücke von abgesperrten Zonen, auf einer Wand eine Großaufnahme, die eine Mauer mit gemalten Kühen für den Betrachter sehr plastisch erscheinen lässt.
Mardnly und Glandien (beide Gewinner OK Friends und Energie AG Traumstipendium) sind zwei von sechs Künstlern, die bis 17. September unter dem Titel „Talentiert & etabliert“ im Eingangsbereich der Energie AG präsentiert werden, kuratiert von Genoveva Rückert und Reinhard Gattinger. Die Früchte der bewährten Zusammenarbeit mit der OÖ Landes-Kultur GmbH, im Rahmen derer junge Talente gefördert werden.
Neu ist der Digitalpreis der Energie AG, der künftig abwechselnd mit dem Klemens-Brosch-Preis vergeben wird. Und er rückt gleich beim ersten Mal faszinierende Arbeiten in den Fokus: Der gebürtige Tiroler Lukas Dworschak (Jg. 1993) beschäftigt sich mit fluiden Gebilden und Gravitätsfeldern im Computer. Die „friert“ er ein und lässt daraus Bilder oder Skulpturen entstehen, die etwas erstaunlich Lebendiges ausstrahlen. „Cloud Bodies“ titelt dementsprechend ein riesiges Wandformat, „No Blood in Vens“ eine Installation.
Wie die Verpackung zum fragilen Objekt wird
Sonnhild Essl (Jg. 1989), mit dem Talentförderpreis bedacht, studiert noch an der Linzer Kunstuni und hat sich mit ihrer ganz eigenen Technik mit Veränderung und Recycling auseinandergesetzt. „Vor einem Jahr hätte das anders ausgesehen“ titelt ihr modulares System, dem man immer wieder etwas hinzufügen oder davon etwas wegnehmen kann. Dazu formt sie Styropor-Verpackungen ab, collagiert die aus Pappmaché entstandenen Objekte dann und setzt sie zu Skulpturen zusammen. Weggeworfenes erhält eine neue Funktion, die schützende Hülle wird selbst zum fragilen Objekt.
Quasi in der Auslage eine Reminiszenz an eine 2022 verstorbene große österreichische Künstlerin: Die Arbeit „afaik“ von Brigitte Kowanz passt als Lichtinstallation und mit konzeptueller Poesie, die die gegenwärtige Verkürzung der Sprache ausdrückt, perfekt hierher. Das Werk wird in die Energie AG-Sammlung aufgenommen.
Sechs Stockwerke hat der neue Zubau im Gebäude, das Stiegenhaus ist der ideale Raum für Arbeiten des in Wien lebenden Italieners Aldo Gianotti (Jg. 1977), übertitelt mit „Flight of Steps“. Teilweise fast mantraartig und mit viel Witz, aber auch zum Nachdenken anregend, begleiten Zeichnungen und Texte zum Auf- und Abstieg im Treppenhaus und ganz allgemein über das Leben Mitarbeiter und Besucher. Wenn das nicht zum Stiegensteigen motiviert …
Von Melanie Wagenhofer