Das Publikum der Wiener Staatsoper ist dank der künstlerischen Angebote von Direktor Bogdan Roscic mit dem Höhepunkt der augenblicklichen „Aida“-Serie vollzählig in das Haus am Ring zurückgekehrt. Die am 24. Dezember 1871 im Kairo uraufgeführte Oper, die kein Geringerer als Ägyptens Vizekönig Ismail Pascha in Auftrag gegeben hatte, kam am 29. April 1874 erstmals an der Wiener Hofoper heraus, wo sie Giuseppe Verdi höchstpersönlich am 20. Juni 1875 dirigierte.
Librettist Antonio Ghislanzoni und Verdi, unwissentlich auf das Jahr 2023 vorausblickend, wünschten sich für die rivalisierenden Radames-Verehrerinnen hübsche, attraktive Interpretinnen. Nun stehen sie also tatsächlich auf der von Carlo Tommasi monströs ausgestatteten Bühne, auf der Nicolas Joel wahre Menschenmassen in Bewegung setzte: die großen Diven unserer Zeit, Sopranistin Anna Netrebko in der Titelpartie und mit grandiosem Mezzo Elina Garanca als Intrigantin Ameris, letztere als Rollendebütantin.
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Was man nun erlebt, ist absolute Weltklasse: Die beiden bieten im Duett und alleine ein Psychodrama der Liebesgefühle. Netrebko ist die leidende äthiopische Dienerin im Exil, Garanca die ihre Rivalin mit falscher Zuneigung bis an den Rand des Erträglichen quälende Prinzessin Ägyptens.
Jonas Kaufmann zu wenig persönlichkeitsstark
In Gestik, Mimik und in bestechender rivalisierender Stimmkultur kämpfen die beiden um die Liebe des ägyptischen Feldherren Radames. Als solcher ist der tenoral auftrumpfende Jonas Kaufmann zu wenig persönlichkeitsstark, er wirkt nicht als heldischer Oberbefehlshaber der zunächst erfolgreichen ägyptischen Truppen, sondern eher als bescheidener Diener seines Volkes, wodurch allerdings der unvorsichtige Verrat desselben glaubhafter wirkt. Der äthiopische König und Feldherr Amonasro, gleichzeitig Vater Aidas, findet in Luca Salsi einen impulsiven baritonalen Sänger-Darsteller von Format, der seine Tochter und deren Liebhaber beinhart hereinlegt. Bleibt als letzter Höhepunkt des Abends die Todesszene zu erwähnen. Das Duett Radames-Aida und das Gebet Amneris‘ für ihren sterbenden Geliebten rühren das Publikum bis an die Grenzen des Erträglichen.
In der 126. Aufführung der Joel-Inszenierung leitet Nicola Luisotti nach eher vorsichtigem Auftakt mit der Radames-Romanze das Orchester und den von Thomas Lang einstudierten Chor sowie Bühnenorchester und Extrachor souverän, was bei den durchaus individuell gestalteten Arien und Duetten der rivalisierenden Diven gar nicht leicht war. Wie wichtig sogenannte Nebenrollen sein können, zeigen Ilja Kazakov als König, Alexander Vinogradov als Ismail Pascha, Hiroshi Amako als Bote und die Ukrainerin Anna Bondarenko als Priesterin.
Der Jubel kannte keine Grenzen. Es wird schwer sein, für die letzten beiden Aufführungen am 21. und 24. Jänner noch Karten zu ergattern.
Von Ingo Rickl