Was wollte Ridley Scott? Das ist auch nach 158 Minuten Laufzeit schwer zu beantworten. Offensichtlich ist, dass der Schöpfer von „Alien“, „Blade Runner“ und „Gladiator“ eine Idee hatte, die bereits Stanley Kubrick durch den Kopf spukte: eine cineastische Umsetzung des Lebens von Napoleon Bonaparte.
Gut. Bei historischen Figuren, die verklärter Firlefanz ebenso umgibt wie historische Fakten, ist das kein einfaches Ansinnen und es müssen Entscheidungen getroffen werden. Wenn aber ein Film mit historischen Fakten und viel verklärtem Firlefanz rauskommt, ist das nicht befriedigend. Genau das ist Ridley Scotts Film „Napoleon“.
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Toxische Zweisamkeit & blutige Schlachten
In „Napoleon“ werden chronologisch Episoden aus Bonapartes Leben erzählt, angesichts des Erlebnisreichtums lückenhaft und nicht immer historisch korrekt. Nach Marie Antoinettes Enthauptung, der Napoleon bei Scott beiwohnt, finden wir uns in der ersten Schlacht. Napoleon nervös, unsicher und atemlos, beim Angriff wird ihm das Pferd wortwörtlich unterm Hintern weggeschossen, siegreich sind die Franzosen trotzdem.
Apropos Franzosen: Ein Film über Napoleon Bonaparte, und alle sprechen Englisch, selbst das „Vive la France!“ hat einen US-amerikanischen Akzent? Wie verstörend das erst für Franzosen sein muss.
Die Karriereleiter geht es für den Korsen dennoch hinauf. Joséphine de Beauharnais (Vanessa Kirby) tritt in Napoleons Leben. Und wie! Sie spreizt die Beine und verspricht dem künftigen Kaiser, dass er nur hinsehen solle, er werde nie genug davon bekommen. So soll es dann auch geschehen, eine — man würde wohl heute toxische sagen — Beziehung entspinnt sich, sie vergnügen, streiten, schlagen sich, schreiben sich später hunderte Briefe.
Napoleon soll 61 Schlachten geschlagen haben, eine kleine Auswahl sehen wir, darunter „Höhepunkte“ wie Austerlitz, der ultimative Tiefpunkt Waterloo fehlt naturgemäß nicht. Fans von solch filmisch umgesetzten blutigen Schlachtereien werden ihre Freude haben, ebenso jene, die die gute alte Zeitlupe gerne auf großer Leinwand sehen. In Austerlitz brechen minutenlang Soldaten und Pferde ins Eis ein, spektakulär wird da zum Hilfsausdruck.
Weder in seiner Beziehung zu Joséphine, noch in der schwankenden Begabung als Führerpersönlichkeit macht Ridley Scott seine Hauptfigur greifbar. Nichts wird sicht- oder spürbar von Napoleons Motivation, er schwankt nicht zwischen Gut und Böse, sondern verharrt im uninspirierten Dazwischen. Am Ende sind wir so klug als zuvor.
Und das Schlimmste? Joaquin Phoenix spielt Napoleon! Was hätte das werden können, hätte sich Ridley Scott entschieden, was exakt er uns erzählen will. Hätte er Phoenix losgelassen und ihn die Abgründe des Kriegswahnsinnigen oder des Liebenden oder des Machtgeilen spielen lassen. So ist er manchmal ein Trump des 19. Jahrhunderts, irgendwie immer ein ältlicher Mann mit hängendem Gesicht und warum er tut, was er tut, bleibt sein Geheimnis. Ridley Scott ist Filmemacher, er hätte uns einfach eine gute Geschichte erzählen können.
Von Mariella Moshammer