23 Salzkammergut-Gemeinden in Oberösterreich und der Steiermark sind an der Kulturhauptstadt Europas 2024 beteiligt – mit Bad Ischl im Zentrum. „Macht und Tradition“ und „Kultur im Fluss“ sind zwei der insgesamt vier Programmlinien. Sie wurden am Donnerstag in Graz von der künstlerischen Leiterin Elisabeth Schweeger sowie Mitwirkenden vorgestellt. Insgesamt wurden bereits 180 Projekte fixiert. Offiziell eröffnet wird das Ganzjahresfestival am 20. Jänner.
Der Titel „Kulturhauptstadt Europas“ wird seit 1985 an Städte und Regionen in Europa verliehen. Erstmals findet das europäische Projekt in einer inneralpinen, ländlich geprägten Region statt, betonte der steirische Landeshauptmann und Kulturlandesrat Christopher Drexler (ÖVP). Mit der Entscheidung für das Salzkammergut sind auch die steirischen Salzkammergut-Gemeinden Altaussee, Bad Aussee, Grundlsee und Bad Mitterndorf mit dabei und rund 35 Projekte, die im Laufe des kommenden Jahres zu erleben sein werden, finden im steirischen Teil des Salzkammergutes, bzw. mit steirischer Beteiligung statt. „Wir sind der kleine, aber hoffentlich feine Teil der Europäischen Kulturhauptstadt“, wie Drexler sagte.
Lesen Sie auch
Geschichte und Gegenwart, Perspektiven und Visionen und das Verhältnis zu Europa stehen im Mittelpunkt des einjährigen Programms, das sich das Motto „Kultur ist das neue Salz“ gesetzt hat. Es gehe „nicht nur um Unterhaltung und Vergnügen, sondern auch darum, kritische Diskussionen anzustoßen und einen Raum für Reflexion und Austausch zu schaffen“, so Schweeger. Aus ihrer Sicht dienen Kulturhauptstädte dazu „einen Dialog herzustellen zwischen dem Eigenen und dem Anderen,“ denn „unterschiedliche Kulturen – das ist der Reichtum Europas. Wir müssen uns fragen, wie wir mit dieser Ressource umgehen“, wie Schweeger betonte. Eine Kulturhauptstadt könne zwar keine Lösungen anbieten, aber „Impulse liefern“.
Die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und den Machtverhältnissen, Zusammenhängen und Abhängigkeiten bildet ein Kernanliegen in der Programmlinie „Macht und Tradition“: Erinnerungskultur, Salzabbau, Monarchie, Protestantismus, Widerstand, Sommerfrische, Jüdisches Leben, Nationalsozialismus, Museen und Brauchtum sind Stichworte dazu. So führte der seit 7.000 Jahren praktizierte Salzabbau zu Machtkämpfen um die Vorherrschaft über die Region, bildete zugleich aber auch die Grundlage für den Reichtum des Salzkammerguts. Die zentrale Ausstellung im ehemaligen Sudhaus in Bad Ischl „salz\wasser\holz&kunst“ wird sich mit diesen für die gesamte Region wichtigen Rohstoffen in Objekten, Film- und Fotoarbeiten sowie Installationen beschäftigen. Die Heimatmuseen werden viel zu dieser Thematik erzählen, die „museale Perlenkette“ werde aber auch durch ein virtuelles Museum ergänzt werden, so Schweeger.
Der Umgang mit den Protestanten während der Habsburger-Herrschaft, die Sommerfrische des imperialen Hofes, das avantgardistische kulturelle, vielfach jüdische Leben haben die Region ebenso geprägt und sind große Themen während des Kulturhauptstadtjahres 2024. „Die unerhörten Dinge“ vom Grazer Theater im Bahnhof werden sich etwa mit geraubten Kunst- und Alltagsgegenständen aus ehemals jüdischem Besitz aus der Region auseinandersetzen: In dieser Theaterarbeit wird auf den Wochenmärkten in Bad Aussee, Altaussee und eventuell auch in anderen Orten eine fiktive Radiostation aufgebaut, die scheinbar eine Live-Sendung ausstrahlt, die regionale Überlieferungen zu NS-Raub und Restitution zum Thema haben.
Bad Ischl ist auch geprägt von seiner imperialen Vergangenheit: „k(ritisch) u(nd) k(ontrovers)“ ist als differenzierte Auseinandersetzung mit der Habsburgermonarchie und ihren Konsequenzen konzipiert. Zum einen will man in diesem Projekt Info-Stelen, die sich mit den dunklen Kapiteln der Geschichte Österreich-Ungarns auseinandersetzen, in den Stadtraum bringen. Begleitend sollen Gespräche und Podiumsdiskussionen stattfinden, zu denen auch internationale Experten erwartet werden. Unter dem Titel „Hotel Austria“ wird im neu gestalteten Stadtmuseum von Bad Ischl ab Mai 2024 in einem großen Bogen die Stadtgeschichte erzählt, aber auch auf die hundertjährige Hotelgeschichte und das Erscheinungsbild des Gebäudes Bezug genommen.
Das Kulturhauptstadt-Jahr will die historische Erinnerung auch erwanderbar machen: „Wege des Widerstands“ spürt etwa den Partisaninnen und Partisanen nach. Das „Europäische Theaterfestival, digital und analog, im Ischler Theater“ hält mit internationalen und regionalen Produktionen weitere Zugänge zur Vergangenheit bereit und lässt die Theaterkultur der Region wieder aufleben.
In Graz wird bereits im Jänner 2024 eine Ausstellung über den volkskundlich interessierten Großindustriellen Konrad Mautner (1880-1924) zu sehen sein, der größtenteils in Gößl am Grundlsee lebte und eingehend die volkskundlichen Zeugnisse des Salzkammerguts dokumentiert hat. Erst jüngst seien 1.300 Fotografien aus Familienbesitz aufgetaucht, schilderte Claudia Unger, Leiterin der Abteilung Volkskunde am Universalmuseum Joanneum.
Die Handwerkskunst, Bildende Kunst, Musik, Theater, Jugendkultur, die Ermöglichung kultureller Vielfalt und die Frage, wie man im ländlichen Raum für Gemeinschaft und Empowerment für queere Menschen schaffen kann, sind Schwerpunkte der Programmschiene „Kultur im Fluss“: Ein Residency-Programm bringt junge Künstlerinnen und Künstler ins Salzkammergut, sie sollen einen „Blick von außen“ mitbringen. Als Ausstellungslocations werden das Sudhaus in Bad Ischl ebenso zu Orten aktueller Kunst wie die nicht mehr genutzten Bahnhöfe entlang der ÖBB Regionalstrecke.
Das Musikprogramm spannt den Bogen von Anton Bruckner über Gustav Mahler und Arnold Schönberg bis in die Gegenwart, die Attwenger geigen am Dachstein auf und mit dem „Bad Goiserer Musiktagen“ entsteht ein neues Musikformat.
Das neue „New Salt Festival “ will alternative und elektronische Musik und zeitgenössische Medienkunst in Salzkammergut bringen und das selbstverwaltete Jugendprogramm „Next Generation You!“ ermuntert Jugendliche zu 100 künstlerischen Interventionen und Projekten „von Jugendlichen für Jugendliche“. Tom Neuwirth alias Conchita ist ein wichtiger Botschafter für ein Leben jenseits traditioneller Geschlechterrollen und wird sich im Projekt „Salzkammerqueer“ dafür einsetzen, dass Vielfalt das neue Salz der Region wird.
Das Festival sei bewusst „niederschwellig mit vielen Veranstaltungen bei freiem Eintritt“ konzipiert, betonte die kaufmännische Geschäftsführerin Manuela Reichert. Der Start des Ticketverkaufs für die großen Veranstaltungen ist mit September 2023 geplant, auch an eine Jahres-Eintrittskarte ist geplant. Wer von Anfang an dabei sein will, sollte sich die Tage um den 20. Jänner reservieren. „Das Zimmer für die Eröffnung hab‘ ich schon reserviert“, so Landeshauptmann Drexler am Donnerstag.