Ausufernde „Ohohoho“-Rufe aus tausenden Kehlen waren am Mittwochabend vermutlich noch weit außerhalb des altehrwürdigen Wiener Ernst-Happel-Stadions zu hören – ein untrügliches Zeichen, dass sich die britische Band Coldplay und deren Fans im Prater eingefunden hatten. Mit ihrer routinierten Mischung aus Mitsing-Poprock und bunten Show-Elementen brachte man nach den viel beachteten Absagen der Wiener Taylor-Swift-Shows erfolgreich die Stimmung ins Happel-Oval zurück.
Kurz vor 21.00 Uhr setzten Coldplay zu ihrer rund zweistündigen Show an, für die die Sicherheitsvorkehrungen nach dem terrorbedingten Aus für die Swift-Konzerte stark erhöht wurden. Frontmann Chris Martin bewegte sich bereits zu Beginn zu „Higher Powers“ aufgezuckert durch die ausladende Bühnenlandschaft in Österreichs größtem Stadion. Solche Dimensionen braucht es auch, damit die Band ihr aufwendiges Programm auffahren kann. Gestartet wurde aber erst nachdem in einem kurzen Erklärvideo dargelegt wurde, wie auf dem Event (auch) Energie gespart wird.
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Apropos Energie: Coldplay wissen nach vielen Jahren im Stadionunterhaltungsgeschäft, wie man den Funken überspringen lässt. Wiederkehrendes Stilmittel sind u.a. Song-Passagen oder auch nur Hookline-Einsprengsel im „Ohoh“-Format, die dem Publikum praktischerweise keine Textsicherheit abverlangten. Wäre das der Fall, hätten die 63.300 Besucher damit aber auch kein Problem gehabt – die neuralgischen Lines sitzen bei nahezu allen. Für Stimmung sorgen überdies die LED-Armbänder, mit denen jeder Zuschauer zum Teil der Show wird. Das gibt optisch wirklich viel her.
Was den Sound betrifft, blieb vor allem zu Beginn noch viel Luft nach oben. Verbesserungen sind im Rahmen der bis Sonntag anberaumten insgesamt vier Wien-Konzerte im Rahmen der „Music of the Spheres“-Tournee von Sänger und Pianist Chris Martin, Gitarrist Jonny Buckland, Bassist Guy Berryman und Schlagzeuger Drummer Will Champion durchaus drinnen – ein Anfang wäre zum Beispiel mit einigen Dezibel weniger aus Anlage gemacht.
Ohnehin ist von der nachdenklichen Zurückhaltung, ja fast Schüchternheit des Album-Erstlings „Parachutes“ aus dem Jahr 2000 bei den neueren Releases nicht mehr viel übrig. Die Band hat schon lange einen vollkommenen Wandel in Richtung stadion- und mitsingtauglichen Mainstreamradio-Poprock vollzogen und fühlt sich dabei bei den ersten drei Songs des Abends auch sichtlich wohl. Selten blitzt bei den aktuelleren Nummern jenes tiefgründige und stellenweise überraschende Songwriting auf, das vor allem die frühen Alben wie das wegweisende „A Rush of Blood to the Head“ auszeichnete. Immerhin finden auch einige Songs aus dem Werk aus dem Jahr 2002 Eingang in die 2024er-Setlist. So etwa „The Scientist“, mit dem das Quartett den ersten ruhigen Höhepunkt des Abends setzte.
Martin – ganz charismatischer Frontmann – tat sich zwar das eine oder andre Mal schwer, seine Stimme so erstaunlich mühelos in lichte Höhen gleiten zu lassen, wie einst. Das tut aber letztlich nichts zu Sache, hat er doch tausendfache Unterstützung. Das quittierte er sogleich mit dem Kompliment, dass Wien offenbar „eine Stadt der Opernsänger“ ist. Leider sei sie zuletzt „nicht aus den richtigen Gründen“ in den weltweiten Nachrichten gelandet, so Martin in Anspielung auf die Festnahmen in Folge aufgedeckter mutmaßlicher Anschlagspläne auf die Taylor-Swift-Shows Anfang des Monats.
Mit zwei „Swifties“ und der Namensgeberin und Frontfrau der Vorband, der US-Sängerin Maggie Rogers, hob man deshalb zu einem Cover von Swifts „Love Story“ an. Man singe auch für die jungen Leute, die dahingehend „gebrainwashed“ wurden, „dumme Dinge zu tun“, wie Terroranschläge auszuhecken.
In der Folge schaffte es die Band allerdings nicht immer ganz, die Balance zwischen alter und neuer Herangehensweise an ihre Musik zu finden – der Weg von beispielsweise „Yellow“, quasi dem Türöffner in Richtung Bekanntheit, bis zum aktuellen „My Universe“, einer Kollaboration mit der südkoreanischen Boyband BTS, ist einfach sehr weit. Diese Distanzen versucht man auch mit viel Pathos, der beeindruckenden Lichtshow, großen Gesten und einer erfrischenden Portion Selbstironie auf der Bühne zu überbrücken – oft mit Erfolg.
Im Zugabenteil schaltete man dann doch noch einmal mehrere Gänge zurück. Und so bot sich etwa beim akustischen dargebrachten „Sparks“ aus dem ersten Album tatsächlich großes Gefühlskino auf ganz kleiner Extra-Bühne – vielleicht die beste stimmliche Darbietung Martins an diesem Spätsommerabend. „Danke, dass ihr euch nicht davor gefürchtet habt, herzukommen“, betonte er nochmals, um dann mit dem Rest der Combo und der Über-Ballade „Fix You“ ein weiteres Highlight zu liefern.
Das wäre vielleicht der ideale Endpunkt gewesen. Den setzte die Band dann etwas später allerdings mit dem trendig betitelten „feelslikeimfallinginlove“ – einem Vorboten auf das für 4. Oktober angekündigte neue Album „Moon Music“. Die Nummer – leider eine der schwächsten des Abends – kann jedenfalls als klarer Hinweis darauf gewertet werden, dass man eher nicht daran denkt, der Erfolgsformel der letzten Jahre abzuschwören. Sieht man sich die Publikumsreaktion in der Bundeshauptstadt an, braucht es auch keine Richtungskorrektur.