Zwei Brüder gegen alle: In seinem Roman „Ihr Königreich“ lieferte Jo Nesbø eine packende Geschichte um Loyalität, Missbrauch, Mord, Begierde, Gewalt und Betrug. Vier Jahre später erschien nun die Fortsetzung „Der König“, in der das Schicksal der Geschwister zu Ende erzählt wird. Nicht nur inhaltlich schließt das Buch an den Vorgänger an, sondern auch in Sachen Atmosphäre, rasante Wendungen, Spannung und Noir – und kommt damit an die Klasse des ersten Teils fast heran.
„Was ich bin, das reicht mir absolut nicht, und das war schon immer so“, hält Roy Opgard, der Ich-Erzähler, an einer Stelle fest. Eigentlich ist es sein jüngerer Bruder Carl, der „keine Register“ braucht, „um zu wissen, auf welche Knöpfe er drücken muss, er ist das Register“. Aber Roy ist eigentlich der Mann, der die Fäden zieht, Lösungen findet, Leichen aus dem Weg räumt und lange Zeit die schützende Hand über seinen Bruder hält. Nesbø beschreibt eine faszinierende Dynamik von Hass und Liebe zwischen den Figuren.
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Carl wurde als Kind von seinem Vater missbraucht, Roy schickte die Eltern in den Tod. Der Weg zu erfolgreichen Geschäftsleuten – in „Der König“ leiteten sie ein Hotel bzw. eine Tankstelle und Bar, Roy plant darüber hinaus einen riesigen Freizeitpark – war blutig. Geschickt bettete Nesbø die Vorfälle in „Ihr Königreich“ häppchenweise in den neuen Roman ein, überlädt ihn nicht mit Rückblenden, liefert aber genug Basiswissen für jene, die erst mit „Der König“ einsteigen oder sich nicht mehr an alle Details erinnern können.
Die Dämonen der Vergangenheit holen Roy und Carl rasch ein, außerdem steigt die Rivalität zwischen den Brüdern. Aber: „Die Familie ist die Partei des Krieges, die man nicht selbst wählt, sondern in der man sich wiederfindet.“ Unter diesem Motto Roys geht es noch einmal um „wir gegen alle anderen. Absolut alle.“ Manipulation, Mord, Betrug, Missbrauch und Rache, eiskalt ausgeführt, führen zum Showdown. Denn am Ende heißt es: Nur einer kann hier König sein.
Nesbø bereitet keinen typischen Krimi auf, es ist eine tiefgründige Geschichte um Begierde, Sehnsüchte und kriminelle Dynamik. Das Perfide: Man fiebert mit Strippenzieher Roy Opgard mit, obwohl er eigentlich der Crime-Noir-Schurke par excellence ist, ob er nun Menschen in Wut erschlägt, skrupellos geplant beseitigt oder Umweltgutachten durch Bestechung manipuliert – und das Ganze recht trocken kommentiert. Aber der Leser hofft wohl, dass die Liebesgeschichte in „Der König“ für Roy (im Gegensatz zu jener im ersten Buch) gut endet und er letztlich seinen Bruder übertrumpft.
„Wann also war es passiert, an welchem Punkt des Lebens hatte man den Kontakt zu seiner eigenen Menschlichkeit verloren“, lautet eine Frage Roys an das eigene Gewissen und ein Leitmotiv des Romans. „Der König“ bringt erneut literarische Qualität in Belletristik und Tiefgang in eine, wenn man sie losgelöst betrachtet, haarsträubende Story, etwas weniger gefinkelt, überraschend und stilistisch verspielt wie im ersten Teil, aber alles andere als ein lahmer Aufguss.
(Von Wolfgang Hauptmann/APA)
Jo Nesbø: „Der König“, aus dem Norwegischen von Günther Frauenlob, Ullstein Verlag, 432 Seiten, 27,50 Euro