George Harrison hatte Anfang bis Mitte der 70er-Jahre einen Lauf: Nach dem Album „All Things Must Pass“ und der Veröffentlichung des Mitschnitts der Benefizshow „Concert for Bangla Desh“ war er der erfolgreichste Ex-Beatle. Mit dem Nachfolgewerk „Living in the Material World“ (1973) untermauerte er diesen Status. Das Album kletterte in den USA an die Chartspitze, in Großbritannien auf Platz 2. Nun erscheint eine Neuauflage, die der Klasse Harrisons gerecht wird.
Gefeiert wird – mit etwas Verspätung – das 50-Jahr-Jubiläum der Veröffentlichung des von Kritikern wie Fans hoch geschätzten „Living in the Material World“ mit einer Reihe von behutsam gestalteten Ausgaben (ab Freitag im Handel), darunter eine Super-Deluxe-Edition mit zahlreichem Bonusmaterial und Buch. Auch die kostengünstigeren Vinyl- und CD-Versionen lohnen sich, denn sämtliche Songs wurden von Grammy-Preisträger Paul Hicks anhand der Originalbänder neu gemixt, der schon bei soundtechnischen Überarbeitungen von Alben von John Lennon, der Beatles und der Stones ganze Arbeit geleistet hat. Als Produzenten fungierten Harrisons Ehefrau Olivia und sein Sohn Dhani.
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Im Sommer 1971 hatte Harrison seine Aufmerksamkeit auf Bangladesch und die sich dort zuspitzende humanitäre Tragödie gerichtet. Der Ex-Beatle organisierte zwei Benefizkonzerte im Madison Square Garden in New York, an denen u.a. Ravi Shankar, Ringo Starr, Eric Clapton, Leon Russell und Bob Dylan mitwirkten. Durch dieses Ereignis, aber auch durch Meditation und Hinduismus, dem sich der Musiker Mitte der 60er-Jahre zugewandt hatte, befand sich Harrison in einer tief spirituellen Phase.
Harrison verzichtete bei „Living in the Material World“ auf eine „Wall of Sound“-Produktion wie auf „All Things Must Pass“. Mit dem Produzenten Phil Spector konnte er ohnehin wegen dessen Alkoholproblemen nicht erneut arbeiten. Harrison verließ sich auch nicht auf alte Ideen bzw. Überreste, sondern schrieb so gut wie alle Songs für das Album neu. Ins Studio ging er mit einer eher kleinen Besetzung, deren Kern Nicky Hopkins und Gary Wright (Keyboards), Klaus Voormann (Bass) und Jim Keltner (Drums) bildeten.
Ende 1971 hatte Harrison im New Yorker Plaza Hotel mehrere Demos aufgenommen. Dazu gehört die früheste bekannte Aufnahme der Hitsingle „Give Me Love (Give Me Peace On Earth)“. Zu Beginn der eigentlichen Studioarbeiten kam eine Reihe anderer Songs dazu. „Don’t Let Me Wait Too Long“ etwa, angetrieben von einem Schlagzeugduett zwischen Keltner und Starr, ist eines der geradlinigsten und fröhlichsten Stücke, die Harrison je aufgenommen hat. „The Light That Has Lighted The World“ und „The Day The World Gets Round“ hingegen sind tief emotionale, zum Nachdenken anregende Lieder.
Mit den Texten, die Harrisons fortwährende Auseinandersetzung mit spirituellen Themen betonen, fand das Album großen Anklang. Sowohl der Longplayer als auch die Single „Give Me Love (Give Me Peace On Earth)“ standen im Mai 1973 fünf Wochen lang gleichzeitig an der Spitze der US-amerikanischen Album- und Singlecharts. Der „Rolling Stone“ beschrieb das Album als „Popklassiker“ und als ein Werk, das „für sich allein steht – ein Glaubensbekenntnis, wundervoll in seiner Ausstrahlung“.
Das Album beginnt mit einem Gebet und endet mit einer Aussage über die Macht der Liebe. „Die meisten Menschen kämpfen um Ruhm oder Glück, Reichtum oder Macht – das ist fast immer, worum es geht und Wunsch und Antrieb ist im Leben: reich oder berühmt zu sein oder einen guten Ruf zu haben. In Wirklichkeit ist nichts davon wichtig, denn am Ende wird einem der Tod alles wegnehmen“, sagte Harrison. Gleichzeitig fügte er hinzu: „Ich schließe mich da selbst nicht aus, und oft schreibe ich diese Dinge auf, um mich selbst daran zu erinnern.“