Kaum eine Zeitungsausgabe verzichtet darauf, die fatale Klimakrise zu erörtern, Greta Thunberg und ihre berechtigten Ängste, begleitet von Fridays for Future Bewegungen, geben ein eindrucksvolles Zeugnis unserer gebeutelten Welt. Aber es gibt eine Bedrohung für unsere Menschheit noch größerer Art und dies wissenschaftlich bewiesen.
Die sogenannte Biodiversitätskrise nimmt beängstigende Ausmaße an. Noch nie gehört? Auch im letzten Bundeswahlkampf kam das Wort Biodiversität in keinem Statement einer Partei vor, liegt wohl auch daran, dass rund 75 Prozent der Österreicher damit nichts anzufangen wissen. Bios stammt aus dem Griechischen und bedeutet „das Leben“, Diversitas ist ein lateinischer Begriff und steht für Vielfalt und Vielfältigkeit.
Die Biodiversität ist also die Gemeinschaft des Lebens, alles was lebt: Tiere, Pflanzen, Pilze und Bakterien. Biodiversität schließt aber auch die genetische Vielfalt innerhalb der Arten sowie die Fülle der Lebensgemeinschaften und Lebensräume (Ökosysteme) ein. Die Vielfalt der Arten und Lebensräume und die genetische Vielfalt bilden die Grundlage für sämtliche Lebensprozesse und Ökosystemleistungen auf unserem Planeten.
Dramatischer Schwund an Insekten
Die Biodiversität gehört zusammen mit dem Boden, der Luft und dem Wasser zu den wichtigsten Lebensgrundlagen des Menschen. Vielfalt ist auch eine wichtige Voraussetzung für die erfolgreiche Anpassung der Lebewesen an sich verändernde Umweltbedingungen, wie den Klimawandel, und damit für deren längerfristiges Überleben.
Und diese Biodiversität ist ernstlich bedroht, in den letzten 25 Jahren haben wir in unseren Breiten bis zu 80 Prozent der Masse an Insekten verloren (gemessen in Naturschutzgebieten!), zwischen 1980 und 2009 haben sich in Europa die Vogelbestände um 421 Millionen Individuen reduziert, einzelne Vogelarten wie das Rebhuhn sind in den letzten Jahrzehnten bei uns um fast 90 Prozent verschwunden.
Zwischen 1970 und 2010 sind weltweit auch mehr als die Hälfte der Wirbeltierpopulationen (Säugetiere, Vögel, Fische, Amphibien und Reptilien) verschwunden, aktuell dürften es zwei Drittel sein. 14 Prozent aller Tierarten sind weltweit vermutlich in den letzten Jahrzehnten schon ausgestorben, Nordamerika und Mitteleuropa sind dabei in besonderem Maße davon betroffen. Auf 58 Prozent der Erdoberfläche wurde die Artenvielfalt bereits gefährlich reduziert. Die Wissenschaft spricht zunehmend vom erreichten „Point of no return“.
Die Europäische Union hat ca. 1200 besonders wertvolle Arten (FFH-Arten) unter Schutz genommen, ein Blick auf Österreich zeigt, dass diese in alpinen Regionen nur zu 18 Prozent einen günstigen Erhaltungszustand genießen, im Tiefland ernüchternd nur 13 Prozent. Insgesamt ein erschreckendes Bild für Fachkundige, leider nicht für einen Gutteil der Bevölkerung. Studien zeigen, dass fast 8 Prozent aller Schüler im Alter zwischen zehn und 18 keinen einzigen Vogel kennen, zwischen 1950 und 2004 sind 50 Prozent der behandelten Tier- und Pflanzenarten aus unseren Schulbüchern verschwunden, die Artenkenntnis schwindet zunehmend und damit auch die erkannte Bedeutung selbiger für das Überleben unserer Menschheit.
Dabei unterstreichen offensichtliche Zahlen die Bedeutung unserer Mitgeschöpfe. Die Bestäubungsleistung in Österreich unserer Insekten beträgt jährlich ca. 300 Millionen Euro, die natürliche Schädlingskontrolle beläuft sich auf 250 Millionen Euro. Und wir sollten uns vor Augen halten, dass die Bestäubungsbilanz der Honigbiene lediglich ein Drittel beträgt, den Rest erledigen unsere wilden und meist unbekannten Insekten sowie sonstige Lebewesen. Die weiteren unersetzbaren Leistungen vieler uns unbekannter Arten ermöglichen alles, was wir täglich beanspruchen.
Der Zerstörungswahn der Jetztgeneration
Circa 70.000 Arten an Pflanzen und Tieren leben in Österreich, alle haben sich in den letzten Jahrtausenden gemeinsam mit den Menschen Lebensraum erobert und stellen somit auch unsere Lebensbasis dar. Ob Ernährung, Sauerstoffverfügbarkeit – einfach Lebensqualität – haben wir dieser Lebensvielfalt zu verdanken und wir sind zunehmend im Begriff, diese Partnerschaft zu zerstören. Waren es in der Entwicklung unserer Erde bisher fünf elementare Ereignisse, die einen Großteil der Lebewesen vernichteten, sind wir gerade dabei, den sechsten Schritt zu setzen, man spricht daher auch vom Anthropozän, dem aktuellen Zerstörungswahn der Jetztgeneration.
Vor 65 Millionen Jahren (die 5. Zerstörungswelle) löschte ein Meteoriteneinschlag im heutigen Mexiko alle Ammoniten, Saurier und viele weitere Arten auf einen Schlag aus, heute ist es der Mensch, der mit seinem Raubbau für die irreversible Vernichtung der Lebewelt verantwortlich zeichnet, meistens blind, weil uninformiert oder egozentrisch orientiert. Leider hat auch die Politik mit wenigen Ausnahmen die Situation noch nicht erfasst. Industrielle Landwirtschaft, ständige Lebensraumvernichtung durch Verbauung und Zerschneidung, Lichtverschmutzung, jährlich werden in Österreich 0,5 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen aus der Nutzung genommen und selbst private Gärten tragen durch Rasenroboter und Gabionen an der Artenreduktion bei.
Dazu kommen ungünstige Entwicklungen durch fremdländische, vom Menschen verschleppte Arten, der Mensch greift in die Natur ein, ohne mögliche Auswirkungen einschätzen zu können. Zudem zeigt auch unser politisches System keine generative Verantwortung, die Sünden und Verfehlungen der jetzigen Gesellschaft treffen meist nicht die aktuell lebenden Menschen, sondern unsere Nachkommen, zukünftige Wähler stehen nicht im Fokus wahlwerbender Gruppierungen. Und wir sollten uns vor Augen führen, dass wir auf einem endlichen Planeten mit endlichen Ressourcen wohnen.
Knapp für 200 Jahre Erdölvorräte, für 70 Jahre Erdgas und für 50 Jahre Uranreserven für diverse Kraftwerke, es stellt sich die Frage wie geht’s dann weiter? Die Lösung? Bewusstseinsbildung und in Folge Änderung unserer Lebensführung, ob wir das schaffen? Das Verlangen nach ständigem Wachstum ist per se schon eine Sackgasse, wie jeder Physiker bezogen auf ein endliches System bestätigen kann.
Von Fritz Gusenleitner