Die EU-Innenministerinnen und -minister haben am Donnerstag wie erwartet beschlossen, den grenzkontrollfreien Schengenraum um Bulgarien und Rumänien zu erweitern. Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) bestätigte vor der Abstimmung vor Journalisten, dass Österreich sein Veto aufgeben und mit Ja stimmen werde. Alle weiteren EU-Länder erklärten bereits länger ihre Zustimmung. Nun ist der Weg frei, die Grenzen mit 1. Jänner 2025 zu öffnen. Teils soll es aber noch Kontrollen geben.
Es „war richtig und wichtig, dass wir uns in der Schengenfrage zwei Jahre Zeit genommen haben, um konkrete Maßnahmen zu setzen, um die Situation zu verbessern an den Außengrenzen auf dieser Route der illegalen Migration“, begründete Karner nochmals das österreichische Veto. Hier sei „einiges gelungen“. Gemeinsam mit Rumänien und Bulgarien sei die Zahl illegaler Grenzübertritte deutlich gesenkt worden – von 80.000 vor zwei Jahren auf jetzt 4.500. Karner bedankte sich bei beiden Ländern für die „intensive und gute Zusammenarbeit“. Das Veto sei nicht gegen sie gewesen, sondern „notwendig, weil Österreich massiv von illegaler Migration betroffen“ war.
Lesen Sie auch
Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) betonte auf X: „Unser Widerstand gegen den Schengen-Beitritt von Rumänien und Bulgarien war kein Selbstzweck. Beide Länder haben im letzten Jahr im Kampf gegen die illegale Migration große Fortschritte gemacht.“
Predoiu: Rumänien ist voll und ganz vorbereitet
„Rumänien ist voll und ganz auf den Schengen-Beitritt vorbereitet und wird ein starker Partner sein“, erklärte der rumänische Innenminister Marian-Cătălin Predoiu vor dem Ratstreffen. Sein Land werde „den Schengen-Raum stärken“, denn „unser Grenzschutz ist einer der ersten in Europa“. Der Rumäne betonte, sein Land habe „sehr hart gearbeitet und wir werden dies auch weiterhin tun. Ich glaube, dass die rumänischen Bürgerinnen und Bürger diesen Moment verdient haben.“ Seine deutsche Amtskollegin Nancy Faeser begrüßte den Beitritt „sehr, denn sie hatten die Bedingungen schon seit geraumer Zeit erfüllt“. Es sei wichtig, „dass wir auch anerkennen, was sie zum Schutz der Außengrenzen tun“. Sie sei in beiden Ländern gewesen, und könnte das bestätigen.
Migrationskommissar Magnus Brunner (ÖVP), der als früherer Finanzminister das Veto der Bundesregierung mitgetragen hatte, sprach von einem „historischen“ Tag: „Schengen ist eine der besten Errungenschaften der EU. Ich freue mich sehr, dass Rumänien und Bulgarien heute beitreten werden.“ Er betonte aber auch die Bedeutung eines besseren Außengrenzschutzes: „Wir müssen alles daran setzen, dass wir die Außengrenzen besser schützen, damit es keine internen Kontrollen mehr geben muss. Wir müssen den Menschen in Europa das Gefühl geben, dass wir die Kontrolle darüber haben, was in Europa passiert.“
Brüssel schon lange für Beitritt
Die EU-Kommission appellierte schon seit längerem an Österreich, seine Blockade eines vollständigen Schengen-Beitritts Rumäniens und Bulgariens aufzugeben. Ein erster Schritt wurde mit „Air Schengen“ gesetzt: Ende März fielen die Grenzkontrollen an den Luft- und Seegrenzen zu Bulgarien und Rumänien. Im November vereinbarten dann die Innenminister Österreichs, Rumäniens und Bulgariens sowie Ungarns in Budapest ein neues Grenzschutzpaket. Das Paket sieht vor, dass die in Budapest teilnehmenden Länder ein gemeinsames Kontingent von hundert Grenzschützern an die bulgarisch-türkische Grenze entsenden.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sah am Donnerstag dann einen „Tag der Freude für alle Bulgarinnen und Bulgaren, Rumäninnen und Rumänen sowie für unsere gesamte Union (…) Wir alle werden von den Vorteilen einer stärkeren und besser vernetzten Union profitieren“, erklärte sie.
Gewisse Binnengrenzen werden weiterhin kontrolliert
Außerdem soll es zwischen Bulgarien und Rumänien sowie Ungarn und Rumänien weiterhin für eine gewisse Zeit Binnengrenzkontrollen geben. Viele Ländern würden mittlerweile Binnengrenzkontrollen durchführen, betonte Karner. Dies geschähe nicht „aus Jux und Tollerei, sondern weil es aus Sicherheitsgründen notwendig“ sei. Die betroffenen Länder müssten dann die Entwicklung der Lage beobachten. Jetzt sei es notwendig, weiter Binnengrenzkontrollen stichprobenartig durchzuführen, „um den Kampf gegen die Schlepperkriminalität zu gewinnen“.
Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) begrüßte das Ja in einer Aussendung: „Die Erweiterung des Schengenraumes stellt auch eine wichtige Voraussetzung für eine erfolgreiche Umsetzung des Flüchtlings- und Migrationspaktes der EU dar. Rumänien und Bulgarien haben alle Kriterien für die Aufnahme hervorragend erfüllt. Außerdem bildet Schengen eine wichtige Grundlage für den freien Personenverkehr, und damit für tausende Pflegekräfte, die in Österreich arbeiten, sowie für den wirtschaftlichen Austausch, besonders für österreichische Betriebe.“
ÖVP-Mandl und SPÖ-Heide erfreut
„Es ist jetzt, wie ich es immer gesagt habe: Es wird ein Grund zum Feiern sein, wenn die Erweiterung des Schengenraums um Bulgarien und Rumänien klappt. Jetzt ist es so weit“, begrüßte auch der ÖVP-EU-Abgeordnete Lukas Mandl das Ja. „Generationen vor uns haben das Europa der offenen Grenzen aufgebaut. Das schafft einen Raum der Freiheit, der so groß ist wie nie in der Geschichte. Offene Grenzen nach innen sind untrennbar damit verbunden, dass die Grenzen nach außen kontrolliert und geschützt sind.“
Der SPÖ-Europaparlamentarier Hannes Heide hieß Bulgarien und Rumänien ebenfalls „Willkommen im Schengenraum“. Zugleich übte er Kritik am Veto: Dafür habe es „keine objektiv nachvollziehbaren Gründe“ gegeben, und es habe Österreich sowohl „einen Imageschaden als auch einen wirtschaftlichen Schaden beschert“. Heide ergänzte „Eine vollständige Aufnahme der beiden Länder in den Schengenraum bedeutet nicht nur, dass künftig die Passkontrollen an Grenzen entfallen, sondern langfristig auch, dass eine bessere Zusammenarbeit, besonders in Migrationsfragen, möglich wird.“
Auch NEOS-Brandstätter erfreut, FPÖ-Steger kritisch
„Das Schengen-Veto ist Geschichte! Heute feiern wir gemeinsam mit unseren rumänischen und bulgarischen Freundinnen und Freunden den lang ersehnten Beitritt in den Schengen-Raum“, erklärte Helmut Brandstätter, NEOS-Delegationsleiter im EU-Parlament. Die NEOS hätten stets die negativen Auswirkungen des Vetos betont: „Das jahrelange ‚Nein‘ war nicht nur eine Belastung für Österreichs Ansehen in der Europäischen Union, sondern auch ein direkter Schaden für unseren Wirtschaftsstandort.“
Die FPÖ sieht die nunmehrige Zustimmung Karners zur Schengen-Erweiterung dagegen als „unfassbarer Verrat an den Interessen der Österreicherinnen und Österreicher. Die Aufgabe des Vetos bedeutet nicht nur die Öffnung zusätzlicher Einfallstore für illegale Migration, sondern auch die endgültige Unterwerfung der ÖVP vor den Vorgaben aus Brüssel“, erklärte die freiheitliche Europaabgeordnete Petra Steger.
IV: Österreichs Industrie profitiert
Ganz anders wiederum die Industriellenvereinigung (IV): „Offene Grenzen sind ein zentraler Pfeiler des Binnenmarkts und unerlässlich für den reibungslosen Handel sowie verlässliche Investitionsbedingungen. Davon profitiert insbesondere die österreichische Industrie, die in beiden Ländern zu den größten Investoren zählt“, betonte IV-Generalsekretär Christoph Neumayer in Reaktion.
„Der freie Personenverkehr ohne Grenzkontrollen ist für unsere Unternehmen ein wesentlicher Wirtschaftsfaktor. Rumänien und Bulgarien sind wichtige Partner für Österreichs Wirtschaft, unsere Betriebe sind in beiden Ländern zweitgrößter Auslandsinvestor und finden in der Region wichtige Absatzmärkte vor“, schloss sich der Generalsekretär der Wirtschaftskammer (WKÖ), Karlheinz Kopf, an.
Ungarns Innenminister Sándor Pintér kommentierte: „Von diesem Schritt werden nicht nur die Bürger von Bulgarien und Rumänien profitieren, sonder die EU als Ganzes.“ Rumäniens Präsident Klaus Johannis wurde von der Nachrichtenagentur Reuters zitiert: Geringere Wartezeiten an den Binnengrenzen und Logistikkosten für Firmen würden sein Land attraktiver für Auslandsinvestitionen machen. „Die Vorteile unseres Beitritts sind vielfältig und wirken sich auf Bürger, die Wirtschaft und unser Image im Ausland direkt aus.“