Extremisten-Verlag nicht einfach aus Koranschulen zu verbannen

Politik ist bei Reform des Moscheeunterrichtes auf IGGÖ angewiesen, doch diese ist Teil des Problems

Der Islam wird über andere Religionen gestellt: Türkische Koranschulen verwenden überwiegend Bücher aus dem Plural-Verlag der als extremistischen Milli-Görüs-Gemeinschaft (im Bild ein deutschsprachiges Kinderbuch dieses Verlages).
Der Islam wird über andere Religionen gestellt: Türkische Koranschulen verwenden überwiegend Bücher aus dem Plural-Verlag der als extremistischen Milli-Görüs-Gemeinschaft (im Bild ein deutschsprachiges Kinderbuch dieses Verlages). © Plural-Verlag, Screenshot: Facebook

Ein kleines Mädchen will mit seinen neuen Rollschuhen angeben — und fällt auf die Nase. Verletzt kommt es ins Krankenhaus, wo es einsieht, dass Prahlen eine schlechte Eigenschaft ist. Die an sich lehrreiche Geschichte entstammt dem türkischsprachigen Buch „10 Ratschläge“ aus dem Kölner Plural-Verlag. Subtil wird jedoch in dieser und anderen Geschichten eine weitere Botschaft transportiert: Die Angeberin trägt kein Kopftuch, während andere Mädchen, die der gestürzten Rollschuhfahrerin helfen, allesamt den Hijab tragen.

Die „10 Ratschläge“ werden wie zahlreiche andere Lehrbücher aus dem Plural-Verlag im Moscheeunterricht in Oberösterreich verwendet.

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Koranschulen mit großem Einfluss auf religiöse Bildung

Was den jungen Muslimen dort beigebracht wird, ist mindestens so entscheidend wie die Gestaltung des islamischen Religionsunterrichtes an öffentlichen Schulen. Einer von der Integrationsstelle des Landes OÖ in Auftrag gegebene Studie über Koranschulen zufolge ist nämlich „das Interesse an muslimischem Religionsunterricht an öffentlichen Schulen nur geringfügig vorhanden “. Viele Muslimen schicken ihre Kinder lieber in die Moschee zur Glaubenslehre. Umso wichtiger ist es, genau hinzuschauen, welches Weltbild dort vermittelt wird.

Die Ergebnisse der unter Leitung des Theologen Thomas Schlager-Weidinger (PH Diözese Linz) in 15 von 65 oö. Moscheegemeinden durchgeführten Erhebungen waren sowohl im Hinblick auf die Lernziele als auch auf die verwendeten Lehrmittel ernüchternd. Hauptziel des Moscheeunterrichtes ist demnach „die Rezitation des Korans in arabischer Sprache. Um eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Text geht es nicht“.

Pädagoge warnt vor bloßem Koranrezitieren

Der Freiburger Religionspädagoge Abdel-Hakim Ourghi kann darob nur den Kopf schütteln: „Muslimische Kinder müssen lernen, den Koran gemäß der Zeit und vor allem im westlichen Kontext zu interpretieren. Eine wortwörtliche Exegese ist sehr fragwürdig.“ Der für einen säkularen Islam eintretende Autor des Buches „Ihr müsst kein Kopftuch tragen!“ (Claudius-Verlag München) warnt vor den Folgen: „In der Zukunft werden wir die Ergebnisse solcher fatalen Interpretationen des Korans ernten.“

Lehrbücher stellen Islam über andere Religionen

Mouhanad Khorchide, Religionspädagoge an der Uni Münster, hat für die Studie 36 in den Moscheen verwendet Lehrbücher analysiert und kam zu einem alarmierenden Befund: Keines der Materialien habe einen Bezug zum Leben der Muslime in Österreich. Fast alle Lehrbücher vermittelten „eine religiös exklusivistische Haltung, die den Islam über andere Religionen stellt“. Die Materialien vermittelten „fertige religiöse Antworten und Gebote, ohne den Anspruch zu haben, Kinder und Jugendliche mit rationalen Argumenten und Gegenargumenten zu konfrontieren, um sie zu befähigen, sich in religiöser Hinsicht selbst zu bestimmen und für sich die Antworten zu finden. Interreligiöses Lernen kommt kaum vor“.

Frauen immer mit Kopftuch abgebildet

Frauen würden stets mit Kopftuch abgebildet, zum Teil sogar minderjährige Mädchen. In fast allen Darstellungen in den türkischsprachigen Büchern „haben muslimische Kinder nur muslimische Freunde und Freundinnen“. Die meisten Materialien seien „eine Art Sammlung an Restriktionen“. Es würden, so Khorchide, „kaum Reflexionsprozesse bei den Kindern angestoßen, sondern die Botschaft ist klar: Du sollst dich an die Ratschläge/Instruktionen halten, ansonsten wirst du mit einer negativen Konsequenz konfrontiert“.

Mouhanad Khorchide: Fast alle Lehrbücher stellen den Islam über andere Religionen.
Mouhanad Khorchide: Fast alle Lehrbücher stellen den Islam über andere Religionen. ©APA/Ungerböck

Präsentiert wurde diese Studie vor mehr als einem Jahr. Zeit also, nachzufragen, was sich seither geändert hat. Denn bei einer Pressekonferenz im Mai 2023 hatte Muharrem Keskin von der Islamischen Religionsgemeinde Linz (IRG) die Forderung von Integrationslandesrat Wolfgang Hattmannsdorfer (ÖVP) nach einer Überarbeitung der Lehrbücher durchaus geteilt.

Viele Lehrbücher von extremistischer Milli Görüs

Dabei stellt sich auch diese Grundsatzfrage: Dürfen in österreichischen Moscheen Lehrbücher einer extremistischen Organisation verwendet werden? Die Frage drängt sich umso mehr auf, als 25 der 36 untersuchten Lehrbücher vom Plural-Verlag kommen, welcher der vom deutschen Verfassungsschutz als verfassungsfeindlich und extremistisch eingestuften Milli-Görüs-Gemeinschaft gehört.

Der Hausverstand mag zwar sagen, dass solche Bücher im Moscheeunterricht nichts verloren haben, in der Praxis ist das aber nicht so einfach, wie Hattmannsdorfer weiß. Der Landesrat verweist darauf, dass auf Basis der Studienergebnisse „neue realitätsnahe und zeitgemäße Lehrmaterialien mit dem Ziel entstehen sollen, dass diese durch Moscheevereine beziehungsweise die Islamische Glaubensgemeinschaft (IGGÖ) auch verwendet werden“.

Diktieren kann die Politik in diesem Fall aber nichts. Hattmannsdorfer zum VOLKSBLATT: „Da es sich nicht um den staatlichen Religionsunterricht handelt, können Lehrbücher nicht einseitig verpflichtend geändert oder ausgetauscht werden, eine Adaption basiert immer auf dem Konsens mit den Moscheevereinen/IGGÖ.“

LR Hattmannsdorfer: Lehrbücher für Koranschulen können nicht einseitig geändert oder ausgetauscht werden.
LR Hattmannsdorfer: Lehrbücher für Koranschulen können nicht einseitig geändert oder ausgetauscht werden. ©Land OÖ/Grilnberger

Hattmannsdorfer betont die Religionsfreiheit als hohes Gut, hält es aber für „problematisch, wenn Gegenentwürfe zur österreichischen Lebensrealität gezeichnet werden. Deshalb brauchen wir auch beim Moscheeunterricht einen Einblick und müssen wissen, welche Inhalte vermittelt werden“.

IGGÖ ignoriert Fragen zur Reform der Koranschulen

Ob die IGGÖ bereits Konsequenzen aus der Studie gezogen hat, ließ sich leider nicht in Erfahrung bringen. Mehrere seit April übermittelte VOLKSBLATT-Anfragen dazu ließen sowohl die Presseabteilung der IGGÖ als auch deren Bildungsreferent Binur Mustafi unbeantwortet.

Es wäre freilich eine kleine Sensation, würde die IGGÖ den türkischen Moscheevereinen ausgerechnet die Entsorgung der Plural-Bücher verordnen. Denn in der IGGÖ gibt Milli Görüs den Ton an: Präsident Ümit Vural, Bildungsreferent Mustafi und IRG-Chef Keskin kommen wie zahlreiche weitere IGGÖ-Funktionäre von der Islamischen Föderation, dem Österreich-Ableger der IGMG, also dem Eigentümer des Plural-Verlages.

Die in Sachen Koranschul-Reform wie auch bei anderen heiklen Fragen stets schweigsame IGGÖ ist also mehr Teil des Problems als der Lösung.

Analyse von Manfred Maurer