Im Windschatten des Virus

Experten einig: Corona-Krise bildet einen idealen Nährboden für den Politischen Islam

Aufmarsch der Gruppe „Muslim Interaktiv“ vor dem Brandenburger Tor in Berlin - auf Facebook gepostet am Tag nach dem Wiener Anschlag.
Aufmarsch der Gruppe „Muslim Interaktiv“ vor dem Brandenburger Tor in Berlin - auf Facebook gepostet am Tag nach dem Wiener Anschlag. © Screenshot/Facebook

„Der weiße Mann in voller Sorge, … orientierungslose Menschen verhindert von ihrer beliebten Spaßgesellschaft“ — Zeilen aus dem Video „Corona — Die Abrechnung“. Es stammt von der Gruppe „Muslim Interaktiv“, die auf Facebook am Tag nach dem Wiener Attentat kein Mitgefühl, sondern eine martialische Show vorm Brandenburger Tor in Berlin postete: Schwarz uniformierte Männer gegen „Wertediktatur“ und „Zwangsassimilation“ protestierend.

Die Truppe drückt aus, was die liberale Imamin Seyran Ates aus der Fundiszene hört: „Die Pandemie bestätigt die Dekadenz des Westens, sagen Islamisten“, so die Mitbegründerin der Berliner Ibn-Rushd-Goethe-Moschee bei einem Montagabend von der CSU initiierten Webinar zur Frage „Profitieren Islamismus und Terrorismus von Covid-19?“.

Muslima unter Druck

Die Expertenrunde ist sich einig: „Covid-19 hat das Problem noch verschärft“, verweist Ates auf zunehmende Spannungen in der Gesellschaft. Für Saida Keller-Messhali, Präsidentin des eidgenössischen „Forum für einen fortschrittlichen Islam“ „hat der Terrorismus enorm profitiert, weil unsere ganze Aufmerksamkeit dem Virus gewidmet ist“. Die europäische Öffentlichkeit wähnte sich, wie man seit den Anschlägen in Paris, Nizza und Wien weiß, in falscher Sicherheit: „Der IS ist noch nicht besiegt!“ Susanne Schröter ortet als Leiterin des Frankfurter „Forschungszentrums Global Islam“ unter den Bedingungen der Pandemie mehr Druck auf Muslima: „In konservativen Familien werden Frauen und Mädchen gehindert, ein normales Leben wie in Europa zu führen.“ Sie würden durch die Pandemie auf ihre Familien zurückgeworfen, weil Schutzeinrichtungen als Fluchtorte oft ausfielen. Auch die CSU-Europaabgeordnete Monika Hohlmeier sieht mehr Möglichkeiten für Islamisten, weil etwa Einsamkeit „von sogenannten Fürsorgenetzwerken der Salafisten“ ausgenützt wird.

Erst Ideologie, dann Terror

Aber lassen sich Politischer Islam und Terrorismus in einen Topf werfen? Das nicht, aber miteinander zu tun haben diese Spielarten des Islamismus sehr wohl. Islam-Theologe Mouhanad Khorchide, wissenschaftlicher Leiter der Dokustelle Politischer Islam, etwa hält die Muslimbruderschaft für gefährlich, obwohl sie in Europa nicht auf die von ihrem Gründer Hasan al-Banna gepredigte Gewalt setzt. Das Problem liege in der nach einer islamischen Gesellschaftsordnung strebenden Ideologie. Jungen Menschen werde suggeriert: „Integriert euch, strebt Entscheidungsämter an, aber identifiziert euch nicht mit dieser Gesellschaft.“ Das System solle von innen her umgestaltet werden.

„Terror beginnt mit einer Ideologie, der Ideologie des Politischen Islam“, sagt Khorchide. Auch für Schröter ist die Trennung zwischen legalistischem und gewalttätigem Islamismus „außerordentlich schwammig“. Es gehe letztlich „um eine normative Ordnung einer Gesellschaft, die nach und nach islamisiert werden soll“. Sie verweist auf Frankreich: Dort seien „bereits 150 Kommunen weitgehend in der Hand von Islamisten, wo man nach der Scharia lebt“.

Spiel mit der Opferkarte

Video
Ich möchte eingebundene Social Media Inhalte sehen. Hierbei werden personenbezogene Daten (IP-Adresse o.ä.) übertragen. Diese Einstellung kann jederzeit mit Wirkung für die Zukunft in der Datenschutzerklärung oder unter dem Menüpunkt Cookies geändert werden.

Ein Werkzeug der Islamisten ist die Selbstinszenierung als Opfer von „islamophobie“ und „antimuslimischem Rassismus“. „Der Politische Islam hat die Opferkarte in den letzten Jahren sehr gut ausgespielt, so dass immer mehr Politiker fürchten, als islamophob hingestellt werden“, sagt Khorchide. Hohlmeier kennt das Wirken islamistischer Propaganda aus dem Europaparlament: „Wenn wir vor Antisemitismus warnen, kommt sofort die Forderung, auch Islamophobie hineinzuschreiben.“ In diesem Zusammenhang findet in der Runde auch der umstrittene Salzburger Politologe Farid Hafez Erwähnung: Dieser hat, wie berichtet, den Kampfbegriff Islamophobie im Diskurs etabliert, sich aber gerade mit dem Vergleich der Razzien gegen mutmaßliche Muslimbrüder mit den Novemberpogromen 1938 ein Eigentor geschossen hat.

Vielleicht ist die heftige Kritik an Hafez Ausdruck eines Umdenkprozesses. Schröter verweist auf die Kampfansagen des französische Präsidenten Emmanuel Macron und von Bundeskanzler Sebastian Kurz an den Islamismus. Dabei müsse es, so Schröter, „nicht nur um Terrorismus, sondern auch alle Vorstufen gehen.“ Seyran Ates würde sich da auch von der deutschen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mehr Engagement wünschen.

„Es tut mir leid, dass unsere Bundeskanzlerin nach dem Attentat (eines als islamistischer Gefährder eingestuften Syrers Ende Oktober in Dresden, Anm.) nicht wie Kurz und Macron stark aufgetreten ist.“

Kampf im Internet

Doch wie kann der demokratische Rechtsstaat dem Terror seine ideologische Basis entziehen, wenn diese legalistisch ausgestaltet ist? Das von Kanzler Kurz nach dem Wiener Anschlag angekündigte Verbot des politischen Islam steht vor dem Problem, da sich dieses Phänomen kaum in eine strafrechtliche Norm gießen lassen wird.

Seyran Ates plädiert für eine „Gegenoffensive in den sozialen Medien“ und für mehr Aufklärung in den Schulen: „Eine Projektwoche gegen Radikalisierung reicht nicht, das muss in den Lehrplan aufgenommen werden“. Gerade in Zeiten der Pandemie erfolge Radikalisierung nämlich noch mehr übers Internet und weniger über einschlägig aktive Moscheen. Hohlmeier fordert, „dass wir im Internet präventiv extremistische Inhalte entfernen können – und zwar nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa“.

Die Frage ist freilich, wer im Internet die Nase vorn hat. Bevor die Expertenrunde ihren Webauftritt hatte, gedachte „Muslim Interaktiv“ in Mölln der „Märtyrer“ des rechtsextremen Brandanschlages am 23. November 1992. Auf das Pflaster vor dem gebrandschatzten Haus projizierte die Gruppe ihr Symbol, einen Blutstropfen mit der Kaaba, auf Facebook postete sie eine Kampfansage an Kanzler Kurz: „Wir werden nicht schweigen und die Einführung einer Gesinnungspolizei zulassen, die Menschen wie zur NS-Zeit aufgrund ihrer Gedanken verfolgen wird.“

Die Saat der Propaganda mit NS-Vergleichen geht offenbar auf…

Von Manfred Maurer