Bei israelischen Angriffen im Gazastreifen sind nach palästinensischen Angaben erneut fast 50 Menschen getötet worden. 20 Tote und zahlreiche Verwundete habe es beim Beschuss eines Zeltlagers in Al-Mawazi gegeben, teilten Mediziner am Mittwoch mit. Weitere Luftangriff auf Ziele in Gaza-Stadt forderten mindestens 20 Tote und viele Verletzte. Neun Palästinenser seien durch Panzerbeschuss in Rafah nahe der Grenze zu Ägypten gestorben, hieß es.
Der zivile Rettungsdienst erklärte, bei dem Angriff auf das Flüchtlingslager seien mehrere Zelte in Brand gesetzt worden, in denen vertriebene Familien untergebracht gewesen seien. Laut Angaben aus einem nahe gelegenen Krankenhaus gab es außerdem Verletzte bei dem Bombardement. Israels Armee teilte auf Anfrage mit, hochrangige Hamas-Mitglieder in dem Gebiet angegriffen zu haben. Diese seien „in terroristischen Aktivitäten im humanitären Gebiet in Khan Younis verwickelt“ gewesen.
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Nach dem Luftschlag habe es weitere Explosionen gegeben. Das deute daraufhin, dass in der Gegend Waffen getroffen worden seien. Bei dem Luftschlag seien auch dort gelagerte Waffen explodiert. Die Hamas verstecke sich in der humanitären Zone und benutze die Zivilbevölkerung dort als Schutzschild. Die Angaben beider Seiten ließen sich zunächst nicht unabhängig überprüfen.
Darüber hinaus wurden Medizinern zufolge bei drei Luftangriffen auf Gebiete im Zentrum Gazas elf Menschen getötet, darunter sechs Kinder und ein Arzt. Fünf der Toten hätten vor einer Bäckerei Schlange gestanden. Mehrere Opfer seien noch unter den Trümmern eingeschlossen, hieß es.
Nach Angaben der Vereinten Nationen gibt es im Gazastreifen keine sicheren Gebiete mehr. Die meisten der einst 2,3 Millionen Einwohner wurden bereits mehrfach vertrieben. Israelische Streitkräfte beschossen außerdem nach Angaben des Direktors des Kamal-Adwan-Krankenhauses in Bait Lahiya im Norden des Gazastreifens die Klinik den fünften Tag in Folge. Drei seiner medizinischen Mitarbeiter seien bereits am Dienstagabend verwundet worden, einer davon schwer. Israel werfe von Drohnen Bomben ab, die mit Schrapnellen gefüllt seien.
Bewohner der drei Städte Jabalia, Bait Lahiya und Bait Hanoun sagten, Israels Militär habe Dutzende Häuser gesprengt. Von Palästinensern hat es wiederholt geheißen, das Militär versuche, die Menschen durch Zwangsevakuierungen und Bombardierungen aus dem nördlichen Gazastreifen zu vertreiben, um eine Pufferzone zu schaffen, die nach Kriegsende nicht mehr besiedelt werden könne. Die israelische Armee bestreitet dies und sagt, sie wolle nur verhindern, dass sich Hamas-Kämpfer in einem Gebiet neu formieren, das Israel zuvor geräumt habe. Die Armee wirft Hamas-Kämpfern vor, häufig Wohnhäuser, Schulen und Kliniken als Deckung zu nutzen, und hat wiederholt Videos vorgelegt, die dies belegen sollen. Die Hamas hat das dennoch zurückgewiesen und wirft Israel wahllose Angriffe vor.
Laut der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde wurden seit Beginn des Krieges vor fast 14 Monaten mehr als 44.500 Menschen im Gazastreifen getötet und mehr als 105.000 verletzt. Die Angaben unterscheiden nicht zwischen Zivilisten und Kämpfern.
Israels Verteidigungsminister Israel Katz erklärte indes bei einem Besuch eines Luftwaffenstützpunktes im Zentrum des Landes: „Es besteht eine Chance, dass wir dieses Mal tatsächlich einen Geiseldeal voranbringen können.“ Grund sei, dass der militärische Druck auf die Hamas unter anderem wegen der Schwächung der Hisbollah im Libanon zugenommen habe. Die islamistische Terrororganisation warnte indes vor Befreiungsaktionen.
Sie habe Informationen darüber, dass ein derartiger Einsatz bevorstehen könnte, erklärte die radikale Palästinensergruppe. In dem Fall würden die Geiseln „neutralisiert“. In einer der Nachrichtenagentur Reuters vorliegenden internen Anweisung an die Kämpfer fordert die Hamas-Spitze, sich keine Gedanken über die Folgen einer möglichen Exekution zu machen. Israel sei für das Schicksal der Geiseln verantwortlich.
Von der Hamas gab es zudem zunächst keine Signale, dass in die festgefahrenen Verhandlungen Bewegung kommen könnte. Sie pocht auf den vollständigen Rückzug der israelischen Armee aus dem Gazastreifen, die Freilassung Gefangener und eine Waffenruhe als Voraussetzung für die Freilassung der Geiseln. Ministerpräsident Benjamin Netanyahu beharrt dagegen auf der Vernichtung der Hamas als Kriegsziel.
Katz erklärte am Mittwoch, das Wichtigste im Gaza-Krieg sei es derzeit, die aus Israel Entführten nach Hause zu bringen. Israel arbeite mit allen Mitteln daran, dieses ultimative Ziel zu erreichen. Zuvor hatte Israel unter anderem auch die Zerstörung der militärischen Fähigkeiten und Regierungsbefähigung der Hamas als Kriegsziele genannt. Katz sagte nicht, ob diese Ziele aus Sicht Israels inzwischen erreicht seien.
Bei den Verhandlungen im Gaza-Krieg geht es um eine Waffenruhe im Gazastreifen im Gegenzug für die Freilassung der Geiseln aus der Gewalt der Hamas. Ein Abkommen sieht zudem die Entlassung palästinensischer Häftlinge aus israelischen Gefängnissen vor.
Das israelische Militär teilte ebenfalls am Mittwoch mit, dass sechs Geiseln, deren Leichen im August geborgen wurden, von Hamas-Kämpfern getötet worden seien. Dies sei ungefähr zeitgleich mit israelischen Angriffen in dem Gebiet geschehen, in dem die Geiseln gefangen gehalten worden seien.
Am Mittwoch bargen israelische Einsatzkräfte die Leiche eines weiteren aus Israel verschleppten Mannes im Gazastreifen. Die sterblichen Überreste der deutsch-israelischen Geisel seien zurück nach Israel gebracht worden, hieß es in einer Erklärung der israelischen Armee. Bereits Anfang des Jahres hatte das Militär mitgeteilt, dass er in Gefangenschaft von seinen Entführern ermordet worden sei.
„Die Leiche der Geisel Itay Svirsky, der am 7. Oktober aus dem Kibbuz Beeri entführt und in Gefangenschaft im Jänner 2024 von Hamas-Terroristen ermordet wurde, wurde durch einen Spezialeinsatz zurückgebracht“, teilte Netanyahu am Mittwoch mit. Der 38-Jährige hatte neben der israelischen auch die deutsche Staatsbürgerschaft, wie der deutsche Botschafter in Israel, Steffen Seibert, nach der Todesnachricht im Jänner erklärt hatte. Svirskys Eltern waren bei dem Angriff auf den Kibbuz getötet worden.
Israel hatte seine Offensive im äußerst dicht besiedelten Gazastreifen begonnen, nachdem von der Hamas angeführte Kämpfer am 7. Oktober 2023 israelisches Gebiet von dort aus überfallen hatten. Dabei wurden nach Angaben Israels etwa 1200 Menschen getötet und über 250 Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. Viele davon sind inzwischen tot. Eine Befreiung der verbliebenen Geiseln gehört nach Worten des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu weiterhin zu den Zielen des Krieges.
Seit Beginn der Offensive sind nach palästinensischen Angaben im Gazastreifen rund 44.500 Menschen getötet und 105.000 verletzt worden. Viele Gebäude wurden durch Beschuss zerstört und gelten als unbewohnbar. Die Vereinten Nationen haben das Vorgehen Israels wiederholt scharf kritisiert. Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) hat Haftbefehl gegen Netanyahu wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen erlassen.
Vergangene Woche hatte sich Israel mit Kämpfern der Hisbollah im Libanon auf einen Waffenstillstand geeinigt. Im Libanon hatte sich parallel zum Gaza-Krieg ein Konflikt entwickelt. Im Libanon wurden bei israelischen Angriffen seit Oktober 2023 nach libanesischen Angaben rund 4000 Menschen getötet und etwa 16.600 verletzt. Im Krieg im Gazastreifen hat es bisher nur eine Waffenruhe vor mehr als einem Jahr gegeben, die zudem nach etwa einer Woche wieder gebrochen wurde.