Nicht erst antisemitische Auswüchse bei Demostrationen gegen den Gaza-Krieg haben Ümit Vural zu einer scheinbar klaren Positionierung veranlasst. Wann immer der Vorsitzende der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ) gefragt wird, distanziert er sich vom Antisemitismus. Im vergangenen Mai besuchte er sogar gemeinsam mit dem Wiener Gemeinderabbiner Schlomo Hofmeister das ehemalige KZ Auschwitz.
Wenig überraschend daher Vurals klare Worte in der ZiB2 vorigen Sonntag: „Gestatten Sie mir, festzuhalten, dass wir Antisemitismus ablehnen, klar verurteilen und auch jegliche Bemühungen, Antisemitismus islamisch-religiös zu begründen, aufs Schärfste zurückweisen.“
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Für islamistische Social-Media-Kanäle, wo der Hamas-Terror gegen das „zionistische Gebilde“ (Israel, Anm.) verherrlicht wird, hat auch Vural keine Lösung: „Den Bereich man schwer unter Kontrolle halten.“
Es gäbe aber Bereiche, die sich dem Einfluss des IGGÖ-Chefs zumindest nicht völlig entziehen. Vural kommt von der Islamischen Föderation (IF), dem Österreich-Ableger der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG).
Deren Kölner Zentrale bietet auf ihrer Webseite Koran-Übersetzungen aus dem Arabischen ins Türkische und Deutsche. Dort stößt man sehr wohl auf religiöse Wurzeln des Antisemitismus. Sure 5, Vers 51, wird zum Beispiel so übersetzt: „O ihr, die ihr glaubt! Nehmt nicht Juden und Christen zu Freunden.“
Es existieren auch andere Übersetzungen. Denn der arabische Begriff „wali“ (Freund) ließe sich auch mit „Vormund“, „Verbündeter“ oder „Schutzherr“ übersetzen. Eine Aufforderung an Muslime, sich keinen Juden (oder Christen) als Vormund oder Schutzherrn zu nehmen, wäre weniger brisant als ein pauschales Freundschaftsverbot.
Warum die IGMG ausgerechnet die antisemitische bzw. antichristliche Variante anbietet, bleibt unbeantwortet. IF-Sprecher Abdi Tasdögen will dazu nicht Stellung nehmen, weil „meine theologischen Kenntnisse nicht ausreichend sind“. Er reicht die Frage an die zuständige IGMG-Abteilung in Köln weiter, wo sie seit drei Wochen unbeantwortet liegt.
Historischer Kontext
Der Freiburger Religionspädagoge Abdel Hakim-Ourghi hält ohnehin nichts von Übersetzungstricks. Derart entschärfte Koran-Varianten hätten „taktische Gründe, die uns die Angst nehmen sollen“. Seine Lösung: „Solche Verse müssen im historischen Kontext verstanden werden. Heute dürfen wir Muslime uns nicht mehr daran orientieren“, so der Autor des Buches „Die Juden im Koran“ zum VOLKSBLATT. Im Klartext: Judenfeindliche Suren sind an das 7. Jahrhundert gebunden, als sich die Juden dem — auch gewaltsamen —Drängen des Propheten Mohammed, Muslime zu werden, widersetzten.
Bislang hat sich die IGMG nicht zu einer entsprechenden Erläuterung einschlägiger Koransuren durchgerungen, vielleicht auch, weil ihr bis heute verehrter Gründer Necmettin Erbakan auch ganz ohne Koran antisemitische Sprüche klopfte.
Ümit Vural könnte sich jedoch mit seiner Kritik an Bemühungen, Antisemitismus islamisch-religiös zu begründen, auch an die türkische Religionsbehörde Diyanet wenden, welche über die Atib-Moscheen auch in Österreich Einfluss hat.
Satans Freunde
Die Diyanet-Webseite bietet eine ausführliche Abhandlung über Freundschaft mit Juden und Christen. Darin wird klargestellt, „dass Ungläubige, Unterdrücker, Juden und Christen nur untereinander und mit Satan befreundet sein können“. Es wird darauf verwiesen, dass Araber und Juden in Medina durch einen Freundschaftsvertrag verbunden waren. Die Araber hätten diese Freundschaft nach dem Aufkommen des Islam beibehalten wollen, so die Diyanet-Erklärung, „aber die Juden und die Heuchler nutzten … jede Gelegenheit, um gegen die Muslime zu arbeiten“. Immerhin gesteht die türkische Religionsbehörde zu, „dass jemand, der Freundschaft mit Nicht-Muslimen schließt, nicht vom Glauben abfällt, aber er begeht einen Fehler“.
Fast schon tolerant klingt diese Botschaft: „Das Verbot, sich mit Ungläubigen anzufreunden, bedeutet nicht, dass man sich nicht gut mit ihnen vertragen darf.“ Das könnte fast so etwas wie ein Einstieg in den Ausstieg aus dem muslimischen Antisemitismus sein.
Eine Analyse von Manfred Maurer