NATO-Generalsekretär kritisiert Debatte über Waffenruhe

NATO-Generalsekretär Rutte berät über Ukraine © APA/AFP/JOHN THYS

NATO-Generalsekretär Mark Rutte hält die öffentliche Debatte über mögliche zukünftige Waffenstillstandsverhandlungen zwischen der Ukraine und Russland für kontraproduktiv. „Ich glaube, wir sollten uns jetzt darauf konzentrieren, sicherzustellen, dass die Ukraine in eine Position der Stärke gelangt“, sagte Rutte vor einem abendlichen Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und Spitzenvertretern europäischer Bündnisstaaten in Brüssel.

Die Diskussion über all das, was danach komme, beginne, wenn Selenskyj, Russlands Präsident Wladimir Putin und andere am Tisch säßen, so Rutte. „Wenn wir jetzt untereinander diskutieren, wie ein solches Abkommen aussehen könnte, machen wir es den Russen einfach. Sie sitzen entspannt in ihren Sesseln, hören unseren Diskussionen zu, rauchen genüsslich eine Zigarre und sehen sich das alles im Fernsehen an“, sagte er. „Das halte ich nicht für hilfreich.“

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„Sollten uns auf das Wesentliche konzentrieren“

Rutte fügte hinzu, dass es in Demokratien natürlich unvermeidlich sei, dass man all diese Dinge offen diskutiere. Aus seiner Sicht wäre es aber klug, das etwas einzudämmen und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Zuletzt hatte es unter anderem Debatten darüber gegeben, ob und wenn ja wie ein möglicher Waffenstillstand mit Soldaten aus NATO- und EU-Staaten abgesichert werden könnte.

Selenskyj bat im Vorfeld des Treffens um mehr Flugabwehrkomplexe für sein Land. „Die Anzahl solcher Systeme ist für uns sehr wichtig“, betonte er zudem, wie wichtig es sei, dass die Ukraine es über den Winter schaffe.

Nach Angaben von Rutte sollen bei dem abendlichen Treffen mit Selenskyj und Spitzenvertretern europäischer Bündnisstaaten vor allem weitere Unterstützungsmöglichkeiten besprochen werden. Es gehe um die Frage, was man tun könne, um mehr Luftverteidigungssysteme und andere Waffen in die Ukraine zu bringen, sagte Rutte am Nachmittag bei einer Pressekonferenz mit Litauens Präsident Gitanas Nauseda. Dies sei dringend notwendig, weil die Ukrainer berechnet hätten, dass sie etwa 19 zusätzliche Luftverteidigungssysteme benötigen, um ihre kritische Energieinfrastruktur zu schützen.

EU-Vertreter kommen auch zu Ukraine-Treffen

„Darüber hinaus benötigen sie allgemein mehr Unterstützung, um sich in eine Position der Stärke zu versetzen und das, was derzeit geschieht, zurückzudrängen“, fügte Rutte mit Blick auf die aktuelle russische Offensive hinzu. Als ein Beispiel nannte er wirtschaftliche Hilfe. Deswegen würden auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Ratspräsident António Costa an dem Treffen teilnehmen.

Zur Frage von möglichen Verhandlungen über eine Waffenruhe zwischen der Ukraine und Russland betonte Rutte, diese müssten von Ukraine selbst geführt werden und aus einer Position der Stärke heraus erfolgen. Es gehe darum sicherzustellen, dass man alles in seiner Macht Stehende tun, um Selenskyj in eine Position der Stärke zu bringen, damit dieser – wenn er es für richtig halte – Gespräche mit den Russen aufnehmen könne.

Zu dem Treffen am späten Abend in Ruttes offizieller Brüsseler Residenz werden neben Selensky der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz sowie die Staats- und Regierungschefs von Italien und Polen in Brüssel sowie der britische Außenminister David Lammy erwartet. Zudem sollen Spitzenvertreter der EU wie Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen dabei sein. Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron wird wegen einer Reise in das von einem Zyklon schwer verwüstete Überseegebiet Mayotte wohl nicht teilnehmen. Als Vertreter nordischer und osteuropäischer Staaten soll nach Angaben von Nauseda Dänemarks Regierungschefin Mette Frederiksen mit dabei sein.

Nach Ansicht von Scholz ist es noch zu früh, um über westliche Truppen in der Ukraine zu sprechen. Auf eine entsprechende Frage zum Einsatz westlicher Soldaten an einem möglichen friedenssichernden Einsatz in der Ukraine, sagte der SPD-Politiker am Rande eines Treffens der EU-Staats- und Regierungschefs mit ihren Kollegen aus den Ländern des westlichen Balkans, man müsse immer in der richtigen Reihenfolge vorgehen.

Scholz warnt vor „Diktatfrieden“

Die Ukraine müsse für sich erst mal definieren, was ihre Ziele in Bezug auf einen Frieden seien, der kein Diktatfrieden sei, so Scholz. Auf die Frage, ob der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj Zugeständnisse machen müsse, um Friedensverhandlungen zu ermöglichen, antwortete der Kanzler nicht. Er betonte, dass es keinen Frieden über die Köpfe der Ukrainerinnen und Ukrainer hinweggeben dürfe. Ihm sei aber auch wichtig, eine Eskalation des Krieges zwischen Russland und der NATO zu verhindern.