Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) hat nach dem EU-Gipfel in Brüssel eine schrittweise Lockerung der Sanktionen gegen Syrien in Aussicht gestellt. Es biete sich an, das Sanktionsregime der EU dazu zu verwenden, um Vertrauen aufzubauen, sagte Nehammer Donnerstagabend. Wenn die neuen Machthaber nachweislich Minderheiten schützten und Menschenrechte akzeptierten, könne das Sanktionsregime gelockert werden. Dies sei ein breiter Konsens beim Gipfel gewesen.
EU-Außenbeauftragte soll Optionen erarbeiten
Bei dem Gipfeltreffen in Brüssel forderten die Staats- und Regierungschefs die EU-Kommission und die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas auf, Optionen für mögliche Maßnahmen zur Unterstützung Syriens zu erarbeiten. Bisher wird lediglich humanitäre Hilfe für die Zivilgesellschaft geleistet, da die EU die Gewaltherrschaft Assads nicht unterstützen wollte.
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Nehammer betonte zugleich, dass die EU die freiwillige Rückkehr von Syrern unterstützen wolle. Rückkehrer seien wichtig für den Wiederaufbau. Man müsse auch Vorsorge tragen, dass die Orte der Rückkehr stabil seien. Mit Blick auf die Kurden in Syrien sprach der Bundeskanzler zuvor von einer „sensiblen Situation“. Kurdische Milizen halten weite Teile im Norden des Landes.
„Es hat die Türkei dort große Sicherheitsinteressen, wenn es um den Kampf gegen die Terrororganisation PKK geht, auf der einen Seite. Auf der anderen Seite haben viele kurdische Milizen auch an der Seite der US-Amerikaner gegen den IS gekämpft“, skizzierte Nehammer die Situation gegenüber Journalisten.
Die Türkei hatte am Donnerstag US-Angaben über eine Waffenruhe in Nordsyrien widersprochen. Es gebe keine Vereinbarung über eine Feuerpause zwischen der von der Türkei unterstützten SNA-Miliz und den von den USA unterstützten und von Kurden-Kämpfern dominierten Syrischen Demokratischen Kräften (SDF), erklärte ein führender Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums in Ankara laut der Nachrichtenagentur Reuters. Seine Regierung gehe davon aus, dass die Syrische Nationalarmee (SNA) die von der kurdischen PKK/YPG-Miliz besetzten Gebiete in Nordsyrien „befreien“ wird.
Nehammer verteidigt Aussetzen von Asylverfahren
Mit Blick auf die neuen Machthaber in Damaskus sagte Nehammer, dass Syrien ein stabiles Land werden müsse, „in dem die Menschenrechte gewahrt werden“. Er erinnerte auch an die vielen konfessionellen Minderheiten in dem Land, darunter Christen.
Der Bundeskanzler verteidigte erneut die Entscheidung der österreichischen Regierung, Asylverfahren von Syrerinnen und Syrern zu stoppen und Vorbereitungen für deren Rückkehr treffen. „Das ist kein alleiniges Vorpreschen“, meinte Nehammer mit Verweis auf viele andere EU-Staaten, die ebenfalls die Asylverfahren ausgesetzt haben. „Es wurde Asyl auf Zeit gewährt, das war allen bewusst.“ Er betonte zugleich, dass es aktuell nur darum gehe, die freiwillige Rückkehr zu ermöglichen.
Kallas: Hilfe für Syrien unter Bedingungen
Syrien war eines der zentralen Themen bei dem EU-Rat in Brüssel. Kallas betonte, Syrien sei ein „sehr vielfältiges Land“ mit vielen verschiedenen Gruppen. Es sei sehr wichtig, dort mit regionalen Partnern zusammenzuarbeiten. Wenn von syrischer Seite „die richtigen Schritte unternommen“ würden, „sind wir bereit, Schritte auf unserer Seite zu machen, damit sie das Land wieder aufbauen können.“
Belgiens Premier Alexander De Croo warnte, dass es zu vermeiden sei, dass „Syrien zu einem Ort wird, an dem jeder seine Konflikte austrägt“. Es müsse alles getan werden, um die Lage zu stabilisieren und um sicherzustellen, dass die territoriale Integrität respektiert werde. Europa sollte bereit sein, auch mit der HTS zusammenarbeiten, „um zu zeigen, dass wir bereit sind, humanitäre Hilfe zu leisten“. Sobald sich die Lage stabilisiert habe, „können wir den Syrern in Europa helfen, in ihr Heimatland zurückzukehren“, so De Croo zur Debatte um die Aussetzung der Asylverfahren durch mehrere EU-Länder, darunter Österreich.