Neue Partei: Erdogans Freunde drängen ins Europaparlament

Türkische Funktionäre gründen in Deutschland neue Partei für EU-Wahlen — Auch Wiener SÖZ-Chef mischt mit

Der türkische Präsident Erdogan sähe seine politischen Freunde gern im Europaparlament. Mit der neuen Dava-Partei treten von Ditib und Milli Görüs sowie vom AKP-Auslandsverein UID kommende Kandidaten bei den Europawahlen im Juni an.
Der türkische Präsident Erdogan sähe seine politischen Freunde gern im Europaparlament. Mit der neuen Dava-Partei treten von Ditib und Milli Görüs sowie vom AKP-Auslandsverein UID kommende Kandidaten bei den Europawahlen im Juni an. © AFP/Altan

Die Türkei ist zwar kein EU-Mitglied und wird es auch kaum jemals werden, doch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan wäre gern im Europaparlament vertreten.

In Deutschland hat sich soeben eine neue Partei mit Naheverhältnis sowohl zur türkischen Regierungspartei AKP als auch zu türkisch-islamischen Organisationen gegründet.

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Erdogan-Verein mit neuem Chef

Die Vorgeschichte: Ende November empfing Erdogan in seinem Palast zu Ankara einen türkischstämmigen Unternehmer aus den Niederlanden: Kenan Aslan, zu diesem Zeitpunkt noch hochrangiger Funktionär der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG). Unmittelbar nach seiner Visite bei Erdogan legte Aslan die IGMG-Funktion zurück. Er war offenbar für Höheres bestimmt. Am vorigen Wochenende wurde er in der nordrhein-westfälischen Stadt Langelfeld zum neuen Präsidenten der Internationalen Union der Demokraten (UID) gekürt.

Bei der UID handelt es sich um die europaweit aktive Lobbyorganisation der AKP, die auch in Österreich schon viele Wahlkämpfe für die Erdogan-Partei organisiert hat. „Ihre Verbindungen zur Türkei stellt sie durch vermehrt stattfindende Treffen mit AKP-Funktionären und türkischen Regierungsmitgliedern öffentlich zur Schau“, heißt es im aktuellen deutschen Verfassungsschutzbericht.

Auch bei der jüngsten Generalversammlung in Langelfeld bemühte sich die UID nicht um einen Anschein von Distanz zur AKP: Erdogan war per Videobotschaft mit dabei.

Extremistische Wurzeln

Der Wechsel an der UID-Spitze deutet auf mehr islamistischen Einfluss hin: Zeigte der bisherige UID-Chef Köksal Kus eine Nähe zur rechtsextrem-nationalistischen Ülkücü-Bewegung (Grauen Wölfe), deren politischer Flügel mit der AKP koaliert, so entstammt sein Nachfolger der religiösen determinierten IGMG. Beide Organisationen eint die Einstufung durch den deutschen Verfassungsschutz als verfassungsfeindlich und extremistisch.

Die Mission des neuen UID-Chefs ist offenbar der Einzug von Erdogan-Getreuen ins Europaparlament. Seit gut einer Woche sammelt eine neu gegründete „Demokratische Allianz für Vielfalt und Aufbruch“ (DAVA) in Deutschland die erforderlichen 4000 Unterstützungserklärungen für die im Juni anstehenden Europawahlen. Bei etwa 1,5 Millionen deutschen Staatsbürgern mit türkischem Migrationshintergrund ist das keine große Hürde.

Spitzenkandidat der DAVA ist UID-Sprecher Fatih Zingal, türkischstämmiger Anwalt in Frankfurt am Main und ehemaliges SPD-Mitglied.

Hamas-Freunde

Auf Platz zwei und drei der Wählerliste kommt die religiöse Dimension des Projektes zum Tragen: Der Arzt Ali Ihsan Ünlü ist ehemaliger Generalsekretär der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (Ditib), welche der türkischen Religionsbehörde Diyanet untersteht. Der drittplatzierte Kandidat Mustafa Yoldas kommt aus der IGMG und hat eine vor dem Hintergrund des aktuellen Nahost-Krieges spannende Vergangenheit: Der Hamburger Arzt war Vorsitzender der 2010 vom deutschen Innenminister Thomas de Maizière (CDU) verbotenen Internationalen Humanitären Hilfsorganisation (IHH).

Der Vorwurf: Die IHH, deren Verbot das Bundesverfassungsgericht 2018 bestätigt hatte, soll 6,6 Millionen Euro an die islamische Terrororganisation Hamas gespendet haben. Yoldas beteuerte damals, das Geld sei „nicht der Hamas, sondern notleidenden Menschen“ zugute gekommen. Die linke Tageszeitung TAZ zitierte seinerzeit einen Verfassungsschutzbeamten: „Yoldas galt als freundliches Gesicht der IGMG. Aber wir hatten schon immer unsere Zweifel an den angeblichen Reformern.“

Auch derzeit ist Yoldas im Sinne der Hamas aktiv. Statt einer Verurteilung des von islamistischen Terroristen am 7. Oktober verübten Massakers an Juden findet sich auf seinem Facebook-Profil nur Kritik an der Gegenoffensive Israels, dessen demokratische Regierung er als „faschistoid“ bezeichnet.

DAVA-Chef brach mit SPD

Der neue Nahost-Krieg treibt auch den DAVA-Vorsitzenden Teyfik Özcan — zunächst nach 30-jähriger Mitgliedschaft aus der SPD: Seinen unmittelbar vor der DAVA-Gründung erfolgten Parteiaustritt erklärt der für die Berliner Dependance des türkischen Staatssenders TRT arbeitende Journalist unter anderem so: „Wer bei einem Völkermord an Tausenden unschuldigen Kindern und Frauen in Palästina schweigt und einen Waffenstillstand per se nicht befürwortet, hat jegliche Legitimation verloren, Humanität, Solidarität und Gerechtigkeit auf seine Fahnen zu schreiben, die aber zur programmatischen Marschrichtung, also zum Markenkern der SPD gehörten.“

Österreich-Connection

Mit dieser etwas einseitigen Sicht der Dinge hat auch ein Wiener Bezirkspolitiker mit türkischen Wurzeln offenbar kein Problem: Hakan Gördü. Dessen gerade sehr auf Palästinenserdemos engagierte Migrantenpartei „Soziales Österreich der Zukunft“ (SÖZ) wirbt auf Facebook für DAVA und hofft, „dass die BürgerInnen Österreichs, dieses politische Projekt annehmen und unterstützen“. Gördü war bis 2016 Vizepräsident der sich damals noch Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD) nennenden UID. Vor Weihnachten traf er den späteren DAVA-Spitzenkandidaten Zingal und Tunahan Kuzu von der AKP-nahen niederländischen Partei DENK. Unter dem von Gördü auf Facebook geposteten Bilddokument des Treffens steht auf Türkisch: „Avrupa bizi bekle.“ („Europa, wir kommen.“).

Gute Chance auf Mandat

Unrealistisch ist das nicht. Bei den EU-Wahlen 2019 errang die deutsche Piratenpartei ein Mandat mit wenig mehr als der Hälfte der 473.000 Stimmen, die das AKP-Wahlbündnis im vergangenen Jahr bei der türkischen Parlamentswahl unter Auslandstürken in Deutschland gesammelt hatte. Diese Wähler sind zwar mangels deutscher Staatsbürgerschaft bei der EU-Wahl nicht teilnahmeberechtigt, die AKP hat aber auch unter den 1,5 Millionen Türken mit Staatsbürgerschaft ihre Fans.

Sollte die DAVA tatsächlich ins Europaparlament kommen, dann kommt durch die Hintertür einer mit rein: Recep Tayyip Erdogan.

Analyse von Manfred Maurer

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