Schallenberg warnt in UNO-Rede vor „Weltuntergangspropheten“

UNO-Zentrale in New York © APA/AFP/ANGELA WEISS

Außenminister Alexander Schallenberg warnt nicht zuletzt angesichts der Nationalratswahl vor „Weltuntergangspropheten“. Von diesen gebe es ganze Legionen rund um den Globus. „Ihr Ziel ist es, Zwietracht zu säen“. Österreich sei da keine Ausnahme, sagte der ÖVP-Minister am Donnerstagabend (Ortszeit) in New York vor der UN-Vollversammlung mit explizitem Verweis auf den Urnengang am Sonntag. „Auch in meinem Land bieten politische Kräfte verlockende, aber falsche Lösungen an.“

„Sie wiederholen absichtlich die Narrative jener Kräfte, die versuchen, unsere offenen sowie pluralistischen Gesellschaften zu schwächen und die gegen ein starkes und geeintes Europa arbeiten“, erklärte der Außenminister in seiner Rede bei der 79. Generaldebatte im UN Head Quarter, ohne die damit gemeinten Parteien direkt beim Namen zu nennen. „Um dem entgegenzuwirken, brauchen wir eine starke Mitte“, erinnerte die Wortmeldung des Außenminister in Folge durchaus an Wahlkampfslogans der ÖVP.

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Generell stellte Schallenberg fest: „Wir müssen die Nerven bewahren. Wir alle wissen, dass Angst ein schlechter Ratgeber ist, vor allem in der Politik.“ Die globale Ordnung sei im Wandel und die Welt komplexer und möglicherweise sogar beängstigender geworden, so der Außenminister. „Aber ich bin zutiefst davon überzeugt, dass wir die auf Regeln basierende internationale Ordnung mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln verteidigen müssen. Wir dürfen nicht davor zurückschrecken, eine klare Haltung einzunehmen!“

Österreich sei ein militärisch neutrales Land, führte der Außenminister aus. „Aber Neutralität bedeutet nicht Gleichgültigkeit.“ Bezüglich des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine, sei etwa völlig klar, „dass eine Welt, in der es Russland gelingt, mit Panzern und Raketen Grenzen zu verschieben, für uns alle gefährlicher ist.“ Nach „946 Tagen unsäglichen menschlichen Leids und unsäglicher Zerstörung“ sei es höchste Zeit, wieder zur Diplomatie zurückzukehren. „Niemand wünscht sich den Frieden mehr als die Bürger der Ukraine und niemand verdient ihn mehr als sie.“ Es müsse aber ein Frieden auf dem Verhandlungsweg erzielt werden, „nicht als Diktat aus Moskau.“

Grundlage müsse immer das Völkerrecht sein, forderte Schallenberg. Das gelte auch im Nahen Osten. Dort habe „der barbarische Terroranschlag der Hamas gegen Israel eine neue Dimension der Verwüstung in eine Region gebracht, in der es an Gewalt nicht mangelt“. Die Israelis seien traumatisiert „von dem Gemetzel, der Folter und der sexuellen Gewalt des 7. Oktober“. Geiseln würden immer noch von Terroristen gefangen gehalten, erinnerte Schallenberg, „darunter ein österreichischer Vater von zwei Kindern“. Die Palästinenser im Gazastreifen wiederum seien von Hunger und Krankheit bedroht, stellte der Außenminister klar. All dies sei herzzerreißend und eine „humanitäre Tragödie“. Der Schutz der Zivilbevölkerung stehe an erster Stelle. „Wir brauchen einen Waffenstillstand, um die Geiseln zu befreien und mehr humanitäre Hilfe zu bekommen.“

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Angesichts der jüngsten Entwicklungen im Kampf Israels gegen die proiranischen, islamistischen Hisbollah-Milizen warnte Schallenberg davor, „dass irgendeine Seite Öl ins Feuer gießt“. Es sei ein Wunschdenken zu glauben, dass eine umfassende Eskalation zwischen Israel und der Hisbollah kontrolliert werden könnte. „Das Ergebnis wäre ein Feuersturm, der die gesamte Region und darüber hinaus verschlingen würde.“ Es müsse eine Lösung gefunden werden, „die es uns ermöglicht, die Normalisierung zwischen Israel und der arabischen Welt fortzusetzen“. Ziel sei, endlich „die Zweistaatenlösung zu verwirklichen, die es Israelis und Palästinensern ermöglicht, Seite an Seite in Frieden und Sicherheit leben zu können.“

Andere Krisen auf der Welt seien ebenso katastrophal, stünden aber kaum im Rampenlicht der Öffentlichkeit, warnte der Außenminister. „Im Sudan droht Millionen von Menschen eine Hungersnot, aber den Generälen geht es mehr um Macht als um ihr eigenes Volk.“ In Haiti wiederum komme es nach dem totalen Zusammenbruch des Staates nur langsam zu einer Stabilisierung. Inmitten all dessen stehe die Menschheit selbst vor „grundlegenden Fragen wie dem sich beschleunigenden Klimawandel, Umweltkatastrophen und dem Aufkommen der künstlichen Intelligenz“.

Daher sei keine Schönfärberei zu betreiben: „Wir leben in Zeiten der Ungewissheit, verschärft durch zunehmende politische, wirtschaftliche und ideologische Spannungen. Wir sehen diese Verschiebungen und Risse – bilateral, regional und auf der multilateralen Ebene.“ Das Pendel schwinge von der globalen Integration hin zu globaler Fragmentierung und Isolationismus. „Eine Nullsummenmentalität macht sich breit. Sie verleitet uns dazu, Länder und Partner in Kategorien wie ‚entweder ihr seid für uns oder gegen uns‘ einzuteilen.“

Daher gelte es, „unser multilaterales System“ zu verteidigen und zu reformieren. Das aktuelle System der Weltordnungspolitik sei nicht mehr zielführend oder inklusiv genug. Der UNO-Sicherheitsrat in seiner jetzigen Form spiegle eine Welt wider, „die längst vergangen ist“, erinnerte Schallenberg auch an eine geplante Reform des mächtigsten Gremiums der Vereinten Nationen, an deren Ausarbeitung in den vergangenen Jahren vor allem Österreich gemeinsam mit Kuwait federführend beteiligt war.

Aktuell besteht der Sicherheitsrat aufgrund von nach dem Zweiten Weltkrieg getroffenen Vereinbarungen aus fünf ständigen Mitgliedern, nämlich China, Frankreich, Großbritannien, Russland und den USA. Dazu kommen zehn nichtständige Mitglieder. Insbesondere das Vetorecht der ständigen Mitglieder – etwa von Russland – gilt mitunter als hinderlich.

„Es ist nicht hinnehmbar, dass wir so leicht durch den Willen einer Handvoll Länder in Geiselhaft genommen werden“, betonte daher Schallenberg. Es gelte, den Rat effektiver, inklusiver und rechenschaftspflichtiger zu machen, betonte der Außenminister in diesem Zusammenhang auch die Kandidatur Österreichs für einen nicht-ständigen Sitz im Sicherheitsrat bei den Wahlen im Jahr 2026. „Österreich wird weiterhin für einen vernünftigen und pragmatischen Multilateralismus eintreten.“ Trotz der derzeitigen Fragmentierung der globalen Ordnung sei man weiterhin voneinander abhängig. „Wir werden nicht in der Lage sein, die Zugbrücken hochzuziehen und uns zu entkoppeln. Wir müssen uns den Herausforderungen und der Komplexität unserer Zeit frontal und gemeinsam stellen. Mit einer gesunden Portion Realismus und mehr Vertrauen in unsere eigene Stärke.“

Am Donnerstag standen für Schallenberg in New York bilaterale Treffen mit den Amtskollegen aus Ägypten (Badr Abdelatty), Angola (Tété António/im Auftrag der EU), Katar (Sheikh Mohammed bin Abdulrahman Al Thani), Kenia (Musalia Mudavadi), Kuwait (Abdullah Al Al-Yahya), dem Oman (Syyid Badr al-Busaidi) sowie Usbekistan (Bachtijor Saidow) am Programm. Weiters eröffnete Schallenberg die neuen Räumlichkeiten der Österreichischen Vertretung bei den Vereinten Nationen in New York.

Für Freitagvormittag waren weitere Treffen mit den Außenministern des Irans (Abbas Araghchi), Marokkos (Nasser Bourita) sowie Industrieminister der Vereinigten Arabischen Emirate (Sultan Al Jaber) und dem Präsidenten des World Jewish Congress, Ronald S. Lauder, vorgesehen. Die Rückkehr nach Wien ist für Samstagfrüh (MESZ) programmiert.