Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán und die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen haben sich einen Schlagabtausch im Europaparlament in Straßburg geliefert. Von der Leyen nahm Orbáns Haltung gegenüber Russland sowie seine Wirtschafts- und Migrationspolitik mit ungewöhnlich scharfen Worten ins Visier. Orbán zeigte sich überrascht und meinte, so etwas sei „nie zuvor passiert“.
Mit Bezug auf Orbáns Haltung zum Krieg in der Ukraine fragte von der Leyen, ob er „Ungarn die Schuld gegeben hätte für die sowjetische Invasion 1956?“. Kürzlich hatte ein Spitzenberater Orbáns, der mit ihm nur namensverwandte Balázs Orbán, für Aufregung gesorgt, als er in einem Interview im Kontext des Ukraine-Krieges meinte, die heutige ungarische Regierung habe aus dem Ungarn-Aufstand 1956 gelernt, dass man einer militärischen Übermacht keinen Widerstand leisten dürfe. Vor 68 Jahren hatten sowjetische Truppen den Aufstand, der die stalinistische Führung des Landes gestürzt hatte, nach wenigen Tagen niedergeschlagen. Die „Revolution von 1956“ wird in Ungarn in allen politischen Lagern in großen Ehren gehalten.
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Von der Leyen warf der Regierung in Budapest zudem vor, seit Beginn des Krieges keine Bemühungen gemacht zu haben, um unabhängiger von russischem Gas und Öl zu werden. Mit Blick auf die Migrationspolitik meinte sie, Ungarn löse das Problem nicht, „sondern werfe das Problem nur über den Gartenzaun zum Nachbarn“. Auch warf sie Budapest vor, einerseits viel Geld von der EU zu erhalten und gleichzeitig Unternehmen aus anderen EU-Ländern am ungarischen Markt zu diskriminieren. Öffentliches Geld wandere in die Taschen einer „kleinen Gruppe an Begünstigten“, so die EU-Kommissionspräsidentin.
Orbán sorgte in seiner Eingangsrede vor dem EU-Parlament für Buh-Rufe von einem Teil der anwesenden Abgeordneten. So meinte der Ungar, dass die irreguläre Migration zu einem Anstieg von Antisemitismus, Gewalt gegen Frauen und Homophobie führe. Die Aussage brachte ihm Applaus von Rechts und Buh-Rufe von der linke Hälfte des Plenarsaals.
Nach der Rede von der Leyens und den Fraktionsspitzen des EU-Parlaments, die ebenfalls teils scharfe Kritik übten, verschärfte auch Orbán den Ton. Er sprach von „linken Lügen“ die „reine politische Propaganda“ seien. Er wies von der Leyens Vergleich zwischen der sowjetischen Invasion in Ungarn 1956 und dem russischen Angriff auf die Ukraine zurück.
Die EU müsse sich ändern und die ungarische Ratspräsidentschaft wolle der Katalysator dafür sein, sagte Orbán in seiner Eingangsrede vor den Europaabgeordneten, in der sein Ton noch deutlich gemäßigter ausfiel. Er legte in seiner Rede den Schwerpunkt auf die Themen Wettbewerbsfähigkeit und Migration und kritisierte die Klimapolitik der EU. Weiters sprach er sich für eine Auslagerung von Asylverfahren in Drittstaaten aus und erklärte, er wolle unter der ungarischen Ratspräsidentschaft erreichen, dass Rumänien und Bulgarien Vollmitglieder im Schengen-Raum werden. Dies wurde bisher von der österreichischen Regierung blockiert. Orbán forderte zudem einen „Schengen-Gipfel“, bei dem die Staats- und Regierungschefs“ des Schengenraums zusammen kommen.
Während den Reden gab es aus dem Plenarsaal immer wieder Protestrufe und Applaus von den Abgeordneten. Nach Orbáns erster Rede stimmte unter anderem eine Gruppe von Abgeordneten am linken Ende des Saals das italienische anti-faschistische Lied „Bella Ciao“ an.
Der EU-Mandatar der FPÖ, Harald Vilimsky, entschuldigte sich in seinem Redebeitrag bei Orban für die laut ihm „Lügen“ und „Flegeleien“ die dieser sich habe anhören müssen und bezeichnete den ungarischen Regierungschef als „Retter Europas“. In einer Aussendung wenig später legte der Freiheitliche Delegationsleiter nach und bezichtigte die anderen Fraktionen, die heutige Debatte für „billige Polemik und politische Hetze“ genutzt zu haben.
„Orbáns Behörden schikanieren österreichische Unternehmen“, kritisierte dagegen der ÖVP-Europaparlamentarier Lukas Mandl und spielte damit u.a. auf die Klagen des Einzelhändlers SPAR gegen eine Sondersteuer in Ungarn an. Orbáns Regierung bremse „Europas Vorankommen vielfach“.
Der SPÖ-Delegationsleiter im Europaparlament, Andreas Schieder, bezeichnete Orbán als Hypokriten, „der von einer Gemeinschaft von demokratischen Staaten träumt, und gleichzeitig im eigenen Land den Rechtsstaat und die Demokratie Stück für Stück abbaut und eine Politik betreibt, die von Korruption und seinen Freunden in Russland geleitet ist“.
„Viktor Orban ist ein Autokrat, der Grundrechte und Meinungsfreiheit, einschließlich der Rechte von marginalisierten Menschen und der LGBTQI-Community, unterdrückt“, teilten dann die beiden Grünen EU-Abgeordneten aus Österreich, Thomas Waitz und Lena Schilling, mit. „Wir Grünen stehen in Solidarität mit denen, die für die Freiheit aller Menschen in Ungarn und ganz Europa kämpfen.“
Der NEOS-Abgeordnete Helmut Brandstätter ging in einem Redebeitrag ebenfalls auf die Situation österreichischer Unternehmen in Ungarn ein. „Den Herrn Vilimsky stört das nicht, mich stört das aber“, meinte Brandstätter. „Wir NEOS stehen an der Seite des ungarischen Volkes, das ein starkes, freies und demokratisches Ungarn im Herzen der EU will“.