Staatsbürgerschaft im Eiltempo?

Wahlrechtlos in Österreich: Ein Problem, dessen simple „Lösung“ riskant für die Demokratie wäre

Muslim woman in a scarf holds flag of Austria

Österreich hat ein demokratiepolitisches Problem, das mit jedem Tag größer wird: Weil der Bevölkerungszuwachs vor allem aus Zuwanderung resultiert, steigt die Zahl der Wahlberechtigten nicht proportional.

Repräsentanzdefizit

Bei der Nationalratswahl 2002 waren von acht Millionen Menschen in Österreich 5,9 Millionen wahlberechtigt. Bis zur Nationalratswahl 2019 stieg die Einwohnerzahl fast um eine Million, die der Wahlberechtigten aber nur um knapp 500.000 auf 6,4 Millionen. An der Bundespräsidentenwahl im Oktober können 1,4 Millionen über 16-Jährige nicht teilnehmen, da sie ohne Staatsbürgerschaft wahlrechtlos sind. Ausnahmen gibt es nur für EU-Bürger, die mit hiesigem Wohnsitz auch als Nicht-Österreicher an Kommunal- und Europawahlen teilnehmen.

Derzeit ist jede sechste hier lebende Person im Wahlalter nicht wahlberechtigt. In Wien gibt es Bezirke, wo dieser Anteil bereits über 40 Prozent liegt. In Linz ist ein Viertel der Bevölkerung von der Urne verbannt. Tendenz steigend. Damit hat die repräsentative Demokratie ein Problem: Sie repräsentiert immer weniger Menschen.

Da es hier um eine essenzielle Frage demokratischen Zusammenlebens geht, wird sich die Politik eine Lösung einfallen lassen müssen. Die naheliegende — und auch immer wieder geforderte — ist allerdings mit größter Vorsicht zu genießen: eine großzügigere Vergabe der Staatsbürgerschaft würde zwar das Repräsentanzproblem lösen, aber auch ein demokratiepolitisches Risiko in sich bergen. Denn der schon jetzt von vielen für gefährlich gehaltene Bodensatz an Demokratiefeindlichkeit könnte noch mehr Repräsentanz erlangen.

Inkompatibler Wertekanon

Die knapp 220.000 Deutschen in Österreich und selbst die gerade neu hinzugekommenen Ukrainer sind nicht das Problem. Unter den potenziellen Nutznießern einer Liberalisierung des Staatsbürgerschaftsrechtes wären aber auch Gruppen, in denen demokratie- und grundwertefeindliche Tendenzen überrepräsentiert, wenn nicht gar dominant sind.

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Der Österreichische Integrationsfonds (ÖIF) hat 2019 „Junge Menschen mit muslimischer Prägung in Wien“ untersucht und alarmierende, dem hiesigen Wertekanon zuwiderlaufende Ergebnisse zutage gefördert. Zwar sind der Studie zufolge die meisten froh, in einer Demokratie zu leben, doch: 47 Prozent der Jugendlichen aus Afghanistan, 21 Prozent der aus Syrien und 18 Prozent der Jungtürken wünschen sich an der Spitze des Staates einen religiösen Gelehrten. 39 Prozent der jungen Afghanen, 26 Prozent der Syrer, 24 Prozent der Tschetschenen und 22 Prozent der Türken finden auch, dass der Staat nach religiösen Gesetzen organisiert sein müsse. Vier von 10 Wiener Jung-Muslimen sind der Ansicht, dass jede Muslima in der Öffentlichkeit das Kopftuch tragen sollte. Übrigens sehen das auch 28 Prozent der muslimischen Mädchen so. Eine Mehrheit der Afghanen, Syrer und Türken ist der Ansicht, dass der Mann für alle größeren Entscheidungen zuständig sein solle. Dem Zitat „Juden sind der Feind aller Muslime“ stimmten 68 Prozent der Afghanen, 41 Prozent der Syrer und 39 Prozent der Türken zu.

Turbo für Politischen Islam?

Hier wächst eine offenbar stark vom Politischen Islam geprägte Generation heran, was angesichts der islamistischen Verwurzelung maßgeblicher Moscheevereine nicht verwunderlich ist.

Verwunderlich ist vielmehr der Ruf nach Lockerungen im Staatsbürgerschaftsrecht als Problemlösung. Das Argument, Staatsbürgerschaft fördere Integration, wird nämlich von der Realität einer bereits existierenden türkischen Parallelgesellschaft ad absurdum geführt. Die diese Segregation fördernden Islamvereine werden schon jetzt von manchen Parteien, insbesondere der SPÖ, hofiert. Je größer das dort lockende Wählerpotenzial, desto kleiner der Mut, diese Gruppierungen in die Schranken zu weisen. Eine Lockerung des Staatsbürgerschaftsrechtes bedeutete somit einen Turbo für den Politischen Islam. Daher: Erst — echte, nachgewiesene — Integration, dann Staatsbürgerschaft!