Stell‘ dir vor, es ist Antisemitismus und keiner schaut hin…

Zweierlei Maß im Kampf gegen den wieder hochkommenden Judenhass begünstigt Erstarken von Islamisten

Hatz auf Israelis in Amsterdam: Eine Koalition aus Islamisten und Linken verschafft dem Antisemitismus immer mehr Platz, den es in Europa gar nicht geben sollte.
Hatz auf Israelis in Amsterdam: Eine Koalition aus Islamisten und Linken verschafft dem Antisemitismus immer mehr Platz, den es in Europa gar nicht geben sollte. © AFP/Gammon

Nach den Ausschreitungen gegen israelische Fußballfans in Amsterdam war sie wieder omnipräsent, die Worthülse der Empörten: „Antisemitismus hat keinen Platz in Europa“, schrieb EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf X.

Detto Alain Berset, Generalsekretär des Europarates: „In unserem Europa gibt es keinen Platz für Antisemitismus.“ Gegen solche Szenen „muss Europa geschlossen vorgehen“, forderte Österreichs Europaministerin Karoline Edtstadler. Denn: „So etwas hat bei uns keinen Platz!“.

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Worthülsen-Inflation

Nicht erst seit der Amsterdamer Judenhatz ist diese beschwörende Formel mit wechselnden Ortsbezügen derart inflationär in Gebrauch, dass man sich beinahe wünschte, die Politiker bzw. deren Redenschreiber und Presseaussendungstexter überließen die Formulierung ihrer Statements einer auf mehr rhetorische Vielfalt getrimmten Künstlichen Intelligenz.

Als im Juni 2022 judenfeindliche Bilder bei der Kunstausstellung Documenta für einen Skandal sorgten, begründete Kanzler Olaf Scholz (SPD) die Absage seines Besuches in Kassel so: „In Deutschland ist kein Platz für antisemitische Darstellungen, auch nicht auf einer Kunstausstellung“.

Auf ähnliches Wording setzte zwei Jahre später die Wiener Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler, nachdem Festwochen-Intendant Milo Rau in einen „Rat der Republik“ unter anderem den griechischen Ex-Finanzminister Yanis Varoufakis eingeladen hatte. Dieser verweigert bis heute ausdrücklich eine Verurteilung des Hamas-Angriffs auf Israel am 7. Oktober 2023. „Für Antisemitismus gibt es bei den Wiener Festwochen keinen Platz“, beteuerte die SPÖ-Politikerin.

Bildungsminister Martin Polaschek (ÖVP) hat nicht nur einmal klargestellt, dass es an Schulen bzw. Universitäten „keinen Platz für Antisemitismus“ gebe. Die Uni Wien bestätigte dies im vergangenen Mai angesichts eines propalästinensischen Protestcamp am Campus mit der Feststellung, dass, ja richtig, hier „kein Platz für Antisemitismus“ sei.

Auch bei FPÖ Platzverbot

Bevor es jetzt zu fad wird, sei angemerkt, dass so gut wie jede/r österreichische Spitzenpoliker/in bei einschlägigen Gelegenheiten dem Antisemitismus ein Platzverbot erteilt hat. Natürlich auch SPÖ-Chef Andreas Babler. Von Herbert Kickl ist schon aus dem Jahr 2015 überliefert: „In der FPÖ ist kein Platz für Antisemitismus.“

Auch der eine oder andere Bischof hat sich entsprechend geäußert. Nicht nur christliche Granden tun es. Im Mai 2023 bekräftigte der Wiener Imam Ramazan Demir beim Besuch in der KZ-Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau: „Antisemitismus hat im Islam keinen Platz.“

Es gibt also in Europa eine Staats-, Partei- und Religionsgrenzen überschreitende Formel des anti-antisemitischen Bekenntnisses, derzufolge angeblich nirgendwo Platz für Judenhass ist.

Realität ist eine andere

Doch alle Statistiken, Studien und Wahrnehmungen des Tagesgeschehens beweisen genau das Gegenteil: Der Antisemitismus macht sich wieder breit und immer breiter. Es entsteht der Eindruck, dass er umso mehr Platz einnimmt, je öfter ihm selbiger verbal verweigert wird.

Die vordergründige Erklärung liegt auf der Hand: Israel wehrt sich gegen die islamistische Terror-Hydra in einem von immer mehr Menschen für überzogen gehaltenen Rundumschlag. Von der Kritik an der israelischen Regierungspolitik ist es dann nur ein kleiner Schritt zur pauschalen Israel-Kritik. Und von dort geht es dann oft schnurstracks zur offenen Judenfeindlichkeit in Gedanken, Worten und Taten.

Nicht nur Juden sind Opfer stereotyper Zuschreibungen — Pauschalvorurteile gibt es über Ösis, Piefke, Schlitzäugige oder Andersfarbige —, aber der Judenhass ist aufgrund seiner Dimension, Intensität und Kontinuität einzigartig. Dafür reicht ein Krieg, und sei er noch so blutig, nicht als Erklärung. Das muss tiefer sitzen.

Ausgetriebener Judenhass

In unseren Breitengraden begann nach dem Schrecken des Holocaust eine umfassende und schonungslose Ursachenforschung. Inzwischen ist unbestritten: Der Antisemitismus konnte sein massenmörderisches Potenzial in der Nazi-Zeit nur entfalten, weil ihm die christlichen Kirchen über die Jahrhunderte hindurch einen Nährboden bereitet hatten. Katholische wie protestantische Kirchen haben sich dieser dunklen Geschichte gestellt, bereut und den Judenhass konsequent ausgetrieben. Dieser Prozess hat freilich lange gedauert: So untersagte die Diözese Innsbruck erst vor 30 Jahren per Dekret den Gedenkkult ums „Anderl von Rinn“. Der zweijährige Bub soll 1462 im Nordtiroler Dorf Rinn von Juden ermordet worden sein. Mehr als ein halbes Jahrtausend vergiftete die inzwischen von Historikern als Fake News entlarvte Ritualmordlegende die Köpfe vieler Christenmenschen.

Die Schuldbekenntnisse von Päpsten, Bischöfen und Laien mögen die Christenheit nicht absolut gegen das Judenhasservirus immunisiert haben. Aber: Christlich verwurzelter Antisemitismus spielt hierzulande — weil hochamtlich verpönt — keine Rolle mehr.

Islam und Antisemitismus

Dennoch ist Judenfeindlichkeit mittlerweile wieder buchstäblich platzfüllend. Auf unzähligen Pro-Palästina-Demonstrationen wurde seit Oktober 2023 immer wieder mehr oder weniger offen die Grenze von zulässiger Israel-Kritik zum intolerablen Antisemitismus überschritten.

Die Erklärung dafür liegt im toleranteren Umgang mit dem Antisemitismus muslimischer Provenienz und dem Fehlen einer dem christlichen Konsens entsprechenden innermuslimischen Ablehnungsfront. Entgegen allen Beteuerungen, wonach jeglicher Antisemitismus hier keinen Platz habe, ist der Fokus noch immer hauptsächlich auf den autochthonen Judenhass gerichtet. Aus Unkenntnis, Fehleinschätzung oder falsch verstandener Toleranz wird muslimischem Antisemitismus nicht die gebührende Aufmerksamkeit gewidmet.

Holocaust Strafe Gottes

Nicht nur die Politik, auch die Justiz hat in punkto Problembewusstsein Luft nach oben. Während bei Delikten mit NS-Bezug im Sinne der Generalprävention richtigerweise sehr konsequent vorgegangen wird, werden antisemitische Tatbestände mit muslimischem Bezug selbst bei Vorliegen eines eindeutigen Tatsachensubstrates weniger rigoros geahndet. So vertreibt eine der islamistischen Milli-Görüs-Bewegung zuzurechnende Wiener Buchhandlung seit Langem antisemitische Literatur wie das türkischsprachige Buch „Filistin Hakkinda Fetvalar“ (Fatwas über Palästina), in dem Hassprediger Yusuf al Qaradawi den Holocaust als Gottes Strafe gutheißt: „Die Juden … waren nie auf Seite des Guten. Deshalb hat Allah … ihnen Hitler und andere Despoten zur lästigen Plage gemacht.“ Ausdrücklich erklärt der 2022 verstorbene Chefideologe der Muslimbruderschaft darin folgenden Hadith (dem Propheten Mohammed zugeschriebene Aussage) für verbindlich: „Solange ihr nicht mit den Juden Krieg führt, wird der Tag der Auferstehung nicht anbrechen. Sogar der Stein und Baum, hinter dem sich die Juden verstecken, werden sagen ‚Oh Muslim, der Jude ist hinter mir, komm‘ töte ihn!‘“ Dem Leser wird also vermittelt, dass die Hamas in Israel quasi in Erfüllung einer religiösen Pflicht gemordet hat.

Selektive Sensibilität

Der Verkauf dieses Buches — nebst unkommentiert ins Türkische übersetzten Goebbels-Reden — mitten Wien entlarvte auch das eigenartig selektive Sensorium einer ansonsten in Sachen Antisemitismus naturgemäß hypersensiblen Organisation: Die Jüdischen österreichischen Hochschüler:innen (JÖH) verweigerten eine Stellungnahme und begründeten dies gegenüber dem VOLKSBLATT so: „Wir haben parallel viele Projekte am Laufen und haben dafür leider nicht die Kapazitäten.“

Es ist eben spektakulärer, einen Nationalratspräsidenten vor laufenden Kameras am Gedenken der jüdischen Pogromopfer zu hindern, als sich über das hierzulande von Politik und Medien weitgehend ignorierte Elaborat eines der einflussreichsten Hassprediger der islamischen Welt zu echauffieren.

Da auch die Staatsanwaltschaft Wien keinen Grund für ein Einschreiten sah und Ermittlungen einstellte, kann die Buchandlung das Hasspredigerbuch quasi mit dem Segen der Justiz weiter anbieten — derzeit zum Okkasionspreis von 9,09 Euro. Der Antisemitismus hat also entgegen allen Beteuerungen durchaus Platz in Österreich.

Schwamm drüber

Die Staatsanwaltschaft Wels wiederum sah im vergangenen im Frühjahr keinen Grund für die strafrechtliche Verfolgung eines im Bezirk Eferding tätigen Koranschullehrers, der seit Jahren islamistische und antisemitische Inhalte gepostet, unter anderem den Hamas-Angriff auf Israel als „Sieg unserer Mudschaheddin“ bejubelt, „Ungläubige zur Hölle“ gewünscht und „Muslime, die sich bei Israel einschleimen, verurteilt“ hatte. Mit einer — nicht einmal öffentlichen — Entschuldigung in der Landespolizeidirektion war der Fall, den auch kein Politiker an die große Glocke hängen wollte, für den Milli-Görüs-Mann erledigt.

Grob fahrlässiger Import

Angesichts der steigenden Zahl von muslimischen Zuwanderern erscheint die Gelassenheit gegenüber solchen Demagogen grob fahrlässig. Dies umso mehr, als ihr Schwerpunkt auf der Jugendarbeit liegt. Die Gefahr mindern auch weder der Tod oder die geografische Entfernung von Protagonisten des islamischen Judenhasses. Ihre Ideologie wird ungehindert verbreitet, wobei soziale Medien wie Brandbeschleuniger wirken. Da viele Migranten türkische bzw. arabische Medien österreichischen Informationsquellen vorziehen, passiert die Radikalisierung oft unter dem Radar der heimischen Behörden durch Hass-Import aus Staaten, in denen Antisemitismus gleichsam Staatsdoktrin ist.

Hass-Exporteur Katar

Ein Blick auf die Berichterstattung über die Judenhatz von Amsterdam etwa in Medien des Golfemirats Katar, das die Hamas groß gemacht hat, ist diesbezüglich höchst aufschlussreich. So postete etwa der Al-Jazeera-Moderator Mustafa Ashour zum Hashtag Amsterdam: „Die freien Völker haben beschlossen, die Zionisten zu bestrafen.“ Sein Moderatoren-Kollege Ayman Azzam lobte ausdrücklich die Beteiligung marokkanischer Einwanderer am Angriff auf israelische Fußballfans: „Unsere Liebe und Bewunderung für Marokko und die Marokkaner.“ Asad Taha, Kolumnist der katarischen Tageszeitung Al-Sharq, wiederum begrüßte die Übergriffe so: „Es ist sehr wichtig, die Momente zu erkennen, in denen es angebracht ist, ‚Gesegnet seist du‘ zu sagen. #Amsterdam.“

Muhammad Al-Mukhtar Al-Shinqiti, Dozent an der Universität von Katar und Mitglied der von al-Qaradawi gegründeten Internationalen Union muslimischer Gelehrter (IUMS), verwies auf den oben erwähnten Hadith und bezeichnete die Amsterdamer Ausschreitungen als „wichtiges Zeichen des Verlustes von Ansehen und Einfluss der Zionisten im Westen seit der Al-Aqsa-Flut (Hamas-Überfall auf Israel, Anm.)“.

So werden Muslime in der Diaspora von islamischen Meinungsführern antisemitisch aufmunitioniert. Eine mit der christlichen Asche-aufs-Haupt-Demut vergleichbare selbstkritische Reflexion bleibt seltene Ausnahme. Und so verwundert es nicht, wenn derartige Ansichten in Europa einsickern. Wie an der Berliner Humboldt-Universität, deren Präsidentin Julia von Blumenthal unter Beschuss geriet, weil ein studentischer Kulturreferent unmittelbar nach einem offiziellen Gedenken zur Reichspogromnacht auf X die Amsterdamer Hetzjagd auf Israelis so kommentiert hatte: „faschos bekommen verdient aufs maul.“ Nach medialer Kritik betonte ein Uni-Sprecher — man rate mal: „Es gibt an der Humboldt-Universität keinen Raum für Antisemitismus.“

Worthülse sucht Inhalt

Politik und Bildungsverantwortliche müssen sich endlich selbst beim Wort und ihre Kein-Platz-für-Antisemitismus-Worthülse mit konkretem Inhalt speziell für Muslime befüllen. Konkret bedeutet: Neben schonungsloser strafrechtlicher Verfolgung dort, wo möglich, vor allem eine Anpassung der Lehrpläne an die neue Normalität in vielen Schulen. Muslimischer Antisemitismus und seine Wurzeln in den Glaubensquellen müssen ebenso im Unterricht behandelt werden wie das Sympathisieren historischer Muslim-Anführer mit den Nazis. Insbesondere dort, wo muslimische Schüler schon die Mehrheit stellen, sind diese mit den dunklen Kapiteln ihrer Geschichte zu konfrontieren, auch und gerade weil offizielle Islam-Vertreter viel lieber den viel bequemeren Opfermythos predigen. Muslimen darf die Chance, aus der Geschichte zu lernen, nicht vorenthalten werden.

Generalprävention für alle

Antisemitismus wird erst dann wirklich keinen Platz mehr haben in Europa, wenn die Protagonisten des politischen Islams genauso konsequent bekämpft werden wie besoffene Teenies, die eine xenophobe Version von „L’Amour toujours“ grölen. Im Sinne einer wirklich die gesamte Gesellschaft betreffenden Generalprävention wäre dies auch ein wesentlicher Schritt zu echter, ehrlicher Integration.

Analyse von Manfred Maurer