Die Vereinten Nationen unterstützen nach Angaben von Generalsekretär António Guterres einen friedlichen Machtübergang in Syrien nach dem Sturz von Machthaber Bashar Al-Assad. Die UNO sei „voll und ganz entschlossen, einen reibungslosen Machtübergang zu unterstützen“, sagte Guterres am Mittwoch in Südafrika. Der Leiter der Übergangsregierung in Syrien rief die Syrer, die seit dem Beginn des Bürgerkriegs 2011 ihre Heimat verlassen haben, unterdessen zur Rückkehr auf.
Den Sturz der „syrischen Diktatur“ nach 50 Jahren Herrschaft der Assad-Familie und fast 13 Jahren Bürgerkrieg, bezeichnete Guterres als „Zeichen der Hoffnung“. Weiters meinte der UNO-Chef: „Es ist unsere Pflicht, alles zu tun, um die verschiedenen syrischen Anführer zu unterstützen (…), um sicherzustellen, dass sie zusammenkommen und in der Lage sind, einen reibungslosen und integrativen Übergang zu gewährleisten, bei dem sich alle Syrer zugehörig fühlen. Die Alternative ergibt keinen Sinn.“ Es gebe genug Spaltungen in Syrien. „Es ist Zeit für Einheit und es ist Zeit für eine Wiederherstellung seiner territorialen Integrität.“
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Guterres reagierte auch auf die Aussage des israelischen Regierungschefs Benjamin Netanyahu, dass die Golanhöhen, die Israel 1967 von Syrien erobert und 1981 annektiert hatte, für immer zu Israel gehören würden. „Der Begriff der Ewigkeit ist schwer zu definieren“, sagte der UN-Generalsekretär. Die Golanhöhen seien von Israel besetzt, aber diese Besetzung werde international nicht anerkannt. „Daher würde ich sagen, dass die Ewigkeit das Problem der Rechtsverletzungen nicht lösen wird.“
UN-Beauftragter: Neuer Bürgerkrieg muss vermieden werden
Der UN-Syrienbeauftragte Geir Pedersen sagte derweil, die Übergangsregierung in Syrien müsse sich um einen umfassenderen Prozess bemühen und verschiedene Parteien und Gemeinschaften einbeziehen, um neue Unruhen zu vermeiden. „Meine größte Sorge ist, dass der Übergang neue Widersprüche hervorrufen wird, die zu neuen zivilen Unruhen und möglicherweise zu einem neuen Bürgerkrieg führen könnten“, so Pedersen gegenüber der Nachrichtenagentur AFP.
Die islamistische Gruppierung Hayat Tahrir al-Sham (HTS) und mit ihr verbündete Milizen hatten am 27. November eine Großoffensive im Norden Syriens gestartet und am vergangenen Sonntag in Damaskus den seit dem Jahr 2000 herrschenden Machthaber Assad gestürzt. International besteht Besorgnis, welche Richtung die von Islamisten dominierte neue Regierung in Damaskus nun einschlagen wird.
„Unser erstes Ziel ist die Wiederherstellung von Sicherheit und Stabilität in allen Städten Syriens“, sagte der aktuelle Interimsregierungschef Mohammed al-Bashir im Interview mit der italienischen Tageszeitung „Corriere della Sera“ (Mittwoch). Zweites Ziel sei die Flüchtlingsrückkehr.
„Menschen erschöpft von Ungerechtigkeit und Tyrannei“
„Die Menschen sind erschöpft von Ungerechtigkeit und Tyrannei. Die Autorität des Staates muss wiederhergestellt werden, damit die Menschen zur Arbeit und zum normalen Leben zurückkehren können“, sagte Bashir. „Das zweite Ziel ist die Rückkehr der Millionen syrischer Flüchtlinge, die sich im Ausland aufhalten. Ihr Humankapital, ihre Erfahrungen werden dem Land zu einem Aufschwung verhelfen.
Er appellierte an alle Syrer im Ausland: “Syrien ist jetzt ein freies Land, das seinen Stolz und seine Würde verdient. Kommen Sie zurück. Wir müssen wieder aufbauen, wiedergeboren werden, und wir brauchen die Hilfe aller.„
Fehlverhalten einiger Rebellengruppen und falsches Islam-Bild
Zum Jihadismus hinter einigen der Gruppen, die jetzt in Damaskus an der Macht sind, sagte Bashir: “Das falsche Verhalten einiger islamistischer Gruppen hat viele Menschen, vor allem im Westen, dazu geführt, Muslime mit Terrorismus und den Islam mit Extremismus in Verbindung zu bringen. Dies ist auf Fehlverhalten und mangelndes Verständnis zurückzuführen. So wurde die Bedeutung des Islam, der die ‚Religion der Gerechtigkeit‘ ist, falsch dargestellt. Gerade weil wir islamisch sind, werden wir die Rechte aller Menschen und Völker in Syrien garantieren.„
Vor übergroßen Hoffnungen auf eine rasche Besserung der allgemeinen Lage in Syrien, warnte Bashir. “In den Kassen gibt es nur syrische Pfund, die wenig oder nichts wert sind“, sagte er dem „Corriere della Sera“. „Wir haben keine Devisen, und was Kredite und Anleihen angeht, so sammeln wir immer noch Daten. Also ja, finanziell geht es uns sehr schlecht.“
Bisher kein Ansturm aus der Türkei
Unterdessen kehrten am Mittwoch weiterhin Syrer aus der Türkei in ihr Heimatland zurück – ein großer Ansturm auf die Grenzen blieb jedoch vorerst aus. An dem Grenzübergang Öncüpınar in der Provinz Kilis standen in der Früh Dutzende Menschen an, um nach Syrien zu gelangen, wie eine Reporterin der Deutschen Presse-Agentur (dpa) berichtete.
Ein lokaler Beamter sagte, am Montag – dem ersten Tag nach Assads Sturz – hätten etwa 700 Menschen diesen Übergang passiert, danach habe die Zahl abgenommen. Die Zeitung „Cumhuriyet“ berichtete unter Berufung auf Behörden, am Übergang Cilvegözü weiter westlich hätten gestern etwa tausend Menschen die Grenze überquert. Die Migrationsbehörde stocke Personal auf, um die Anträge zu bewältigen.
Zurzeit sind mehrere Grenzübergänge in der Südtürkei für die Passage von Syrern geöffnet. Das zuständige Innenministerium in Ankara äußerte sich auf Anfrage der dpa zunächst nicht zur Zahl der Grenzübertritte. Weltweit hat die Türkei die meisten Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen, zurzeit leben nach UNO-Angaben rund drei Millionen von ihnen im Land.
Keine Amnestie für Folterknechte
Rebellenführer Abu Mohammed al-Golani, der Bashir eingesetzt hatte – auch unter seinem Geburtsnamen Ahmed al-Sharaa bekannt, machte unterdessen klar: Alle, die unter dem Assad-Regime in Syrien an Folter und den Tötungen von Gefangenen beteiligt waren, sollen zur Rechenschaft gezogen werden und würden nicht begnadigt. „Wir werden sie in Syrien verfolgen, und wir fordern Länder auf, Geflohene auszuliefern, damit wir Gerechtigkeit walten lassen können“, schrieb Golani in einer Erklärung, die auf dem Telegram-Kanal des syrischen Fernsehens veröffentlicht wurde.
Golanis Rebellen hoben unterdessen zudem die Ausgangssperre in der Hauptstadt Damaskus auf. Alle Menschen sollten wieder an die Arbeit zurückkehren, hieß es.