Türkei forciert islamistische Missionierung in Europa

5-Jahres-Plan der Erdogan'schen Religionsbehörde sieht mehr Geld und Personal für Auslandsaktivitäten vor

Präsident Erdogan und Diyanet-Chef Erbas treibt die Vision von einem „türkischen Jahrhundert“ mit einem die ganze Menschheit beglückenden Islam.
Präsident Erdogan und Diyanet-Chef Erbas treibt die Vision von einem „türkischen Jahrhundert“ mit einem die ganze Menschheit beglückenden Islam. © Diyanet

Mit mehr Geld und Personal intensiviert die Türkei eine Missionierungsoffensive, die auch und vor allem Europa im Fokus hat. Das geht aus einem dem VOLKSBLATT vorliegenden Fünf-Jahres-Plan der türkischen Religionsbehörde Diyanet hervor. Länder wie Österreich, wo viele türkischstämmige Menschen leben, muss beunruhigen, dass der Islamisierungs-Masterplan den nationalen Muslimverbänden eine zentrale Rolle zuordnet.

„Die Moscheen sind unsere Kasernen, die Minarette unsere Bajonette, die Kuppeln unsere Helme und die Gläubigen unsere Soldaten“ — 1997 ging Recep Tayyip Erdogan fürs Rezitieren dieses Gedichtes für zehn Monate wegen Verhetzung ins Gefängnis und verlor sein Amt als Istanbuler Bürgermeister. Mittlerweile arbeitet er als Staatschef an der Realisierung seiner Vision.

Lesen Sie auch

Und die beschränkt sich nicht auf die Türkei, den turksprachigen Raum oder Gebiete des untergegangenen osmanischen Reiches. Auch und besonders das Abendland hat Erdogan im Visier. Sein Werkzeug: Die ihm direkt unterstellte Religionsbehörde und deren Chef Ali Erbas.

Dem VOLKSBLATT vorliegender Diyanet-Strategieplan

Diyanet hat gerade begonnen, den Fünf-Jahres-Plan 2024 bis 2028 abzuarbeiten. Das Dokument sei Politik und Verfassungsschützern hierzulande dringend zur Lektüre empfohlen. Denn es belegt Schwarz auf Weiß die von türkischen Behörden und islamischen Verbänden bestrittenen Versuche einer Indoktrination von außerhalb der Türkei lebenden Muslime im Sinne von Erdogans islamistischer Ideologie.

Gesamte Menschheit mit Koran und Sunna beglücken

Das 95 Seiten starke Dokument listet Ziele, Maßnahmen und Mängel der bisherigen Arbeit auf, wobei der Offensive im Ausland besonderes Augenmerk geschenkt wird. Der sogenannte Strategieplan soll, so Erdogan im Vorwort, „einen großen Beitrag zur Verwirklichung der Vision des türkischen Jahrhunderts“ leisten. Auch dass es nicht bloß um die Türkei geht, wird klargesellte: Diyanet sollte, so Erdogan, „der gesamten Menschheit, insbesondere jungen Menschen, die Möglichkeit bieten, unter der Führung von Koran und Sunna die islamische Zivilisation kennenlernen und ein entsprechendes Bewusstsein zu entwickeln“.

Behördenchef Erbas wiederum stellt in seinem Vorwort fest, dass „der Islam die einzige Religion ist, die zufriedenstellende Antworten auf die Fragen der Menschheit gibt“.

Viele Millionen mit vielen Milliarden erreichen

Diese Sichtweise soll nun möglichst vielen Menschen nahegebracht werden. Auf Seite 16 sind ehrgeizige Zielvorgaben festgeschrieben: Die Anzahl der Menschen, die im Ausland durch Moscheen und religiöse Dienstleistungen erreicht werden, soll von heuer 1,85 Millionen bis 2028 auf 11,85 Millionen steigen, also mehr als versechsfacht werden.

Das soll sich auch in den finanziellen Abgeltung von Mitarbeiter niederschlagen. Das Jahresbudget der Behörde soll von heuer umgerechnet 2,5 Milliarden Euro bis 2028 um mehr als 70 Prozent auf 4,4 Milliarden steigen. Über die ganzen fünf Jahre gerechnet sind 15,3 Milliarden Euro eingeplant.

Die wichtigste Plattform für die Diyanet-Aktivitäten sind Moscheen und Religionskurse, aber auch der diplomatische Apparat sowie Nicht-Regierungsorganisationen (NGO). Letztere sind sich ihrer Instrumentalisierung möglicherweise nicht immer bewusst. Ein zentrales Element des „Stratejik Plan“ ist die Islamophobie, ein Kampfbegriff, der jegliche Kritik am Islam, auch an dessen extremistischen Auswüchsen, im Keim ersticken und zugleich den muslimischen Opfermythos einzementieren soll.

Konkret heißt es dazu auf Seite 33: „Die Kapazität der zivilgesellschaftlichen Organisationen (NGOs) im Ausland zur Bekämpfung von Diskriminierung und Islamfeindlichkeit wird erhöht. … Zur Entwicklung der Kapazität von NGOs, die von unseren Bürgern im Ausland gegründet wurden, werden regelmäßige Gespräche durch unsere Auslandsvertretungen geführt, und es wird dazu ermutigt, bestehende Mechanismen zur Meldung von Hassverbrechen aktiv zu nutzen.“ Des weiteren wird als Ziel ausgegeben, „Islamfeindlichkeit als Hassverbrechen in nationalen und internationalen Gesetzen anzuerkennen“.

Kampf gegen die „Gefahr abweichender Gedanken“

Als Maßnahmen werden unter anderem die Förderung internationaler rechtlicher und zivilgesellschaftlicher Organisationen gegen Rassismus und Islamfeindlichkeit sowie „mehr Aufklärung über die Gefahren abweichender Gedanken“ empfohlen.

Erdogans Religionsbehörde kann dabei auf vielfältige Strukturen zurückgreifen, was auf Seite 41 so beschrieben wird: „Die Auslandsorganisation der Präsidentschaft für religiöse Angelegenheiten (= Diyanet, Anm.) besteht in den Ländern, in denen sich unsere Bürger, Glaubensgenossen und Verwandte aufhalten, aus Religionsdiensten in den Botschaften und in den Generalkonsulaten.“ Die Zahl der in diesen diplomatischen Vertretungen für Diyanet arbeitenden Personen wird mit 586 angegeben. Eine Auflistung nach Ländern enthält das Papier nicht. Es ist aber davon auszugehen, dass sich das Gros des Diyanet-Personals an Botschaften und Konsulaten auf Staaten mit vielen türkischstämmigen Bürgern konzentriert.

Der Plan fordert auch die Rekrutierung von Auslandstürken, die bereits eine neue Staatsbürgerschaft angenommen haben, und empfiehlt, sie in der Türkei auszubilden, bevor sie als Imame eingesetzt werden.

„Alle anderen Religionen falsch!“ — Jesus ein Muslim?

Welche Denke aus der Istanbuler Zentrale auf die „gesamte Menschheit“ ausstrahlen soll, erschließt sich durch die Äußerungen ihres Chefs und Wegweisungen auf der Webseite. So erklärte Ali Erbas im Dezember 2023 bei einer Konferenz mit dem Titel „Vom Wissen zum Bewusstsein unter der Führung des Islam“ an der Recep Tayyip Erdogan Universität in Rize: „Wir wissen, glauben und müssen glauben, dass andere Religionen als der Islam falsch sind. Islam ist der Name der Religion, die von allen Propheten vom Propheten Adam bis zum Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm) verbreitet wurde.“ Da die Muslime in Jesus Christus nicht wie die Christen den Sohn Gottes, sondern nur einen von vielen Propheten sehen, bedeutet Erbas‘ Aussage nicht anderes als dass Jesus zum Muslim erklärt wird.

Keine Freundschaft mit Juden und Christen

Auf der Diyanet-Webseite findet sich auch eine lange Abhandlung über das Verhältnis von Muslimen zu Christen und Juden. Interreligiöse Freundschaften bedeuten demnach zwar keinen Abfall vom Glauben, aber ein Muslim „begeht einen Fehler, wenn er sich mit Nicht-Muslimen anfreundet“. Immerhin heißt es noch: „Das Verbot, sich mit Ungläubigen anzufreunden, bedeutet jedoch nicht, dass man sich nicht gut mit ihnen vertragen darf.“ Es schade auch nicht, internationale Freundschaftsverträge mit Nicht-Muslimen zu schließen, „solange es im Interesse der Muslime ist“.

Die Christen stehen in den Augen der Religionsbehörde noch eine Stufe über den Juden. Denn, so die amtliche Analyse: „Tatsächlich heißt es im Heiligen Koran, dass sich die Christen den Muslimen gegenüber besser verhielten als die Juden.“

Dieser Befund ist aktueller denn je. Seit dem Überfall der — von Erdogan als Befreiungsbewegung hofierten — Hamas-Terroristen auf Israel rollte eine neue antisemitische Welle durch die Türkei. Diyanet spielt dabei eine tragende Rolle. So nannte Erbas Israel einen „rostigen Dolch im Herzen der muslimischen Welt“. Einen im vergangenen April in Jerusalem von israelischen Soldaten erschossenen Messerattentäter nannte ein Vertreter der Behörde „Märtyrer“ und „Beschützer Jerusalems“. Der 34-jährige Täter war als Imam in der südostanatolischen Provinz Sanliufra Diyanet-Angestellter und mit einer Gruppe eingereist, der laut türkischen Medien auch die Tochter von Erbas angehörte.

Diyanet-Einfluss in Österreich und Deutschland

Aber was geht uns das an? Welchen Einfluss hat Diyanet außerhalb der Türkei wirklich? In Deutschland ist die Sache klar: Ali Erbas ist auch höchste religiöse Autorität der „Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion e. V.“ (Ditib), die nach eigenen Angaben über 70 Prozent der in Deutschland lebenden Muslime vertritt. Der Diyanet-Einfluss ist also institutionalisiert und enorm.

Beim österreichischen Ditib-Pendant, der „Türkisch-Islamischen Union für soziale und kulturelle Zusammenarbeit in Österreich“ (Atib), ist die Istanbul-Connection nicht (mehr) so offensichtlich, aber ebenso Realität. Bis 2017 war der Religionsattaché an der türkischen Botschaft in Wien zugleich Atib-Vorsitzender. Nach einer Änderung der Atib-Satzung hat diese Funktion der gegenwärtige Botschaftsrat für religiöse Angelegenheiten, Selahaddin Celebi, nicht mehr inne. Er ist aber, so wie Ali Erbas und weitere Diyanet-Granden Ehrenmitglied. Da die Ehrenmitglieder laut Paragraf 6, Absatz 7, der Satzung „dieselben Rechte wie aktive Mitglieder haben“, bleibt die Atib an der Diyanet-Leine.

Enge Kontakte: Diyanet-Chef Erbas (links) mit dem Milli-Görüs-Vorsitzenden Kemal Ergün.
Enge Kontakte: Diyanet-Chef Erbas (links) mit dem Milli-Görüs-Vorsitzenden Kemal Ergün. ©Screenshot: Facebook

Wie in Deutschland befindet sich auch in Österreich die Milli-Görüs-Gemeinschaft (IGMG) im Diyanet-Einflussbereich. Die engen Kontakte des Kölner IGMG-Bosses Kemal Ergün zu Erbas sind in sozialen Medien dokumentiert. Auf einer IGMG-Webseite wurde der in Jerusalem getötete Terrorist ebenfalls als „Märtyrer “ gewürdigt.

Hierzulande wird die vom deutschen Verfassungsschutz als „extremistisch“ eingestufte IGMG durch die Islamische Föderation (IF) repräsentiert. Einer ihrer ehemaligen Führungsmitglieder ist der Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ), Ümit Vural. Dieser hatte 2019 in Köln an einer von Diyanet und Ditib ausgerichteten Konferenz teilgenommen, die einem „europäischen Islam“ eine klare Absage erteilt hatte. Das entsprechende Dokument wurde von Ali Erbas verlesen.

Was suchte der IGGÖ-Chef in der Diyanet-Zentrale?

Trotzdem kann Vural, wie er im Dezember 2023 gegenüber den „Salzburger Nachrichten“ kundtat, den Vorwurf, türkisch-muslimische Vereine dienten als verlängerter Arm der Diyanet, nicht verstehen. Denn, so Vural: „Jeglicher Einfluss aus dem Ausland ist auch nach dem Islamgesetz nicht zulässig.“

Der stets freundlich und mit salbungsvoller Tonalität auftretende IGGÖ-Chef vermag damit viele zu beeindrucken, seine Aussage über den ausländischen Einfluss führt die IGGÖ allerdings selbst ad absurdum. So besuchte Vural im August 2022 die Türkei. Laut IGGÖ-Homepage war die Delegation, der auch der Vorsitzende der Islamischen Religionsgemeinde Oberösterreich und IGGÖ-Bildungsamtsleiter Binur Mustafi angehörte, auf der „Suche nach Best Practice Beispielen“.

IGGÖ-Vorsitzender Ümit Vural (links) im August 2022 auf der Suche nach „Best Practice Beispielen“ bei Diyanet-Chef Erbas in Ankara.
IGGÖ-Vorsitzender Ümit Vural (links) im August 2022 auf der Suche nach „Best Practice Beispielen“ bei Diyanet-Chef Erbas in Ankara. ©Screenshot: Facebook

Gesucht wurde auch in der Diyanet-Zentrale, wie der IGGÖ-Homepage ebenfalls zu entnehmen ist: „Vor diesem Hintergrund wurde die IGGÖ am zweiten Tag vom Präsidenten des türkischen Amtes für religiöse Angelegenheiten Prof. Dr. Ali Erbas empfangen.“ Es ging um die „Zusammenarbeit mit islamischen Institutionen unterschiedlicher Länder“. Nach null Einfluss aus dem Ausland klingt das nicht. Vielleicht wurde der Empfang bei Erbas in Ankara aus diesem Grund nicht an die ganz große Glocke gehängt: Unter den 18 auf der IGGÖ-Webseite zu findenden Fotos von dieser Türkei-Visite sind jene ausgespart, die Vural und Mustafi bei Erbas zeigen…

Von Manfred Maurer