Die Verhandlungen über eine Waffenruhe im Gazastreifen und die Freilassung der dort festgehaltenen Geiseln sind erneut ins Stocken geraten. Unterdessen sorgte der Besuch des israelischen Ministers Itamar Ben Gvir am Donnerstag auf dem Tempelberg in Jerusalem für weitere Spannungen. Im Gazastreifen wurden bei Angriffen des israelischen Militärs am Donnerstag laut palästinensischen Angaben mindestens 20 Menschen getötet, darunter fünf Journalisten und fünf Spitalsmitarbeiter.
Israel und die palästinensische Terrororganisation Hamas warfen einander am Mittwoch gegenseitig vor, für die Blockade der Verhandlungen verantwortlich zu sein. Laut israelischen Medien verweigerte die Hamas die Übergabe einer Namensliste der verbleibenden Geiseln in ihrer Gewalt. Anfang der Woche hatte Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu im israelischen Parlament noch von „Fortschritten“ in den Verhandlungen zur Freilassung der Geiseln berichtet.
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Gegenseitige Vorwürfe in Verhandlungen
Die Hamas erhob in einer Erklärung den Vorwurf, dass Israel bei den nicht direkt, sondern über internationale Vermittler geführten Verhandlungen in der katarischen Hauptstadt Doha „neue Bedingungen“ gestellt habe. Dadurch habe sich „der Abschluss eines Abkommens verzögert“. Netanyahus Büro reagierte seinerseits mit dem Vorwurf, die Hamas habe „neue Hürden in den Verhandlungen aufgebaut“. Dabei habe die Hamas bereits erzielte Einigungen in verschiedenen Punkten wieder gekippt.
Der Krieg zwischen Israel und der Hamas dauert seit mehr als 14 Monaten an. Er war durch den beispiellosen Großangriff der Hamas und mit ihr verbündeter Gruppen auf Israel am 7. Oktober 2023 ausgelöst worden. Bei dem damaligen Überfall wurden nach israelischen Angaben 1.208 Menschen getötet und 251 Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. Unter ihnen befindet sich der österreichisch-israelische Doppelstaatsbürger Tal Shoham.
Drei Säuglinge an Unterkühlung gestorben
Seit dem Hamas-Überfall geht die israelische Armee massiv im Gazastreifen vor. Dabei wurden nach jüngsten Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde des Palästinensergebiets bereits mehr als 45.390 Menschen getötet. Diese Angaben können nicht unabhängig überprüft werden.
Der Leiter der Kinderstation im Nasser-Krankenhaus in Khan Younis im Süden des Gazastreifens, Ahmed al-Farra, sagte der Nachrichtenagentur AFP, seit Wochenbeginn seien drei nur wenige Tage beziehungsweise Wochen alte Säuglinge an Unterkühlung gestorben. Grund hierfür sei, dass die Eltern der Kinder als Vertriebene in Zelten lebten, die nicht ausreichend Schutz vor der Kälte böten, führte der Arzt aus.
Israels Minister provoziert mit Gebet auf Tempelberg
Für weitere Spannungen mit den Palästinensern sorgte der rechtsextreme israelische Sicherheitsminister Ben Gvir. Er erklärte am Donnerstag im Onlinedienst X, er habe den Tempel besucht, „um für die Sicherheit unserer Soldaten, für die schnelle Rückkehr aller (im Gazastreifen festgehaltenen) Geiseln und für einen vollständigen Sieg mit Gottes Hilfe zu beten“.
Der Tempelberg mit dem Felsendom und der Al-Aksa-Moschee ist ein zentraler Streitpunkt des israelisch-palästinensischen Konflikts. Jordanien verwaltet diese islamischen Heiligtümer, Israel regelt jedoch den Zugang zum Tempelberg. Juden verehren den Tempelberg als Ort des früheren Zweiten Tempels als ihren heiligsten Ort.
Ben Gvir hat sich in der Vergangenheit wiederholt über das von der israelischen Regierung verhängte Gebetsverbot hinweggesetzt und den Tempelberg besucht.
Das Außenministerium der Palästinensischen Autonomiebehörde verurteilte den Besuch des israelischen Ministers und sprach von einer „beispiellosen Provokation gegenüber Millionen von Palästinensern und Muslimen“. Das jordanische Außenministerium bezeichnete den Besuch als „provokativ und inakzeptabel“.
Palästinenser: Fünf Journalisten getötet
Unterdessen wurden bei einem israelischen Angriff auf das Fahrzeug des palästinensischen, mit der Miliz Islamischer Jihad verbundenen TV-Senders Al-Quds Today fünf Mitarbeiter getötet, wie der Sender mitteilte. Eine Rakete habe den Übertragungswagen getroffen, als er in der Flüchtlingssiedlung Nuseirat im Gazastreifen parkte. Palästinensische Medien und örtliche Reporter berichteten, das Fahrzeug sei als eines der Presse gekennzeichnet gewesen. Die israelische Armee erklärte ihrerseits, in der Nacht „einen Präzisionsschlag auf ein Fahrzeug mit einer Terrorzelle des Islamischen Jihads“ an Bord in der Gegend Nuseirat ausgeführt zu haben.
Krankenhausdirektor meldet Tod von fünf Mitarbeitern
Bei einem israelischen Angriff im nördlichen Gazastreifen sind nach Angaben eines Krankenhausdirektors fünf seiner Mitarbeiter getötet worden. Bei dem Angriff auf das Kamal-Adwan-Krankenhaus in Beit Lahiya seien ein Kinderarzt, eine Laborantin, zwei Krankenwagenfahrer und ein Haustechniker ums Leben gekommen, erklärte Krankenhauschef Hossam Abu Safiya am Donnerstag. Dem Direktor zufolge steht das Krankenhaus schon seit Tagen unter Beschuss durch die israelische Armee. Die Armee erklärte, sie habe keine Kenntnis von einem Angriff auf das Krankenhaus.
Im Viertel Seitun in Gaza-Stadt seien fünf Menschen getötet und zwanzig verletzt worden, als ein Haus bei einer israelischen Attacke getroffen worden sei, teilte die Gesundheitsbehörde im Gazastreifen mit. Die Zahl der Todesopfer könne noch steigen. Es seien noch viele Menschen unter den Trümmern des eingestürzten Hauses verschüttet, hieß es.
Bei einem weiteren israelischen Angriff soll es mindestens neun Tote am Donnerstagabend bei einem Luftschlag auf ein Haus in der Stadt Gaza gegeben haben, berichtete die palästinensische Nachrichtenagentur WAFA. Der von der Hamas kontrollierte Zivilschutz sprach von mindestens 13 Todesopfern und rund 40 Verletzten. Die Angaben aus dem Gazastreifen ließen sich zunächst nicht unabhängig überprüfen. Die israelische Armee teilte auf Anfrage mit, dem Bericht nachzugehen.