„Wir müssen uns für eine starke, europäische Gemeinschaft einsetzen, sie ist für uns die wichtigste Friedensgarantie, wenn es eine solche überhaupt gibt! Krieg ist das Fürchterlichste und Schrecklichste – ich habe ihn erlebt!“, so die Worte des legendären Landeshauptmanns a. D. Dr. Josef Ratzenböck, rund um seinen 80. Geburtstag. Am 15. April dieses Jahres feiert er seinen 95. Geburtstag und seine Aussagen von damals sind aktueller denn je.
Josef Ratzenböck war als Politiker Zeit seines Lebens ein großer Brückenbauer, der überzeugt war, dass die politischen Kräfte in einem Land das Gemeinsame vor das Trennende stellen sollen! Die Ergebnisse der Politik in Oberösterreich haben ihm Recht gegeben. Nach seiner Tätigkeit als Landeshauptmann (bis 1995), kehrte er zum Seniorenbund zurück, wo er seine politische Arbeit begonnen hatte. Er war bis 2017 Landesobmann und eine starke Stimme für die Senioren.
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In seiner Pension hat er sich nie als politischer Zwischenrufer in der Tagespolitik betätigt, sehr wohl aber zu Senioren- und Grundsatzfragen Stellung genommen. So hält er es auch beim Interview, das er anlässlich seines 95. Geburtstages gegeben hat.
Herr Landeshauptmann! Wie geht es Ihnen?
Ratzenböck: Eigentlich sehr gut, wenn man bedenkt, dass ich 95 Jahre bin! Ich lebe im „4-Sterne-Hotel Anneliese“ (Gattin des Landesobmannes) in exzellenter Betreuung! Nur das Gehwerk tut nicht mehr mit – daher bin ich auch nicht mehr in der Öffentlichkeit.
Was bedeutet der 95er für Sie?
Ratzenböck: Es ist ein unglaublich hohes Alter für einen Angehörigen der Familie Ratzenböck. Mein Vater wurde 76, mein Großvater und mein Urgroßvater auch! Mit 76 habe ich mich mit dem Tod vertraut gemacht. Ich habe geglaubt, dass auch ich mit 76 Jahren Abschied nehmen muss. Rückblickend war es ein spannendes Leben voller Vielfalt, eigentlich möchte ich nichts missen, – und es wird ja hoffentlich noch eine Zeit dauern.
Verfolgen Sie die aktuellen, politischen Entwicklungen in Österreich und in Europa noch?
Ratzenböck: Natürlich. Wenn man ein Leben lang Politik betrieben hat, kann man garnicht anders. Im Übrigen sollten sich eigentlich alle Bürger interessieren! Es geht ja um ihre Zukunft und um die Zukunft unserer Gesellschaft.
War Politiker eigentlich Ihr Traumberuf?
Ratzenböck: Nein. Mein Traumberuf wäre Bauer gewesen! Diesen Beruf habe ich während des Studiums am Hof meiner Eltern ausgeübt, aber es ist für mich anderes gekommen, als ich dachte. Aber ich bin immer Bauer geblieben, meine bäuerliche Leidenschaft befriedigte ich im Garten, als es mir noch möglich war. Ich pflanzte, säte und erntete, wobei mich das Pflanzen und Säen immer mehr begeistert hat, als das Ernten!
Was waren die absoluten Höhepunkte – die bewegendsten Momente, vielleicht auch die größten Erfolge in Ihrer Zeit als Landeshauptmann?
Ratzenböck: Da gibt es einige. An erster Stelle steht ganz sicher das Durchschneiden des Stacheldrahts nach dem Fall des Eisernen Vorhangs! Die Freude über das Aufgehen dieser schmerzlichen Grenze war riesengroß.
Zweitens, für mich als überzeugten Europäer, der Beitritt zur Europäischen Union und damit die Sicherung einer friedlichen, europäischen Zukunft! Gerne erinnere ich mich, als wir vor dem Landhaus die Europafahne aufgezogen haben.
Höhepunkte waren aber auch die Ansiedlung des BMW-Werkes in Oberösterreich, nach starken Geburtswehen zum einen der Bau der Pyhrnautobahn und die Eröffnung des Nationalparks Kalkalpen.
Natürlich auch das Aufblühen des Kulturlebens in Oberösterreich. Da denke ich an die Landesausstellungen, an die vielen, regionalen Kulturinitiativen, aber ganz besonders an das Landesmusikschulwerk – die große Talenteschmiede, eine wirklich große kulturpolitische Innovation!
Aber für mich war es immer auch ein großer Erfolg, wenn ich Menschen, die sich in ihrer Not bei den Sprechtagen an mich gewandt haben, helfen konnte.
Wie war es, als Sie zum ersten Mal ohne Grenzkontrollen nach Tschechien gereist sind?
Ratzenböck: Das war wie ein Wunder!
Sie kennen den ersten Weltkrieg aus den Tatsachenberichten Ihrer Eltern, haben den zweiten Weltkrieg selbst erlebt, aber auch den EU-Beitritt und den Fall des Eisernen Vorhangs.
Ratzenböck: Heuer im Sommer werden es 110 Jahre, dass der erste Weltkrieg begonnen hat. Er war schrecklich und abscheulich! So schrecklich das Attentat auf den Thronfolger in Sarajewo gewesen ist, aber den ersten Weltkrieg hat das nicht gerechtfertigt. Millionen sind nicht zurückgekommen. Es war die Zeit meiner Eltern und Verwandten. Onkel Martin, der Bruder meines Vaters, der in Galizien im Einsatz war, wurde schwer verletzt und war ein Leben lang entstellt.
Mein Vater war achteinhalb Jahre Soldat und 13 Monate in Kriegsgefangenschaft. Meine Eltern haben 80.000,00 Kronen Kriegsanleihe gezeichnet – hart verdientes Geld und alles verloren.
Eindeutig ein Versagen des politischen Systems?
Ratzenböck: Jeder Krieg ist ein Versagen des politischen Systems, ohne Ausnahme! Das gilt vor allem auch für den zweiten Weltkrieg, der noch schrecklicher gewesen ist. Ich musste im November 1944, als 15 ½ Jähriger einrücken. Aus meiner Schulklasse, der 6. Klasse des akademischen Gymnasiums, sind noch 6 Mitschüler gefallen. Wir haben erlebt, wie die Städte bombardiert wurden.
In Neukirchen haben einige Familien 3 oder 4 Söhne verloren. In einer Familie in Veitsberg sind 5 Söhne gefallen. Die EU ist daher die beste Idee, die man je in Europa haben konnte! Endlich wird zumindest im EU-Raum nicht mehr Krieg geführt. Die Politik hat nichts Wichtigeres zu tun, als dafür zur sorgen, dass die Menschen in Frieden leben können – das ist das alles Entscheidende!
Ist der Krieg in Europa überwunden?
Ratzenböck: In Europa nicht, das sehen wir beim brutalen Angriffskrieg des Herrn Putin auf die Ukraine. Aber in der EU hoffe ich, schon. Ich kann nur an alle appellieren, das Friedensmodell Europa zu stärken, weiter auszubauen, bei allen Schwächen, die die EU hat, es gibt keine vernünftige Alternative!
Im Mai wählen wir das Europaparlament neu. Viele sagen, eine Stärkung der Ränder der nationalistischen Bewegungen voraus. Wie sehen Sie die europäische Entwicklung?
Ratzenböck: Wir haben derzeit in Europa aus Christdemokraten, Sozialdemokraten und Liberalen, eine starke Kommission! Europa braucht diese starke politische Mitte ganz dringend! Radikale Bewegungen haben noch nie Probleme gelöst, sondern immer nur Probleme geschaffen!
Ganz wichtig ist auch, dass die nationalen Regierungen über den Schrebergarten des eigenen Landes hinausdenken! Auf Europa schimpfen ist leicht! Europa zusammenzuhalten, ist sehr schwierig, aber sehr notwendig!
Sie waren immer ein Mann des Ausgleichs. Macht Ihnen die Verschärfung des Tons und des politischen Klimas in unserem Land Sorge?
Ratzenböck: Im Land Oberösterreich überhaupt nicht; da führt Thomas Stelzer mit ruhiger Hand, souverän und gelassen, immer auf die Zukunft des Landes ausgerichtet. Auf der bundespolitischen Bühne und auf der internationalen Bühne habe ich da die eine oder andere Sorgenfalte! Ich will aber nicht der alte Oberlehrer sein, der alles besser weiß, sondern formuliere einige Bitten:
Denkt immer auch an den Tag nach der Wahl! Je mehr man sich auseinandergelebt hat, desto schwieriger ist es, wieder zusammenzufinden! Und bedenkt – jede Radikalisierung beginnt mit der Radikalisierung der Sprache! Wir brauchen keine Nationalisten und keine Populisten – wir brauchen Leute, die bereit sind, zum Zusammenarbeiten. Niemand hat alleine das Evangelium. Auch der andere kann Recht haben. Immer das Gemeinsame vor das Trennende stellen! – damit bin ich gut gefahren.
Kommen wir noch zu Ihrer Zeit als Seniorenbundobmann, eigentlich zu Ihren zwei Zeiten, denn Sie waren Gründer und 40 Jahre später Landesobmann.
Ratzenböck: Das wichtigste Ereignis für unsere Senioren in Österreich war das Inkrafttreten des allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes am 1. Jänner 1956 unter Bundeskanzler Julius Raab. Die Senioren mussten aber informiert werden. Als junger Mitarbeiter der ÖVP Oberösterreich erhielt ich vom damaligen Landeshauptmann Heinrich Gleißner und dem Landesparteisekretär Dr. Erwin Wenzl den Auftrag, eine Seniorenserviceorganisation aufzubauen.
Und daraus ist der heutige Seniorenbund mit 76.000 Mitgliedern in Oberösterreich geworden?
Ratzenböck: Genau. Wir haben versucht in allen Gemeinden Leute zu finden, die die Senioren betreuen. Vor allem haben wir im ganzen Land Informationsveranstaltungen und Sprechtage abgeführt. Mit der Zeit sind die drei großen Säulen des Seniorenbundes entstanden: Interessensvertretung, Service, Beratung und vor allem das Gemeinschaftserlebnis! So wie der Seniorenbund Oberösterreich heute dasteht, ist das für mich eine große Freude.
Haben Sie sich bei der Gründung diese Entwicklung vorgestellt?
Ratzenböck: Nein. Nie habe ich geglaubt, dass daraus eine so riesige und erfolgreiche Organisation wird mit rund 76.000 Mitgliedern.
1995 haben Sie dann Ihre zweite Karriere beim Seniorenbund begonnen?
Ratzenböck: Landeshauptmann Dr. Pühringer, mein Nachfolger, hat mich damals eingeladen und überzeugt, ein wenig sogar „verpflichtet“, den Landesobmann zu machen. Und ehrlich gesagt, ich habe es nicht bereut. Es gab viele schöne Erlebnisse, aber auch viel Arbeit! Ich habe das dann gemacht, bis Pühringer wieder mein Nachfolger wurde, diesmal beim Seniorenbund.
Und heute sind Sie Ehrenobmann des Seniorenbundes…
Ratzenböck: Ja, und ich schaue mir aus der Distanz das Blühen und Gedeihen des Seniorenbundes gerne an! Der Politik kann ich nur raten, überseht diese riesengroße Gruppe der Senioren nicht – hört auf Ihre Anliegen, denn die Senioren leisten für unsere Gesellschaft sehr, sehr viel! Das beginnt beim Enkeldienst, führt über die Pflege, die die Jungsenioren an den Hochbetagten leisten, bis hin zu den vielen ehrenamtlichen Funktionen in den Vereinen, die die Senioren innehaben.
Wenn Sie nun zum 95. Geburtstag Wünsche äußern können – welche sind vorrangig?
Ratzenböck: Gesundheit und Wohlergehen für meine Familie, mit der ich hoffentlich noch viele Jahre verbringen darf und international wünsche ich mir Frieden! Für unser Land, dass es unter Landeshauptmann Thomas Stelzer so gut weitergeht, wie bisher!